Dienstleister:In der Servicehölle

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Unternehmen wie die Bahn bürden ihren Kunden immer mehr von dem auf, was sie früher selbst übernommen haben - und verprellen sie so. Schlimmer ist: Eine Spaltung der Gesellschaft droht.

Alexandra Borchardt

Die Verbraucher haben in den vergangenen Jahren einiges gelernt. Sie können nun ihr Bankkonto selbst verwalten, ohne Hilfe Flüge buchen, ihre Urlaubsfotos ausdrucken, und Geübte schaffen es sogar, sich ihren Telefonanschluss alleine zu installieren. Vor allem gelernt haben sie dabei aber auch eins: Kommt man nicht gerade als Großkunde mit extra Kleingeld daher, ist man den Firmen, die diese Leistungen früher selbst übernommen haben, meist herzlich egal.

Wer einen Fahrschein am Schalter kauft, muss bezahlen. Beim Kauf am Automaten spart man sich das Aufgeld. (Foto: Foto: AP)

Die Deutsche Bahn hat ihren Kunden diese Lektion gerade aufs Neue erteilt. Wer künftig einen Fahrschein am Schalter kaufen möchte, muss eine Servicegebühr bezahlen. Wer im Internet oder am Automaten selbst auf die Suche geht, kann sich das Aufgeld sparen. Dienstleistung wird zum kostenpflichtigen Zusatzangebot. Viele Firmen prahlen mit ihrem Service und bieten in Wahrheit immer weniger davon.

Intelligentes Geschäftsmodell

Nun hat der Verkehrskonzern diese Art der Einnahmeförderung nicht erfunden: Fluggesellschaften kassieren Zuschläge für Kerosin und Koffer, Banken lassen sich Kontoauszüge vergüten, und an der Telefon-Hotline wird pro Minute abgerechnet, während der Techniker das Computerproblem fernmündlich in den Griff zu bekommen versucht.

So etwas gilt als intelligentes Geschäftsmodell: Es verschleiert den wirklichen Preis einer Leistung. Und die Firmen können jede Arbeitsstunde, die der Kunde selbst in Gebrauchsanleitungen wühlt oder im Internet surft, von ihren eigenen Personalkosten abziehen.

Auf längere Sicht schaden sich die Unternehmen damit jedoch selbst. Denn sie verprellen das Wichtigste, was sie haben: ihre Kunden. Wenn alle den gleichen Hotline-Service bieten, machen sie sich austauschbar. Loyalität schwindet, der Käufer geht dahin, wo der Preis am niedrigsten ist. Dabei weiß jeder Marketing-Fachmann: Einen Kunden zu halten kostet den Bruchteil dessen, was investiert werden muss, um einen neuen zu gewinnen.

Was aber viel schlimmer ist: Solche Praktiken tragen zur Spaltung unserer Gesellschaft bei. Jene Menschen, die gut ausgebildet sind, sich im Internet zurechtfinden oder genug verdienen, um sich bei Bedarf Hilfe zu holen, fügen sich meist - wenn auch murrend - in ihr Schicksal.

Sie klicken sich online durch Hotelangebote, bellen "Ja" in den Telefonhörer, wenn eine elektronische Stimme ihnen verschiedene Funktionen erläutert, oder drücken tapfer "weiter", damit der Automat den Fahrschein ausspuckt. Immerhin haben sie auch deutliche Vorteile: Sie sparen sich das Warten am Bank- oder Fahrkartenschalter, können rund um die Uhr einkaufen, sich Sonderangebote sichern oder nach Feriendomizilen suchen.

Die, die am wenigsten haben, müssen am meisten zahlen

Jene Menschen aber, die sich nicht mit moderner Technik anfreunden, weil sie sie nicht bezahlen können oder schlicht nicht verstehen, werden abgehängt. Das sind vor allem Arme und Ältere. Die, die am wenigsten Geld zur Verfügung haben, müssen dann unter Umständen am meisten zahlen.

Das ist besonders schlimm, wenn der Kunde keine Auswahl hat, auf eine Dienstleistung aber angewiesen ist. Die alte Dame, die einmal in der Woche mit der Zehn-Euro-Fahrkarte ihren Enkel besucht, wird kaum ausweichen können. Sie wird den Umgang mit dem Automaten lernen oder die 2,50 Euro Aufschlag zahlen müssen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Unternehmen, die in den Service investieren, von kompetenten Kunden profitieren werden.

In anderen Branchen, zum Beispiel bei den Telekommunikationsfirmen, sieht es wegen größerer Konkurrenz etwas besser aus. Wobei derjenige, der aus Wut über den schlechten Service die Deutsche Telekom verlässt, sich meist auch nur in einer anderen Warteschleife wiederfindet.

Die Kunden sind an dieser Misere nicht ganz unschuldig. Wer sich im Reisebüro oder beim Elektronikhändler um die Ecke beraten lässt und trotzdem im Internet bucht oder einkauft, trägt dazu bei, dass sich Firmen Serviceleistungen extra honorieren lassen. Dies darf die Unternehmen aber nicht aus der Pflicht lassen: Mit besserer Beratung hätten sie manchen Kunden halten können.

Kein Rückschritt in alte Zeiten

Nun will kaum jemand einen Rückschritt in alte Zeiten. Viele Menschen genießen die Annehmlichkeiten moderner Technik. Gebraucht werden aber intelligente Lösungen. So müssen Maschinen benutzerfreundlich sein. Warum gibt es nicht Fahrkartenautomaten mit Spracherkennung oder Ruftaste, über die der Kunde Betreuung holen kann? Warum muss man für ein Handy 50 Seiten Gebrauchsanleitung studieren?

Viele Firmen, die auf der Konsumelektronikmesse IFA nach Kunden suchen, sehen etliche davon zum Stand von Apple pilgern. Der US-Konzern hat es als einer der Ersten verstanden, dass Technik dem Benutzer dienen soll und nicht den Technikern.

In Dienstleistungsunternehmen muss sich Dienst am Kunden auszahlen. Mitarbeiter sollten für guten Service belohnt werden, Unternehmen ehrliche Preise machen. Wer für Energie-, Personal- oder Instandhaltungskosten extra kassiert, lädt seine Risiken den Konsumenten auf. Schließlich werden überall Lotsen gebraucht, Menschen, die die Verbraucher auf dem Weg zu den neuen Möglichkeiten begleiten. Das fängt in der Schule an und endet beim Helfer vor dem Fahrscheinautomaten. Wer in den Service investiert, wird von kompetenten Kunden profitieren.

© SZ vom 01.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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