Die Angreifer:Ein Land auf Speed

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Der Südkoreaner Lee entwickelte die App Toss - und wurde damit unverhofft zum Fintech-Pionier.

Von christoph neidhart, Seoul

Im Herbst 2014 begannen die Südkoreaner, sich Sorgen zu machen. Es gab Vorwürfe, ausgerechnet das Hightech-Land habe "Fintech" verschlafen. Staatspräsidentin Park Geun Hye erklärte die Pflege von Start-ups deshalb zur Chefsache. Lee Seung Gun hatte das Wort Fintech allerdings noch nie gehört, als er vor zwei Jahren seine Zahlungs-App "Toss" für Smartphones zu entwickeln begann. Und Toss gab es vor einem Jahr bereits als "Beta", die App befand sich also schon im Praxis-Test. Und was geschah in dem Land? Die veralteten Finanzgesetze wurden angepasst, der 33-jährige Lee wurde noch vor dem Roll-out von Toss als Start-up-Gründer des Jahres geehrt. Im Februar kam Toss in den App-Store von Apple und den Playstore von Android. Lee wurde unvermutet zum Fintech-Pionier.

Wer die App mit seinem Bankkonto verbindet, kann jedem anderen Smartphone-Besitzer in Korea mit drei Klicks Geld überweisen. Dazu braucht er nur die Telefon-Nummer des Empfängers: keine Kreditkarte, kein spezielles Konto und auch keinen Zusatz-Chip im Handy.

Geld überweisen ist in Korea umständlich. Vom Laptop aus braucht es für fünf Schritte je ein Passwort. Dabei hat fast jeder erwachsene Koreaner einen Kleincomputer in der Tasche - das Smartphone. Das war Lees Chance. In sechs Monaten hat Toss 200 000 Nutzer gewonnen, Ende 2015 sollen es eine Million sein. Allerdings droht der Branche, die vor anderthalb Jahren noch gar nicht existierte, ein scharfer Verdrängungswettbewerb. Etablierte Internet-Firmen, allen voran der Online-Gigant "Daum-Kakao", dessen "Kakao Talk" auf 95 Prozent aller koreanischen Smartphones installiert ist, will das Zahlungsgeschäft an sich reißen. Er bietet zwei Zahlungs-Apps an: Kakao Pay für Kreditkarten und BankWalletKakao für Bar-Überweisungen.

Handynutzerin in Seoul: Fast jeder erwachsene Südkoreaner besitzt ein Smartphone. (Foto: AFP)

Der Einzelhandel sperrt sich gegen Kreditkarten-gestützte Zahlungen, die Kosten sind zu hoch. Und Toss ist BankWalletKakao - wie auch den übrigen Mitbewerbern, die inzwischen aufgetaucht sind, überlegen. Für einen Kakao-Transfers brauchen beide Seiten die App, bei Toss nur der Sender. Doch in Korea haben es die Kleinen schwer. Privat-Transfers mit Toss sind kostenlos. Geld verdienen will Lee deshalb mit dem Einzelhandel, dem er nur die Hälfte dessen in Rechnung stellt, was Kreditkartenfirmen verlangen. Zuvor muss er aber noch mit den Banken verhandeln: Denn von zwanzig Geldinstituten akzeptieren erst elf Toss, zwei stehen vor Vertragsabschluss. Voriges Jahr feilschte Lee noch mit der Finanzaufsicht um Gesetzesänderungen. Nun muss er bereits einen Umzug vorbereiten, denn die Büros sind zu klein geworden, inzwischen wird sogar im Sitzungszimmer gearbeitet.

Lee, der von sich sagt: "Im Innern bin ich Ingenieur", ist inzwischen vor allem Manager und Verhandler. Ahn Ji Young, die für die Medien zuständig ist, kam zu Neujahr als Angestellte Nummer 8. Nun fängt schon Nummer 25 an. Ihre Eltern waren entsetzt, erzählt Ahn, als sie ihre sichere Stelle für den Start-up-Job aufgab. Das ist typisch Korea. "Damit mehr Start-ups reüssieren, müssen Koreas Mütter ihre Haltung ändern", meint Lee Han Joo, Mitgründer von Sparklabs, einem Inkubator, also einer Firma, die den Start-ups die Anfangs-Finanzierung organisiert und sie coacht.

Bei Toss müsse sie mehr Verantwortung übernehmen, so Ahn. "In traditionellen Firmen kontrolliert ein älterer Kollege jeden Schritt der Jungen." Das gab ihr Sicherheit. Zudem ist der Job bei einer großen Firma implizit garantiert. Eltern üben deshalb vor allem auf Söhne Druck aus, nicht zu Start-ups zu gehen.

Dennoch schrieb ein Tech-Blogger, ganz Südkorea sei ein Start-up. Seoul ist zu einem Zentrum für IT-Neuerungen geworden. Gefördert von der Regierung, Inkubatoren und Venture-Kapitalisten aus Silicon Valley, werden ständig neue Firmen gegründet. Google hat in Seoul seinen ersten "Campus" in Asien eröffnet, auch ein Inkubator. Wie in einer Uni beugen sich an Arbeitstischen, in der Cafeteria und im Lichthof junge Leute über Computer. Im Hörsaal gibt es Vorträge, an diesem Abend zum Beispiel über Körperbewusstsein. Von Google ausgewählte Start-ups genießen hier sechs Monate Gastrecht und Coaching. Zur Eröffnung im Mai kam sogar Präsidentin Park.

Auch die Geschwindigkeit, mit der die Koreaner Neues annehmen, macht Südkorea zum Start-up-Land schlechthin. Oder zum Sozial-Labor, wie manche Kritiker sagen. In keinem anderen Land gibt es so viele Spielsüchtige. Hat eine Neuerung eine gewisse Popularität erreicht, dann dauert es nicht lang und alle wollen sie haben. In wenigen Jahren werden die meisten Koreaner mit dem Smartphone zahlen. Ob mit Toss oder der Konkurrenz, entscheidet sich in diesen Monaten. Die Geldautomaten werden verschwinden - wie die Telefonzellen.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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