Der Brexit-Streit:Gegen Europa

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Vote Leave heißt "Stimme für den Austritt" - und es ist der Name der Brexit-Kampagne. Zu den Unterstützern gehören auch bekannte Manager. (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Die Mehrheit der britischen Wirtschaft will in der EU bleiben, eine Minderheit trommelt für den Brexit.

Von Björn Finke, London

Der Erfinder wählte dramatische Worte: "Es wäre Selbstmord für das Vereinigte Königreich, nicht den Euro einzuführen", sagte er. Denn das starke Pfund schade der Exportindustrie, zu der auch seine Staubsauger-Firma gehört. Diesen Appell richtete James Dyson, Tüftlerlegende und Milliardär, im November 2000 an die britische Regierung. Doch seine Begeisterung für die europäische Integration ist in den vergangenen 15 Jahren ein wenig abgekühlt: Inzwischen trommelt Sir James für den sogenannten Brexit, also dafür, dass seine Heimat die EU verlässt.

Der 68-Jährige, dem die Welt beutellose Sauger und ohrenbetäubende Händetrockner verdankt, ist eine der bekanntesten Wirtschaftsgrößen im Lager der Austrittsfreunde. Schuld am Sinneswandel tragen die Teutonen: "Ich denke, die EU wird von Deutschland dominiert", sagt er. Dyson klagt, deutsche Rivalen wie der Münchner Haushaltsgeräte-Hersteller BSH beherrschten die Ausschüsse in Brüssel, die Standards etwa für Staubsauger festlegen.

Mit seiner Liebe zum Brexit gehört der Erfinder zu einer - lautstarken - Minderheit im britischen Wirtschaftslager. Anders als er werben viele Konzernchefs, die großen Unternehmerverbände und die Lobbyisten der Finanzbranche für den Verbleib in der Europäischen Union. Die Briten stimmen darüber am 23. Juni in einem Referendum ab. Umfragen sagen ein enges Rennen voraus, und den Managern graut es vor der Ungewissheit, die ein Sieg des Brexit-Lagers mit sich brächte.

Spricht sich das Volk für die Scheidung aus, hat die britische Regierung zwei Jahre Zeit, sich mit Brüssel auf Regeln für die zukünftigen Beziehungen zu einigen. Also unter anderem darauf, ob britische Firmen weiterhin ungehinderten Zugang zu ihrem wichtigsten Exportmarkt haben, der EU. Bis diese Verträge abgeschlossen sind, herrscht lähmende Unsicherheit.

Diese unerfreulichen Aussichten können die Unternehmer und Investoren im Brexit-Lager nicht schrecken. Neben James Dyson gehören dazu etwa Jim Ratcliffe, Gründer und Chef von Ineos, einem der größten Chemiekonzerne der Welt. "Die EU ist ineffizient", begründete er seine Position in einem Interview mit der SZ. Oder Sir Michael Hintze, Hedgefonds-Manager und Großspender der regierenden Konservativen Partei. Viele Schlagzeilen machte John Longworth, der von 2011 an BCC führte, den Dachverband der Handelskammern. Auf dem Jahrestreffen des Verbands warb er vor Journalisten für einen Austritt aus der EU - dabei ist die Mehrheit der Kammermitglieder für den Verbleib. Daraufhin musste Longworth im März zurücktreten. Seither trommelt er als Märtyrer der Brexit-Bewegung umso ausdauernder für die Trennung.

Die Wirtschaftsgrößen im Austritts-Lager nehmen die Unsicherheit nach einem Referendumssieg in Kauf - genau wie das Risiko, dass das Land den problemlosen Zugang zum wichtigsten Auslandsmarkt verliert. Ihrer Meinung nach überwiegen die Vorteile einer Scheidung: Die Manager klagen über die Bürokratie, die Brüssel Firmen aufhalst, und sie hoffen darauf, dass Großbritannien außerhalb der EU schneller Handelsabkommen mit aufstrebenden Staaten wie China abschließen kann.

Die meisten Ökonomen gehen allerdings davon aus, dass ein Brexit dem Königreich wirtschaftlich schaden würde. Und dass die Briten alleine bessere Handelsverträge aushandeln können als die deutlich größere Union, erscheint vielen Fachleuten als Wunschdenken.

Dass sich gestandene Unternehmer und Finanziers dennoch für den Brexit begeistern, hat unterschiedliche Gründe. So sind zahlreiche Manager Anhänger der Konservativen Partei, der Tories. Die Basis dieser Partei ist der EU gegenüber traditionell sehr skeptisch eingestellt. Viele Tories stimmen für den Brexit, und viele Manager sind Tories: Da ist es nicht verwunderlich, dass sich im Austritts-Lager Wirtschaftsführer finden. Ein eingefleischter EU-Gegner wird eine Trennung sogar dann unterstützen, wenn dieser Schritt Nachteile für sein Geschäft hat - einfach, weil er Unabhängigkeit von Brüssel für ein lohnenswertes politisches Ziel hält.

Hedgefonds würden von den Turbulenzen an den Märkten nach einem Austritt profitieren

Einen deutlichen Unterschied macht die Größe des Unternehmens. Umfragen zeigen, dass die Unterstützung für den Brexit bei Managern kleiner Betriebe ausgeprägter ist als bei ihren Kollegen aus Konzernen. Viele kleine Betriebe exportieren nichts oder nur wenig, weswegen der Zugang zum EU-Binnenmarkt nicht so wichtig ist. Zugleich klagen Handwerker oder Betreiber von Taxi- und Umzugsfirmen, eingewanderte Osteuropäer würden ihnen im Königreich die Preise verderben. Diese Kleinunternehmer hoffen, dass die Regierung nach einem Austritt die Zahl der Migranten besser begrenzen kann.

Die mächtige Finanzbranche ist mehrheitlich für den Verbleib in der Union. In der Londoner City, Europas größtem Finanzplatz, sitzen viele ausländische Banken, die von der Themse aus Kunden auf dem ganzen Kontinent bedienen. Das könnte nach einem Brexit schwieriger werden. Die Deutsche Bank richtete bereits eine Arbeitsgruppe ein, die diskutiert, welche Abteilungen bei einem Sieg der Austritts-Freunde aus London in Euro-Staaten verlagert werden. Und der amerikanische Rivale Goldman Sachs spendete dem Pro-EU-Lager Medienberichten zufolge satte 700 000 Dollar.

Viele Hedgefonds hingegen unterstützen die Austritts-Kampagne. In London verwalten zahlreiche dieser Investmentfonds vor allem Geld von Kunden aus anderen Kontinenten und nicht aus der EU. Daher ist für sie die Frage des Marktzugangs nicht so bedeutend. Hedgefonds-Manager beschweren sich aber über zu viel Regulierung aus Brüssel. Außerdem käme es manchen Hedgefonds zupass, dass ein Sieg der Brexit-Fans die Finanzmärkte in Turbulenzen stoßen würde. Für diese aggressiven Investoren sind Turbulenzen schließlich nichts weiter als eine Gelegenheit für lukrative Spekulationen.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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