Deutsche Industrie :Leben von der Substanz

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Der Ausbau des Energienetzes in Deutschland soll künftig schneller vonstatten gehen. Unter anderem will der Bund dafür bürokratische Hürden beseitigen, die das Genehmigungsverfahren bislang verlängern. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Es gebe zu wenig Anreize für private Investoren, kritisiert das DIW. Der Staat soll die Bedingungen dafür schaffen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Für Marcel Fratzscher ist der Befund eindeutig: Deutschland, das sagt der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) immer wieder, lebt von der Substanz. Fratzscher machte so vor drei Jahren die Investitionslücke in Deutschland populär. Kurze Zeit später berief ihn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) als Chef in die Expertenkommission zur "Stärkung von Investitionen in Deutschland". Die legte vor einem Jahr ihren Abschlussbericht vor. Doch was hat sich seitdem getan?

Fratzscher hat mit zwei DIW-Forschern Zwischenbilanz gezogen. Das Ergebnis ist eher ernüchternd. Danach investiert die deutsche Industrie im internationalen Vergleich nach wie vor zu wenig. Dies geht aus dem neuen DIW-Wochenbericht hervor, der der Süddeutschen Zeitung  vorliegt.

Ob Straßen, Schienen oder Brücken, Produktionsanlagen, digitale Netze oder die Infrastruktur für die Energie - das Berliner Institut identifizierte bereits 2013 für den Zeitraum von 1999 bis 2012 eine Lücke bei den öffentlichen und privaten Investitionen in Höhe von 75 Milliarden Euro jährlich. Nun wertete das DIW aus, wie sich die Investitionen speziell bei den Unternehmen zwischen 2007 und 2013 entwickelt haben. Danach verlief die Erholung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise in den USA und Großbritannien viel dynamischer. Die privaten Investitionen lagen dort im Jahr 2015 um zehn bis fast 14 Prozent höher als im Vorkrisenjahr 2007. In Deutschland und Frankreich bewegen sie sich hingegen auf dem Niveau vor der Krise, obwohl hierzulande die Wirtschaftsleistung deutlich stärker gewachsen ist. Fratzscher sieht daher bei den privaten Investitionen nach wie vor den größten Bedarf, sowohl im Dienstleistungssektor als auch im verarbeitenden Gewerbe.

Dies liege allerdings nicht an den Unternehmen selbst. "Viele schwimmen in Liquidität und würden gerne investieren, wenn die Rahmenbedingungen es zulassen würden", sagt Fratzscher. Vielmehr helfe der Staat dabei zu wenig nach. So werde weiter zu wenig Geld in die Infrastruktur gesteckt. Außerdem fehlten Fachkräfte oder steuerliche Anreize. Das Institut schlägt deshalb vor, die Abschreibungsfristen zu verkürzen, um das Risiko für investierende Unternehmen zu reduzieren. Zudem dürfe der Staat Beteiligungskapital steuerlich nicht schlechter behandeln als Fremdkapital, also vor allem Kredite, denn gerade junge Start-up-Firmen seien auf Beteiligungskapital angewiesen. "Mindereinnahmen könnten durch eine höhere Gewinnbesteuerung kompensiert werden", heißt es dazu in der Untersuchung.

Die von Fratzscher geleitete Regierungskommission hatte einen Katalog an Vorschlägen vorgelegt, um Investitionen anzukurbeln. Einige dieser Vorschläge seien von der Politik umgesetzt worden. "Allerdings ist bei weitem noch nicht genug geschehen", schreiben die DIW-Autoren. Ein Beispiel: 2,7 Milliarden Euro Zuschüsse seien für den Netzausbau zur Verfügung gestellt worden. Bis der Wirtschaft flächendeckend eine im internationalem Vergleich ausreichende Infrastruktur zur Verfügung stehe, sei "aber noch viel zu tun". Kritisch sieht das DIW die Überlegungen, dabei auf Kupferkabel zu setzen, wenn dadurch "der schnellere Anschluss in der einen Region durch die Behinderung des Glasfasernetzausbaus in einer anderen Region erkauft wird".

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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