Diesel-Affäre:Wolfsburger Sparpaket

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Um die Folgekosten des Skandals stemmen zu können, kürzt VW die Investitionen. Vorrang haben sollen Elektromobilität und digitale Vernetzung. Bei den Details aber gibt es noch Gesprächsbedarf.

Von Thomas Fromm, Berlin

Manager mögen es, wenn sie schon im voraus wissen, was an finanziellen Belastungen auf sie zukommt. "Planungssicherheit" nennen sie das. Denn nur wenn sie einen Überblick über ihre Ausgaben haben, können sie einigermaßen entscheiden, wie viel Geld sie überhaupt ausgeben können. Wenn sie nicht genau wissen, was auf sie zukommt, sagen sie dann gerne: "Wir fahren auf Sicht."

Genau so hat es nun VW-Chef Matthias Müller, 62, formuliert: auf Sicht fahren. Es ist ein schönes Bild und es passt natürlich sehr gut zu einem Autokonzern, der wegen manipulierter Abgaswerte in der größten Krise seiner Geschichte steckt. Weil man nicht weiß, was hinter der nächsten Kreuzung auf einen lauert, fährt man langsam, die Hand immer am Schaltknüppel und den Fuß knapp über der Bremse.

Die Sichtverhältnisse bei VW sind derzeit, um im Bild zu bleiben, die eines Fahrers bei einer nächtlichen Autobahntour Mitte November. Dichter Nebel, Eisregen, dazu die Gefahr von Bodenfrost und entgegenkommendem Verkehr.

Eine gefährliche und teure Nachtfahrt ist das. Die Kosten für die Diesel-Affäre könnten in die Milliarden gehen - die Rede ist mal von 20, 40 oder 50 Milliarden Euro. Schon jetzt spricht der Konzern mit internationalen Großbanken über eine Brückenfinanzierung. Die Summe, die im Raum steht: 20 Milliarden Euro.

Es drohen Klagen von Behörden, von Investoren, von Kunden, noch dazu ist längst nicht klar, wie die elf Millionen Diesel-Fahrzeuge, bei denen betrogen wurde, umgerüstet werden sollen. Geschweige denn, wie viel das am Ende kostet. Möglich sogar, dass VW gezwungen werden könnte, seine vom Abgas-Skandal betroffenen Diesel-Fahrzeuge in den USA wieder von den Kunden zurückzukaufen.

Finanziell wäre das ein Desaster.

Im kommenden Jahr wird eine Milliarde Euro weniger investiert

Weil VW also nicht weiß, wie viele Milliarden das alles kosten wird, nimmt man nun den Fuß vom Gas und investiert im nächsten Jahr eine Milliarde Euro weniger als in den Vorjahren. "Für 2016 werden wir die Sachinvestitionen auf maximal zwölf Milliarden Euro reduzieren", sagte Müller am Freitag nach einer Aufsichtsratssitzung in Wolfsburg. So sieht es also aus, wenn VW-Chef Müller auf Sicht fährt.

Für den Konzern ist das ein gewaltiger Schritt: Denn die nächsten Jahre sollten eigentlich Rekordjahre werden. Allein für den Zeitraum 2015 bis 2019 waren Rekordinvestitionen von 85,6 Milliarden Euro geplant - das wären rund 17 Milliarden Euro pro Jahr gewesen.

Jetzt also nur noch zwölf Milliarden. Nun wären viele Unternehmen froh, wenn sie überhaupt so viel Geld im Jahr einfahren würden, wie VW insgesamt investiert. In einem Auto-Konglomerat wie VW mit 600 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 200 Milliarden Euro aber sind solche Investitionen normal, und jede Veränderung birgt Sprengstoff. Denn nun geht es um die Frage, wo gespart wird.

Müller ist diplomatisch genug, an so einem Tag nicht ins Detail zu gehen. Man werde sich nun "alle Investitionen und Ausgaben genau anschauen", kündigte er an. Was nicht zwingend notwendig sei, werde entweder gestrichen oder geschoben.

Ausgebremst: Die nächste Generation der Limousine Phaeton wird vorerst verschoben. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Nur: Was ist hier schon zwingend notwendig, was nicht?

Hinter den Kulissen ist er nun in vollem Gang, der Kampf ums Geld. Dass nun ein geplantes Design-Zentrum von VW in Wolfsburg "etwas später" gebaut wird, wie VW mitteilt - geschenkt. Es geht hier laut Konzern um einmalige Einsparungen von rund 100 Millionen Euro. Interessanter ist da schon, dass die nächste Generation der Limousine Phaeton "etwas verschoben" wird.

Der wahre Sprengstoff aber liegt hier: VW werde nicht auf "Kosten der Zukunft sparen", so Müller - und damit stark in die "Technologien von morgen" investieren. Also Elektroautos und die digitale Vernetzung der Fahrzeuge. Interessant auch, was Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen und VW-Aufsichtsrat, dann am Nachmittag sagte: "Was zur Produktentwicklung nicht notwendig ist, muss verschoben oder gar gestrichen werden." Wenn klar ist, dass man in die Zukunft investieren will, ist auch schon mal geklärt, wo man nicht mehr so viel investieren wird: in die Technologien von gestern nämlich.

Der Personalvorstand geht. Einen Nachfolger gibt es noch nicht

VW als Laboratorium - die Abgasaffäre wirbelt Pläne durcheinander, nicht nur bei den Investitionen. Auch personell läuft einiges nicht nach Plan: So hat das Unternehmen derzeit keinen Nachfolger für Horst Neumann, 66, den Personalvorstand, der in zwei Wochen in den Ruhestand geht. Seit Langem schon wurde darüber spekuliert, Betriebsratschef Bernd Osterloh könnte ihm folgen. Dieser dementierte in der Vergangenheit solche Gerüchte, mal vehement, mal weniger vehement. Statt auf den Millionen-Posten zu wechseln, bleibt Osterloh nun aber oberster Arbeitnehmervertreter im Konzern. Ironie der Geschichte: Selbst wenn er den Vorstandsposten gewollt hätte, hätte er ihn nicht annehmen können - nicht in diesen Zeiten.

Denn der Betriebsrat ringt gerade mit dem Management um den richtigen Sparkurs, wegen der Affäre steht viel auf dem Spiel, es geht auch um Arbeitsplätze. Jetzt die Seiten zu wechseln, hätten ihm die Kollegen wohl ziemlich übel genommen.

Da der Konzern offenbar keinen anderen Kandidaten hat, macht es nun: Matthias Müller selbst. "Der Aufsichtsrat geht davon aus, dass er einen Nachfolger kurzfristig benennen wird", hieß es in der VW-Mitteilung. Bis auf weiteres soll nun der Chef das Vorstandsressort übernehmen - es wird damit also zur: Chefsache.

Das Ganze ist nicht ohne. In Zeiten, in denen der Betriebsrat und das Management über Sparpläne, Konzernumbau und neue Strategien diskutieren, haben die Arbeitnehmervertreter mit Müller einen Vorstandschef als Verhandlungspartner, der gleichzeitig Personalchef ist. Ab jetzt ist also alles aus einer Hand.

Viele heikle Fragen bleiben nun offen. Die Frage, wer irgendwann Personalvorstand bei VW werden soll, ist nur eine davon.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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