Das Kalkül der Anleger:Die Börsen warten ab

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Solange die Schulden billig zu bedienen sind und die Zentralbank und der ESM als Retter bereitstehen, lassen die Märkte das südeuropäische Land in Ruhe. Doch wenn die Zinsen steigen, werden die Probleme Italiens wieder sichtbarer.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die bemerkenswerte Gelassenheit an den internationalen Finanzmärkten hat auch am Tag zwei nach dem Italien-Referendum angehalten. Im Vorfeld hatten manche Experten mit heftigen Turbulenzen an den Börsen für den Fall gerechnet, dass Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi die Volksabstimmung verliert. Doch nach seiner Niederlage geschieht nichts dergleichen. Die Märkte haben sich, so scheint es, nach dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten an politische Überraschungen gewöhnt.

Doch Gewohnheit allein kann die Ruhe nicht erklären. Es gibt andere Gründe. So könnte es sein, dass die Märkte das Wahlergebnis in Italien gar nicht als so katastrophal bewerten. "Aus verfassungsrechtlicher Sicht hat sich in Italien nichts geändert, und der Rücktritt eines Ministerpräsidenten ist nicht ungewöhnlich. Mit zwei Jahren im Amt liegt Matteo Renzi im Durchschnitt der letzten 30 Jahre", sagt der M&G-Fondsmanager Juan Nevado.

Andererseits haben sich die Finanzmärkte im Laufe der langjährigen Euro-Schuldenkrise nicht immer so entspannt gezeigt. Es begann im Jahr 2010 mit Griechenland, als ruchbar wurde, dass die Zahlen zum griechischen Haushaltsdefizit geschönt waren. Es kam zu einer Kettenreaktion. Spekulanten wetteten auf einen Zusammenbruch der Euro-Zone, und kein politisches Versprechen konnte die Panik eindämmen. Die Renditen für Staatsanleihen aus Italien, Spanien, Portugal, Irland und Griechenland stiegen damals auf Rekordwerte. Das bedeutete, dass die Regierungen dieser Länder extrem hohe Zinsen für neue Staatskredite bezahlen mussten, was sie sich nicht lange leisten konnten.

Europa reagierte 2012 konzertiert: Die EU beschloss den Aufbau der Bankenunion mit einer zentralen Bankenaufsicht in Europa und einer zentralen Abwicklungsbehörde für Institute, die pleitegehen. Zum Zweiten schuf man mit dem EU-Rettungsfonds ESM eine Behörde, die Euro-Staaten im Ernstfall finanziell unter die Arme greifen. Die ESM-Hilfen sind jedoch an Bedingungen geknüpft. Die Nehmer-Staaten müssen als Gegenleistung bestimmte wirtschaftspolitische Reformen umsetzen.

Den wirksamsten Rettungsschirm hat damals aber die EZB aufgespannt: Mit seiner Londoner Rede im Sommer 2012, in der EZB-Präsident Mario Draghi versprach, man werde alles tun, um den Euro zu retten, installierten die Notenbanker eine Brandmauer: Spekulanten haben sich seitdem nicht mehr getraut, die Existenz der Euro-Zone oder auch nur eines Euro-Landes infrage zu stellen.

Wenn die Zinsen steigen, werden die Probleme sichtbarer

Die Währungsunion steht aufrecht, solange die EZB im Ring bleibt.

"Weder eine Bankenkrise noch Börsenturbulenzen können ein Land zwingen, die Euro-Zone zu verlassen, weil die EZB und der ESM als Kreditgeber in letzter Instanz bereitstehen", sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank. Die Märkte werden Italien also nicht aus dem Euro drängen können, es sei denn, der politische Wind im Land dreht sich. "Erst wenn in einer Parlamentswahl ein klares Votum gegen den Euro und Europa sichtbar wird, dürfte Italien massiv im Fokus der Politik und der Investoren stehen", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank. Dann könnten wohl auch die europäischen Institutionen nicht mehr helfen.

Die augenblickliche Ruhe verdeckt, wie ernst die Lage in Italien ist. Das Bankensystem ist marode, der italienische Staat wird wohl Geld nachschießen müssen. Die Staatsverschuldung des Landes ist mit 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die zweithöchste in der Euro-Zone - nach Griechenland. Gleichzeitig klagen Unternehmer über viel Bürokratie. Die Ausstellung behördlicher Genehmigungen aller Art kann mitunter Monate dauern. Die Börsen spielen im Spannungsfeld von schlechter realwirtschaftlicher Lage und einem effizienten Schutzschirm der EZB ihr eigenes kurzfristiges Spiel: Die Aktienkurse kletterten auch am Dienstag wieder.

Eine langfristig tragfähige Lösung für Italien sieht anders aus, zumal die EZB nicht auf ewig die Leitzinsen niedrig halten kann. Zur Erinnerung: Die Nullzinsen erleichtern die Finanzierung der Schulden erheblich, sowohl für den italienischen Staat als auch für die Privathaushalte. Sobald die EZB diese Hilfe stoppt, werden die Probleme in Italien sichtbarer. Die Notenbank wird damit aber noch eine ganze Weile warten.

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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