Deutschlands geheime Währung:Die Schatten-Mark

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Parallel zu den offiziellen Zahlungsmitteln hielt die Bundesbank jahrzehntelang ganz diskret Ersatznoten bereit — warum, ist bis heute unklar.

Von Martin Reim

Die Papierstücke tragen keine Bilder, sondern nur Zahlen, Buchstaben und Verzierungen in antiquiert wirkendem Design. Ihre aufgedruckten Werte lauten auf Pfennige und kleine Mark-Beträge, was den Eindruck verstärkt, es handle sich um Spielgeld aus einem alten Kaufmannsladen.

In der Tat waren die so genannten Bundeskassenscheine niemals gültige Zahlungsmittel. Dennoch wurden sie in der Nachkriegszeit in offiziellem Auftrag hergestellt -- warum und unter welchen Umständen dies geschah, ist allerdings seit Jahrzehnten geheimnisumwittert.

Von offiziellen Stellen ist nach wie vor keine umfassende Darstellung erhältlich. Was man weiß oder vermuten kann, hat der Buchautor Karlheinz Walz zusammengetragen. Er ist als Experte auf diesem Gebiet so anerkannt, dass die -- ansonsten höchst schweigsame -- Bundesbank seine Darstellungen als Quelle empfiehlt.

Aus Walz' Sicht gilt als sicher, dass es seit den sechziger Jahren eine Serie aus Geldscheinen parallel zu den offiziellen Münzen und Banknoten gab. Sie sollte im Notfall die umlaufenden Ausgaben rasch ersetzen, etwa bei einer Bedrohung der Bundesrepublik durch Staaten des Warschauer Paktes.

"Man stellte sich beispielsweise vor, dass der Ostblock versuchen könnte, die DM durch Falschgeld zu destabilisieren", sagt Walz. In diesem Falle hätte man die umlaufenden Stücke und Scheine für ungültig erklären und die Ersatzserie ausgeben können.

Mangel an Münzen

Auch gab es wohl das Szenario einer Hyper-Inflation wie im Jahre 1923, als ein Währungsschnitt und die rasche Ausgabe neuer Zahlungsmittel nötig wurden.

Ein Vorrat sei in solchen Fällen durchaus sinnvoll, meint der Experte. "Üblicherweise dauert es Jahre, bis eine einigermaßen fälschungssichere Serie hergestellt ist."

Die Bevorratung von Scheinen anstelle von Kleingeld geschah offensichtlich auch aus der Erfahrung heraus, dass in Krisen- und Kriegszeiten oft ein Mangel an Münzen herrscht -- zum einen, weil die Bevölkerung sie hortet, zum anderen, weil sie wegen ihres Metallgehalts eingeschmolzen und für andere Zwecke verwendet werden.

Die Serien selbst entstanden in zwei voneinander unabhängigen Schritten. Anfang der sechziger Jahre fertigte die Bundesbank Geldscheine in den Wertstufen 10, 20, 50 und 100 DM, dazu eine Ausgabe für Berlin, in der es auch einen Fünf-DM-Schein gab.

Oberbegriff dafür ist "Bittrof-Serie", nach dem Entwerfer der Scheine, dem Grafiker Max Bittrof. 1967 kamen die Bundeskassenscheine hinzu, die -- wie bei Münzen üblich -- die Bundesbank im Auftrag des Bundesfinanzministeriums produzieren ließ. Wertstufen waren hier 5, 10 und 50 Pfennig sowie eine und zwei DM.

Eingelagert wurden die Scheine in Silos und Tresoren der Bundesbank. Dies geschah überwiegend im Westen Deutschlands. Ein Teil kam auch nach West-Berlin, weil man eine Abschnürung des Gebiets -- analog zur Blockade des Jahres 1948 und dem Mauerbau 1961 -- fürchtete.

Die gesamte Aktion würde als "geheim" klassifiziert und lief so diskret ab, dass die Öffentlichkeit nur mitgeteilt bekam, dass Ersatzgeld existiert. Details blieben unbekannt. So gab es keine Abbildungen der Scheine, geschweige denn Exemplare in Privatbesitz.

Das änderte sich teilweise, als die Bundesbank beziehungsweise das Finanzministerium im Jahre 1988 beschlossen, die Serien zu vernichten. Begründung: Sie seien nicht mehr fälschungssicher genug, um bei einer Krise von entscheidendem Nutzen zu sein. Private Entsorgungsfirmen übernahmen den Auftrag.

Diebesgut

Dabei wurden eine Reihe von Bundeskassenscheinen gestohlen. Sie tauchten später bei Händlern auf, die bei der Bundesbank verblüfft nachfragten, ob die Papierstücke offiziell seien -- immerhin stehe "Bundesrepublik Deutschland" darauf. Die Währungsbehörde bestätigte die Authentizität und erklärte die Scheine zu Diebesgut.

Konsequenz: Jahrelang schalteten sich die Frankfurter ein, sobald Bundeskassenscheine im Katalog einer Versteigerung auftauchten. Wie ein Händler, der ungenannt bleiben will, berichtet, intervenierten die Währungshüter regelmäßig bei den Auktionatoren und forderten sie auf, die Stücke abzuliefern -- offenbar mit Erfolg. Gelungene Versteigerungen auf traditionellem Wege sind dem Experten zufolge aus dem letzten Jahrzehnt nicht bekannt.

Anders sieht es beim Internet-Auktionshaus Ebay aus. Dort sind regelmäßig Stücke im Angebot, und sie wechseln offensichtlich auch den Besitzer. Der Zehn-Pfennig-Schein kostet laut Experten etwa fünf Euro, die Ein-DM-Version rund 30 Euro, der Rest wird selten bis nie offeriert.

Es sind allerdings sämtliche Wertstufen der Bundeskassenscheine bekannt und in Münzkatalogen abgebildet. Anders sieht es bei den größeren Geldscheinen aus. Ein Handel existiert hier nicht, Abbildungen gibt es lediglich von einer Berliner Fünf-DM-Banknote ( H. Rosenberg, Die deutschen Banknoten ab 1871, Gietl Verlag, Regenstauf).

Bei einer Anfrage der Süddeutschen Zeitung im Bundesfinanzministerium sorgt schon das Wort "Bundeskassenscheine" für Missverständnisse. Denn seit einigen Jahren tragen kurz laufende Anleihen des Bundes diesen Namen.

Nach längerer Prüfung erklärt ein Sprecher, dass eine Suche nach Akten "unverhältnismäßig aufwändig wäre", weshalb man mit Auskünften nicht dienen könne. Man solle sich doch an die Bundesbank wenden.

Der dortige Leiter der Geldgeschichtlichen Sammlung, Reinhold Walburg, erklärt, in seinem Haus lägen von sämtlichen Scheinen noch Exemplare vor.

"Hintergründe aufarbeiten"

Man überlege derzeit, die Banknoten im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Dazu müssen wir aber erst die Hintergründe ihrer Entstehung aufarbeiten."

Und das könne noch längere Zeit dauern, meint Walburg. Nach seinen Worten ist es kein böser Wille, dass die Bundesbank nicht stärker über die Geldscheine informiere. "Wir haben die Informationen nicht gesammelt vorliegen und sind erst dabei, etwas zusammenzutragen."

So habe man das Archiv mit den vertraulichen Unterlagen der Bundesbank oder Unterlagen des Bundesfinanzministeriums noch nicht ausgewertet.

Die bisherigen Recherchen hätten keine Hinweise darauf ergeben, dass es explizit um Vorbereitungen für Krieg oder politische Krisen gegangen sei, sagt der Historiker.

Bei den Bundeskassenscheinen sei bislang nur die Rede davon, dass man "ganz allgemein einen eventuell auftretenden Kleingeldmangel beheben wollte". Und bei der Bittrof-Serie sei vorerst lediglich der Zweck identifiziert, "Fälschungen in größerem Umfang schnell entgegentreten zu können".

Eigene Serie für Berlin

Auch andere Notenbanken, beispielsweise die österreichische und die schweizerische, hätten damals Serien aus dem gleichen Grund drucken lassen, fügt der Wissenschaftler hinzu.

Sollten die größeren Scheine tatsächlich nur aus Furcht vor gewöhnlicher Kriminalität entstanden sein? Gegen diese These scheint beispielsweise die Tatsache zu sprechen, dass es eine eigene Berlin-Ausgabe der Bittrof-Serie gab.

Immerhin existierte bei den offiziell umlaufenden Scheinen keine Version für die geteilte Stadt. Angesichts solcher Phänomene mag Walburg denn auch "keineswegs ausschließen, dass sich doch noch ein politischer Hintergrund der Angelegenheit ergibt".

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