Die Debatte im "Spiegel":Alle Wege führen nach Rom

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Die neue Solidarität für Chefredakteur Stefan Aust - und der Traum von der Ewigkeit.

Hans-Jürgen Jakobs und Kai-Hinrich Renner

Am vorigen Samstag lud TV-Moderator Ulrich Wickert in sein Hamburger Heim zu französischem Käse und Wein. Unter den 80 Gästen waren Manager des Großverlags Gruner + Jahr (G+J), Chefredakteure großer Blätter und gestandene Autoren - wer sich eben so zur hanseatischen Medienelite zählen darf.

Die frankophile Runde hatte ihre bunten Tagesthemen. Oft ging es um eine Zeitschrift: Was passiert beim Spiegel? Wer hat das Sagen bei Deutschlands größtem Nachrichtenmagazin?

Praktischerweise saß Stefan Aust, der Chefredakteur, mit am Tisch. So konnten die Interessierten aus erster Hand Neues von einem Machtkampf hören, der längst einer Nestroyschen Posse ähnelt.

Revolution fällt aus

Dabei scheint es darum zu gehen, wer künftig das Vakuum füllt, das der im November 2002 gestorbene Spiegel-Gründer Rudolf Augstein hinterlassen hat.

Weiter der 59-jährige Aust, der seit elf Jahren amtiert und durch TV-Aktivitäten im Blauhemd bekannt wurde? Oder setzen sich die Erben Augsteins und Vertreter der Spiegel-Mitarbeiter durch, die Zweifel an der derzeitigen Kultur des Hauses und am Chefredakteur haben?

Die Debatte mündet in einer Gesellschafterversammlung am heutigen Mittwoch. Tagesordnungspunkt: die politische Berichterstattung des Spiegel. Um 17 Uhr dann üben sich in der ebenerdigen Kantine mit dem Sechziger-Jahre-Psychedelic-Chic die am Verlag beteiligten Mitarbeiter in Gruppentherapie.

Sicher ist schon jetzt: Der Chefredakteur wird wohl noch eine Weile Stefan Aust heißen. Die Revolution fällt aus.

Tagelang schien das Verfassen öffentlicher Erklärungen die sprachbegabten Redakteure im Spiegel auszufüllen. Alle äußerten sich: Ressortleiter, Mitarbeiter-Vertreter, selbst die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr, die mit 25,5 Prozent am Spiegel beteiligt ist.

Am Ende lief es ganz für den intern bisher nicht gerade heiß geliebten Primus Aust, der sich auf Machtspiele solcher Art versteht und nach Aussage mancher für ein Klima der Angst gesorgt hat.

Die härteste Kritik kam von außen, da schlossen sich innen rasch die Reihen. In einer Rede auf einem Zeitungskongress hatte Gesellschafterin Franziska Augstein - in ihrer Rolle als Journalistin - den Pressemarkt analysiert, vor Private-Equity-Firmen gewarnt und nebenbei gesagt, der Spiegel sei kein Leitmedium mehr, sondern "ein geschwätziges Blatt unter vielen".

Schon bei der Trauerfeier nach dem Tode ihres Vaters hatte die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung beklagt, dass Hasen an der Mähne des Löwen zupften. Offenbar geht es ihr um bessere politische Themensetzung sowie mehr offene Aussprache im Verlag ihres Vaters. Bei Gesellschaftertreffen tritt ihr Bruder Jakob auf, der nicht glücklich über die Rede der Schwester sein soll.

In den vergangenen Wochen war auch Thomas Darnstädt, Sprecher der Mitarbeiter KG (Spiegel-Anteil: 50,5 Prozent), als Opponent gegen Aust aufgefallen. Der Jurist machte die Besetzung der künftigen Chefredaktion und die Herausgeberschaft im Spiegel zum Thema.

So redeten und schrieben sie gegeneinander. Ein Haus vieler Stimmen - und ohne Moderator und letzte Instanz.

Tatsächlich lässt der Spiegel politisch einiges missen. Es fehlen Kommentare, mit denen Augstein an der Republik mitbaute. Chefredakteur Aust ließ es beim Networking.

Er genoss lange die Nähe zu Duzfreund Gerhard Schröder. Die Liebe zerbrach - im Bundestagswahljahr 2005 rechnete sein Blatt mit Rot-Grün ab. Während sich Angela Merkel im Juli und im Oktober Spiegel-Gesprächen präsentierte, war der SPD-Mann lange nicht mehr im Kreuzfeuer des Magazins.

Doch Darnstädts forsche Kritik an "Qualitätsmängeln" im eigenen Blatt kamen intern so gut an wie eine lange Gegendarstellung. Der Geschäftsführer der Mitarbeiter KG dürfte monieren, dass ein Stück über die Steuerreformpläne des Wissenschaftlers Paul Kirchhof mit falschen Zahlen aus just dessen Institut garniert worden war.

Aust - ein Quasi-Herausgeber

Es soll auch um eine Spiegel-Meldung über Wahlkampfhilfen von Künstlern für Kanzler Schröder gehen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Juni falsch war. Damit wird auf den Berliner Büroleiter Gabor Steingart gezielt. Er soll vor einer Kandidatur für die Chefredaktion gestoppt werden.

Nicht vergessen hat Darnstädt wohl auch Vorgänge vom Juni, als Deutschland-Chef Hans-Joachim Noack, so berichten Ressortleiter, die Brocken hinwarf. Statt einer von ihm angeregten Story über die konzeptlose Union wurde offenbar auf Steingarts Wunsch hin ohne Rücksprache ein Stück über den glücklosen Schröder zur Titelgeschichte.

Offiziell wird Noack im Impressum weiter als Ressortleiter geführt, angeblich auf Betreiben Austs. Der Chefredakteur dementiert diese Darstellung der Dinge.

Jurist Darnstädt argumentiert gern mit der Spiegel-Satzung. Die sieht in Paragraph vier vor, dass eine "Festlegung und Änderung der grundlegenden (Herausgeber)-Richtlinie für die redaktionelle Gestaltung des Spiegel" der Zustimmung der Gesellschafter bedarf.

Doch der Griff zum Papier wird nicht reichen, die Zukunft des Spiegel schon jetzt zu bestimmen. Die Vertreter von G+J wollen auf der aktuellen Gesellschaftersitzung bei inhaltlichen Fragen stumm bleiben. Dem Verlag sind die Spiegelfechtereien egal, solange die Rendite stimmt. Auf mittlere Sicht kann sich die Bertelsmann-Tochter wohl eine Erhöhung ihrer Anteile am Spiegel vorstellen - und eine Doppelspitze in der Chefredaktion. Vorbild: der konzerneigene Stern.

Gut möglich also, dass es am Mittwoch für Darnstädt eng wird. Der Angreifer wird zum Angegriffenen. Er muss sich in der Kantinensitzung vermutlich heftiger Kritik stellen; eine Abwahl ist indes nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit möglich.

Der preisgekrönte Reporter Cordt Schnibben, der das Ressort Gesellschaft leitet, wird von Kollegen gebeten, spätestens 2007 bei der Neuwahl der Mitarbeiter-KG-Chefs anzutreten.

Diese nächste Amtsperiode wird interessant: Der neue Dreijahresvertrag von Chefredakteur Aust (geschätztes Grundgehalt: 600.000 Euro) beginnt am 1. Januar 2006 - eine Verlängerung um zwei Jahre ist möglich.

Aust selbst hatte im G+J-Blatt Park Avenue das Gerücht unkommentiert gelassen, es gebe eine Offerte als Fernsehvorstand im Springer-Konzern.

Spiegel-Gründer Augstein hielt viel von dem Autodidakten, gleichwohl spielte er immer wieder mal mit dem Gedanken, ihn abzulösen - zum Beispiel wohl im November 2000, als ein Oeuvre über Hitlers Frauen doch nicht Titelgeschichte wurde.

Zu einer wirklichen Machtprobe hat sich der Alte jedoch nicht entschließen können. Auch forderte Augstein vergeblich, dass seine Kinder weiter eine Sperrminorität halten könnten.

So ist Aust heute ein Quasi-Herausgeber; die operative Chef-Arbeit teilen sich seine Stellvertreter. Er selbst kümmert sich viel um elektronische Medien und ist oft bei Spiegel-Gesprächen mit im Bild. So viel Solidarität wie jetzt hat der Bauernsohn von der Elbe im Spiegel nie erfahren. So mitteilsam war er auch noch nie.

In einem Sechs-Punkte-Papier erklärte Aust: "Was hier geschehen ist, schadet allen" und riet: "Wachsam sein". Zwei Fehler rechtfertigten nicht, "im Stil eines Staatsanwalts die Gesellschafter über die Medien zum Einschreiten aufzufordern".

Und: "Es gibt beim Spiegel keinen Politkommissar, und es sollte ihn auch nicht geben." Dann zitierte er noch seinen Widersacher Darnstädt mit dessen Apercu, der Spiegel sei "wie die Stadt Rom, ewig und unvergänglich". Irrtum, meint Aust: "Man kann ihn kaputtmachen. Das sollten wir nicht zulassen. "

Alle Wege führen nach Rom: Der Unnahbare ist, fast, zum Unberührbaren geworden. Allerdings, auch darauf ist beim Spiegel Verlass - in einem halben Jahr kann alles wieder anders aussehen.

Rudolf Augstein selbst hatte Turbulenzen erwartet: Bei einem solchen Blatt könne man die Nachfolge nicht regeln, sagte er zu Vertrauten. Der Spiegel-Gründer sah ein Vakuum kommen - wenn einer es schlecht ausfülle, na ja, dann werde sich halt Neues entwickeln.

Welt im Wandel - das könnte ein Thema für die nächste Party von Ulrich Wickert sein.

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