Die Globalisierungsgegner:"Genua hat unser Bild vom Rechtsstaat verändert"

Lesezeit: 4 min

Miriam und Tobias wurden bei Protesten gegen den G-8-Gipfel verhaftet - das hat sie verängstigt, aber in ihrem Denken bestärkt.

Nina Bovensiepen

(SZ vom 04.10.2001) - Nein, abschrecken lassen wollen sich Miriam und Tobias nicht von dem, was sie in Genua erlebt haben.

Im Gegenteil: Was auf dem G-8-Gipfel in der italienischen Hafenstadt passiert ist, hat die beiden nur bestärkt. Die Gewalt, die Gefängnishaft und das bevorstehende Gerichtsverfahren haben ihnen zwar Angst gemacht - sie haben sie aber auch bestätigt in ihrer Kritik an den herrschenden Verhältnissen und in ihrem Willen, daran etwas zu ändern.

Miriam und Tobias (ihre Nachnamen möchten die beiden nicht in der Zeitung lesen) gehörten zu den 92 Demonstranten, die während des G-8-Gipfels in Genua in der Armando-Diaz-Schule von Spezialeinheiten der italienischen Polizei verhaftet wurden.

Die Festgenommenen, unter ihnen mehr als 40 Deutsche, wurden fünf Tage in Italien festgehalten, zuerst in einer Militär-Kaserne, dann in verschiedenen Gefängnissen. "Was wir in den Tagen und Nächten dort erlebt haben, war Psycho-Terror und Folter", sagt Miriam.

Prügelnde Polizisten

Mehr als zwei Monate nach Genua gehen den beiden die Bilder noch nicht aus dem Kopf. Sie erzählen von prügelnden Polizisten; von kalten Gefängnis-Zellen mit Steinfußböden, in denen sie nachts bei brennendem Licht und ohne Decken schlafen mussten; von Mithäftlingen, die wegen chronischer Krankheiten dringend benötigte Medikamente nicht erhielten; von Toilettengängen nur unter Aufsicht; von Nächten, in denen die Festgenommenen gezwungen wurden, stundenlang mit erhobenen Händen an der Wand zu stehen; davon, dass ihnen der Kontakt zu Angehörigen und Anwälten bis zum Schluss verweigert wurde.

Die beiden sind immer noch verwundert über die Dynamik, mit der sich in Genua die in relativ geordneten Bahnen verlaufenden Protestveranstaltungen in schwer gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten verwandelt hätten.

Und auch wenn schon die Vorbereitungen des G-8-Gipfels ahnen ließen, dass dies keine friedliche Veranstaltung werden würde: "Das Ausmaß der Gewalt, das von der italienischen Polizei ausging, hat uns einfach überrascht", sagt Tobias. "Unser Bild des Rechtsstaates hat sich seit Genua sehr verändert."

Klischees versagen

Miriam und Tobias gehören nicht zu den "Profi"- Demonstranten, die zu jedem Treffen der Mächtigen der Welt reisen, um ihrem Protest Luft zu machen.

Die beiden gehören bisher auch keinem der Netzwerke wie zum Beispiel Attac an, in denen sich Globalisierungskritiker zusammengeschlossen haben - deshalb finden sie den Vorwurf der italienischen Behörden so absurd, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein.

Auch gängige Klischees versagen: Miriam und Tobias kommen weder in Lederkluft noch mit Palästinensertüchern und Birkenstock-Latschen daher.

Aber natürlich gab es Gründe, weshalb sie sich das Zugticket nach Genua gekauft haben, die Rucksack- und Ausweis-Kontrollen - die erste am Münchner Ostbahnhof - von deutscher und italienischer Polizei in Kauf genommen haben und bei den Demonstrationen mitgemacht haben.

Ihr Engagement und ihre Kritik rühren vor allem aus Erfahrungen, die sie bei Aufenthalten in anderen Teilen der Welt gesammelt haben.

Tobias, der Sozial- und Wirtschaftsgeografie studiert, hat vergangenes Jahr ein Praktikum in Ecuador gemacht und dort für die Zeitschrift blätter des informationszentrums dritte welt gearbeitet.

In diesem Jahr war er länger in Peru, um für seine Diplomarbeit über den alternativen Handel mit Kaffee zu recherchieren. Miriam war 1997 für das Münchner Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit im mexikanischen Chiapas.

Ihre Aufgabe war es, als Friedensbeobachterin das Verhalten des Militärs gegenüber der Bevölkerung zu untersuchen. Dieses Jahr war die Politikstudentin ebenfalls in Peru.

Die Erfahrungen in diesen Ländern haben das Weltbild der beiden verändert. "Es macht einen sehr nachdenklich, was man dort sieht", sagt Tobias: Die Ausbeutung von Bodenschätzen in armen Staaten durch multinationale Konzerne; die Armut von großen Teilen der Bevölkerung, die sich gegen eine machthabende Elite nicht wehren können; korrupte und rassistische Regime; die Vorherrschaft von globalen Unternehmen, die unter dem Deckmantel der Arbeitsplatz-Schaffung nur eigene Interessen verfolgen.

"Wir wollten dann nicht einfach untätig bleiben, nachdem wir wieder nach Deutschland zurückgekommen waren", sagen sie; nicht mehr nur die Zustände beklagen und die Kritik mit Gleichgesinnten teilen, sondern dazu beitragen, dass sich etwas ändert.

Deshalb haben sie sich intensiv damit auseinander gesetzt und viel Wissen darüber gesammelt, wie internationale Institutionen funktionieren, welche Aufträge sie für wen wahrnehmen - wie also die Macht verteilt ist auf dieser Welt.

"Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit", sagt Tobias. Entsprechend hart fallen die Kritik und die Forderungen der beiden aus - die sie mit vielen anderen Globalisierungskritikern teilen.

Sozialistische Ideen

"Uns wird immer vorgeworfen, dass wir kein Gegenkonzept haben", sagt Miriam, "dabei haben wir sehr konkrete Ideen." Dass diese die Grundfesten der herrschenden Weltordnung infrage stellen , etwa weil sie zum Teil auf sozialistischen Ideen aufbauen, ist ihnen durchaus bewusst.

So fordern sie zum Beispiel, dass der Staat - in Entwicklungs- wie in Industrieländern - allen Menschen eine kostenlose Minimalversorgung mit Medizin, Bildung und sozialen Leistungen garantieren soll.

Sie plädieren für die bedingungslose Entschuldung der Entwicklungsländer, einen Stopp der Waffenproduktion und internationale Abkommen zum Handel mit Gütern und Dienstleistungen, die sich an den Interessen der Schwachen in der Gesellschaft orientieren.

An vorderster Stelle steht jedoch die Forderung nach der Abschaffung von Nato, Internationalem Währungsfonds und Weltbank - "das sind Institutionen, die nur im Interesse der reichen Industriestaaten und globaler Konzerne agieren", sagt Tobias.

Krieg ist keine Lösung

Miriam und Tobias wissen, dass viele ihrer Ziele unrealistisch sind. Und es ist wohl auch so, dass manche Forderungen bewusst provokativ formuliert sind, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Ein Muster, das man auch von anderen Protestbewegungen kennt. Sie beginnen mit idealistischen Vorstellungen, und passen ihre Forderungen erst an die realen Verhältnissen an, wenn sie sich in der Praxis behaupten müssen.

Dieser Test freilich hat für die Globalisierungsgegner in den vergangenen Monaten begonnen. Miriam und Tobias haben zwar noch das Gefühl, "dass die Politiker uns als Bedrohung empfinden". Immerhin findet die Kritik aber inzwischen Gehör.

Auf Gipfeln wie in Seattle, Göteborg oder Genua wird ihnen Gesprächsbereitschaft signalisiert. Bei wichtigen Ereignissen, wie zum Beispiel den Terror-Anschlägen in Amerika, stößt ihre Meinung auf Interesse.

Miriam und Tobias haben diese tragischen Vorkommnisse noch in ihrem Denken bestärkt. Krieg als Antwort auf den Terror könne nicht die Lösung sein, meinen sie. "Der Terrorismus ist am ehesten einzudämmen, wenn seine Ursachen bekämpft werden.

Und das sind eben auch die Ungerechtigkeit und Ungleichheit der momentanen Weltordnung", sagt Tobias. Er und Miriam wollen sich auch von solchen Erlebnissen wie in Genua nicht abhalten lassen, weiter dafür zu kämpfen, dass sich daran etwas ändert.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: