Digitales Bauen:Digitaler Zwilling

Lesezeit: 3 min

Baupläne gibt es immer häufiger in elektronischer Form. Diese lassen sich auch einfach aktualisieren. Eigentümern wird so die Verwaltung und Bewertung von Immobilien erleichtert, da sie die Eckdaten der Objekte dann genau kennen.

Von Ingrid Weidner

Manches Planungsbüro übergibt mit dem Schlüssel des neuen Gebäudes auch einen braunen Umzugskarton mit den Unterlagen und Plänen des Bauwerks. Irgendwann landet die Kiste im Keller, die Papiere vergilben und ein Hausmeister wirft sie schließlich in die Altpapiertonne. Stehen Umbauten an, beginnt die Suche nach den eingestaubten Plänen. Selbst wenn sie wieder auftauchen, helfen sie nur weiter, wenn jede während der Bauphase ausgeführte Änderung notiert wurde.

Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist oft die Realität, auch wenn keiner gerne darüber spricht. Doch langsam zieht die Digitalisierung in die Planungsbüros ein und Computermodelle ganzer Gebäude verdrängen die gezeichnete Pläne. "Building Information Modeling‟, kurz BIM, ist ein digitales Planungsinstrument, auf das idealerweise alle am Bau beteiligten Firmen Zugriff haben, Visualisierungen wie 3-D-Ansichten oder Schnitte sind integriert.

Inzwischen erkennen große Immobilieneigentümer die Vorteile der digitalen Pläne und fordern sie bereits in den Ausschreibungen. Das Stuttgarter Bauunternehmen Wolff & Müller verfügt über BIM-Projekt-Erfahrung aus neun laufenden oder bereits abgeschlossenen Projekten. "Die Initiative ging vor acht Jahren vom Leiter unserer IT-Abteilung aus", sagt Matthias Jacob, Technischer Geschäftsführer von Wolff & Müller. Der Bauingenieur begeisterte sich schnell für das digitale Planen und Bauen. Zunächst begann das Büro damit, 2-D-Pläne in 3-D-Modelle umzuwandeln, bildete eine eigene Projektgruppe, lernte selbst viel dazu und versucht nun, Bauherren von der Methode zu überzeugen. Für das Bauunternehmen liegen die Vorteile auf der Hand: Daten zum Gebäude werden permanent aktualisiert, und der Bauherr bekommt mit der Schlüsselübergabe einen "digitalen Zwilling", also einen digitalen Plan des Bauwerks mit aktuellen Informationen darüber, was gebaut wurde. Das erleichtert die Verwaltung von Gebäuden, Immobilien-Manager können den Wert des Objekts besser errechnen und kennen die Eckdaten genau. Selbst beim späteren Abbruch lassen sich die verbauten Materialien leichter recyceln, wenn klar ist, welche Baustoffe verwendet wurden.

Manche lehnen die Arbeitsmethode ab, andere erwarten zu viel von ihr

Gerade haben Wolff & Müller ein Projekt abgeschlossen, das mit BIM geplant und gebaut wurde. "Die Schlüssel für das neue Rathaus in Leonberg wurden pünktlich am 30. Dezember 2016 übergeben und die kalkulierten Kosten eingehalten", sagt Jacob. Dass das Gebäude mit 9900 Quadratmeter Bruttogeschossfläche weder teurer noch später fertiggestellt wurde, führt er auch auf die digitale Planung zurück, an der fünf Partner beteiligt waren. Beim Rathaus entschied man sich für ein geschlossenes BIM-Verfahren. Wolff & Müller legten fest, welche Software eingesetzt wird, welche Zugriffsrechte die Planungs- und Architektenbüros erhalten und stellte über den eigenen Server eine Cloud-Infrastruktur zur Verfügung. Außerdem setzte die Stuttgarter Niederlassung, die das Projekt betreute, eine Architektin als BIM-Managerin ein. "Wir konnten die Kosten für die BIM-Managerin zwar nicht dem Bauherren in Rechnung stellen, doch für den Erfolg des Projekts war es wichtig, eine Ansprechpartnerin für alle Beteiligten zu haben", sagt Jacob.

Im BIM-Team von Wolff & Müller arbeiten zehn Bauingenieure, Architekten, Wirtschaftsingenieure und Informatiker in einem Großraumbüro zusammen. Sie passen die BIM-Arbeitsweise an die Anforderungen des Unternehmens und der Projekte an. "Wir geben dieser Arbeitsgruppe viel Freiraum, denn sie entwickelt neue Methoden und Prozesse für uns", sagt Jacob. An digitalen Planungs-Tools führe kein Weg vorbei, meint Jacob. Doch manche Auftraggeber bleiben kritisch. "Manche Bauherren lehnen BIM komplett ab, andere sehen den Nutzen, und manche versprechen sich viel mehr davon, als die Arbeitsmethode momentan leisten kann."

Mit dem verbindlichen Stufenmodell für öffentliche Infrastrukturprojekte des Verkehrsministeriums bis 2020 und der Ankündigung der Deutschen Bahn, alle Neubauten nur noch mit digitalen Werkzeugen zu planen, rückt das digitale Bauen stärker ins Bewusstsein. Auch der Interessenverband "Planen Bauen 4.0" wirbt für BIM und setzt sich für eine Standardisierung ein. "In Deutschland mit seinen 16 Bundesländern ist es schwieriger, BIM in den jeweiligen Bauordnungen festzuschreiben, doch ich bin optimistisch, dass wir in den nächsten zwei Jahren große Fortschritte machen werden", meint Jacob.

Der Unternehmer hofft, dass die Baubranche digitales Bauen als Chance begreift. "Der größte Fehler ist, wenn der Chef eines Unternehmens nicht dahinter steht. BIM-Einzelkämpfer in Planungsbüros haben keine Chance, denn digitales Bauen verändert mehr als nur die Art und Weise, wie Pläne gezeichnet und aufbewahrt werden."

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: