Deutsche-Börse-Chef Kengeter:Rückgriff auf große Philosophen

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Will gerne die Deutsche Börse mit der Londoner Börse zusammenschließen: Carsten Kengeter. Für seine Mission bemüht er dann auch mal Philosophen und Wissenschaftler. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Zusammenschluss mit dem Londoner Rivalen trage aufklärerische Züge und sei ein Gewinn für beide Seiten, findet Deutsche-Börse-Chef Kengeter. Nun muss er die Amerikaner raushalten.

Von Markus Zydra

Carsten Kengeter strahlt Selbstvertrauen aus. Einer wie er bemüht schon mal den Philosophen Immanuel Kant, wenn es der eigenen Sache dient. Der große Denker aus Königsberg, so referierte der 48-jährige Chef der Deutschen Börse am Mittwoch beim SZ-Finanztag in Frankfurt, habe doch gesagt, dass "bei jedem Übergang in eine neue geschichtlichen Phase ein Keim der Aufklärung übrig bleibt".

Kengeter ist nach eigenem Empfinden mitten drin in einem solche Übergang, der, wenn er gelingt, in der langen Geschichte der Finanzwirtschaft auch seine Erwähnung finden dürfte. Kengeter möchte die Deutsche Börse mit der Londoner Börse fusionieren. Es wäre einer von vielen Firmenzusammenschlüssen, die jedes Jahr global durchgeführt werden. Die meisten gehen schief, scheitern an den kulturellen Unterschieden oder den betriebswirtschaftlichen Realitäten.

Vielleicht ist das rhetorische Bild mit dem "Keim der Aufklärung" objektiv etwas zu hoch gegriffen. Doch für den früheren Investmentbanker ist dieser geplante Zusammenschluss, die Börsen-Brücke London-Frankfurt, eine Frage der nationalen, oder besser, europäischen Sicherheit. Die Finanzinfrastruktur der europäischen Börsen dürfe nicht in amerikanische Hände gelangen, hatte Kengeter vergangene Woche betont. Rückblickend möchte man meinen, der gebürtige Heilbronner habe damals schon etwas geahnt: Ein paar Tage später nämlich kündigte die amerikanische Konkurrenz-Börse Intercontinental Exchange (ICE) an, sie erwäge ein Gegenangebot für die London Stock Exchange vorzulegen. Noch kam da nichts Konkretes aus den USA. Die Amerikaner stören gerne, wenn Europas Börsen etwas Großes planen. Das hat Tradition.

Kengeter muss um die Gunst der Politiker werben

Der in London lebende Kengeter muss darüber hinaus noch die Politik überzeugen. Das hessische Wirtschaftsministerium und die Börsenaufsicht können die Fusion verhindern. Und sie werden das wohl tun, wenn der Standort Frankfurt durch die Fusion Schaden nähme.

Kengeter muss antichambrieren.

"Mir liegt der Finanzplatz Frankfurt Rhein-Main am Herzen", sagte der Deutsche-Börse-Chef, um den Bogen zu spannen. "Deshalb bin ich in der Pflicht, für den Finanzplatz etwas zu tun." Lies: Die Fusion durchsetzen.

Kengeter spricht ruhig und sehr akzentuiert. Er verschluckt keine Silbe, wie es beim Sprechen häufig passiert. Daher klingt es etwas bedrohlich, wenn Kengeter sagt, Frankfurt stehe im glo-ba-len Wettbewerb. Die Verbindung zwischen London und Frankfurt sei "eine Chance für beide und kein Nullsummenspiel".

Kengeter betont immer wieder, er sei Optimist. Der muss er sein, denn mit seinem Fusionsplan kämpft er gegen einen Fluch an. Die Deutsche Börse ist in ihrer Geschichte an großen Zusammenschlüssen immer wieder gescheitert.

Schon im Juli 2000 wollte der Konzern mit der Londoner Börse LSE zusammengehen. Allein es fehlte die Unterstützung. Im Sommer 2003 traf sich der damalige Deutsche-Börse-Boss Werner Seifert mit Euronext-Chef Jean-François Théodore. Die Gespräche über eine Fusion scheiterten. Im Dezember 2004 veröffentlichte die Deutsche Börse erstmals ein Übernahmeangebot für die Londoner Börse. Der Deal scheiterte 2005 am Widerstand des Hedgefonds TCI, der damals maßgeblich an der Deutschen Börse beteiligt war. So ging es immer weiter.

Immer wieder gab es Versuche, mit der Vierländerbörse Euronext ins Geschäft zu kommen. Vergeblich. Im April 2011 wollte die Deutsche Börse die New Yorker Börse Nyse Euronext übernehmen. Schon damals versuchte die ICE, die Fusion zu torpedieren, indem sie eine Gegenofferte machte. Nachdem die EU-Kommission 2012 der Deutschen Börse und New York das Geschäft aus wettbewerbsrechtlichen Gründen untersagt hatte, war das Trauma perfekt. Der US-Konkurrent ICE kaufte die New Yorker Börse. Der damalige Deutsche Börse-Chef Reto Francioni hatte danach genug von den Großfusionen. Sein Nachfolger Kengeter, seit vergangenem Juni im Amt, versucht es nun erneut. Kengeter hat in seiner Karriere viel Geld verdient. Er ist finanziell unabhängig. Nach seinem Abgang bei der Schweizer Großbank UBS im Jahr 2013 machte der langjährige Investmentbanker einen Schnitt: Er wurde Privatier, Investor und Gastprofessor an der London School of Economics. Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber konnte Kengeter dann für den neuen Job gewinnen. Die beiden kannten sich schon lange. Wahrscheinlich lag der grobe Plan einer Fusion mit London damals schon in der Schublade.

Der Chef der Amerikaner war lange im Energiegeschäft und fuhr Autorennen

Kengeter möchte, dass die Deutsche Börse wieder eine Spitzenposition in der globalen Börsenrangliste einnimmt. Dafür muss er sich auf unterschiedliche Gegner einstellen. Die hessische Politik beruhigen, und, falls ein Gegenangebot kommt, einen durchtriebenen Konkurrenten abwehren: Jeffrey Sprecher, Chef der US-Börse ICE. Ihm gehört ein ganzes Börsen-Imperium, doch außerhalb der Branche kennt ihn kaum jemand. Sprecher, gelernter Chemieingenieur, hat fast 20 Jahre in der Energiebranche gearbeitet. Nebenher fuhr er Autorennen. Im Jahr 2000 gründete er die ICE. Mit neuer Technologie sollte der Energiehandel schneller und billiger werden. Der 61-jährige Unternehmer ist der Schreck der Deutschen Börse. Er könnte den Frankfurtern erneut in die Quere kommen und die angedachte Fusion mit der Londoner LSE abermals verhindern oder zumindest deutlich teurer machen. Manche Branchenexperten glauben, Sprecher habe gar kein gesteigertes Interesse an der Londoner Börse. Vielleicht möchte er einfach verhindern, dass in Europa ein mächtiger Konkurrent entsteht. Doch der Eindruck kann täuschen.

Kengeter wirbt weiter. "Die Verbindung der Londoner und Frankfurter Börse würde eine Liquiditätsbrücke schaffen, die das Angebot von Wertpapieren wie auch deren Liquidität deutlich erhöhen wird", sagte er in dem Jargon, den die Zielgruppe - die Emittenten und alle Marktteilnehmer - nur zu gut versteht: Dass nämlich nur die Finanzwirtschaft profitiert.

Kengeter haben es die großen Philosophen angetan, vielleicht beeinflussen sie tatsächlich sein Denken, vielleicht taugen sie auch nur als rhetorische Stilmittel. Der Börsenchef beruft sich auch auf Karl Popper: "Alles Leben ist Problemlösen."

© SZ vom 03.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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