Cyber-Messen:Gesichtserkennung im Aquarium-Tunnel

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Messen in aller Welt investieren massiv in den Ausbau ihrer digitalen Angebote. Manches von dem, was da gemacht wird, ist hierzulande allerdings gar nicht erlaubt. Und nicht alles passt zu jedem möglichen Kunden.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Es ist Messezeit in Hannover. Seit Mittwoch zeigen rund 5000 Aussteller auf der weltgrößten Technologie-Schau, wie die Industrie von morgen aussehen wird. Selbstlernende Systeme und vernetzte Produktions- und Logistikprozesse in der intelligenten Fabrik kennzeichnen die Industrie 4.0. Doch auch andere Branchen automatisieren und digitalisieren sich. Messeveranstalter investieren daher massiv in neue digitale Angebote. "Der Bereich Digitalisierung ist heute bei den Messeveranstaltern in der Geschäftsführung angesiedelt, das zeigt die Wichtigkeit des Themas für die Branche", sagt Stefan Luppold, Professor an der DHBW Ravensburg.

Auf der Hannover-Schau geleitet eine App das Publikum über das Gelände und erstellt eigene Routen nach einer vom Besucher vorab gewählten Merkliste. Die IT-Lösung ermöglicht eine effiziente Planung der Gesprächstermine bereits Wochen vor der Schau. Auch für die Veranstalter hat dies Vorteile. Denn durch die Online-Anmeldung ist transparent, wer die Messe besuchen wird, sodass Firmen ihre Marketingangebote auf die Kunden ausrichten können. In Webshops finden Aussteller alles, was sie zur Präsentation brauchen - von der Steckdose bis zum Werbebanner. Die Webangebote ermöglichten es den Messeveranstaltern, mit den Kunden auch außerhalb der Messezeit in Kontakt zu bleiben, sagt Wolfgang Marzin, Geschäftsführer der Messe Frankfurt. Für digitale Entwicklungen wie Apps, Online-Ticketing und virtuelle Inhalte muss die Branche massiv investieren, die Messe Frankfurt gibt bis 2020 rund 21 Millionen Euro aus.

Die Messe Düsseldorf erweitert derzeit das Wlan-Netz, um allen Besuchern und Ausstellern eine entsprechend digitale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. "Eine große Leitmesse mit 100 000 Besuchern entspricht zwei vollen Fußballstadien und ist auf funktionstüchtige Systeme angewiesen", sagt Christian Plenge, Leiter Digitale Strategie der Messe Düsseldorf.

Künstliche Intelligenz ist auch im Messemarkt bereits ein Thema. So hat die Messe Frankfurt als Pilotprojekt auf dem Mobilitätsevent Hypermotion die digitale Sprachassistentin Alexa eingesetzt. "Aussteller und Besucher konnten Fragen zu Ausstellern oder dem Programm stellen und wurden über das Gelände geleitet. Solche Arten von künstlicher Intelligenz werden wir weiter beobachten und an Stellen, wo es Sinn ergibt, einsetzen", sagt Marzin. Nicht alles, was technologisch machbar ist, rentiert sich auch. Moderne Dienstleistungen sollten sich in das Messekonzept einfügen und Kunden tatsächlich etwas bringen. Schließlich zahlen diese auch dafür. "Die digitalen Initiativen der Messegesellschaften müssen auf die Aussteller abgestimmt sein. Einige Unternehmen sind bei virtuellen Angeboten schon weiter als andere, hier gibt es zwischen den Branchen große Unterschiede", sagt Luppold. Hightech-Schnickschnack kann besonders beim Fachpublikum, das konzentriert und in möglichst kurzer Zeit eine Ordermesse besuchen will, kontraproduktiv sein. Das Angebot muss also zur Zielgruppe passen, sonst bleiben nur unnötige Kosten. Auf Konsumentenschauen können technologische Highlights mit Eventcharakter hingegen mehr Besucher locken. Veranstalter, die im In- und Ausland tätig sind, müssen dabei immer auch die lokalen Gegebenheiten bedenken. Die schöne neue Messewelt in Asien und dem arabischen Raum bringt nicht zwingend Erfolg in Deutschland und umgekehrt. "Wer in Dubai auf die Messe geht, läuft durch einen Aquarium-Tunnel, während das Ticket via Gesichtserkennung validiert wird. Das wäre rein technisch natürlich auch in Deutschland möglich, fände aufgrund der Datenschutzgesetze und -sensibilität der Gäste aber keine Akzeptanz für einen Praxiseinsatz", sagt Plenge.

Marketingaktivitäten sind durch die neue Datenschutzgrundverordnung besonders heikel. "Wir fragen die Industrie und Besucher, was sie überhaupt wollen. Zum Beispiel registrieren wir die Besucher von Endverbrauchermessen nicht personalisiert. Sie wollen das nicht, daher haben wir die Finger davongelassen", sagt Marzin. Digitalisierung werde nur so weit eingesetzt, wie sie den Kunden von Nutzen sei. Um neue Innovationen zu bewerten, hat die drittgrößte Messe der Welt jüngst einen Digitalbeirat mit Ausstellern gegründet.

Nicht zuletzt hat das Thema Digitalisierung bei den Messeplätzen vor allem auch aus Wettbewerbsgründen Priorität. Schließlich liegen die Zukunftsmärkte der Wirtschaft nicht in Europa, sondern in den Boomregionen weit entfernt. "Die Digitalisierung ist auch Teil einer langfristigen Strategie, das Messeereignis durch einen Innovationsvorsprung als internationale Leitveranstaltung der Branche im Wettbewerb zu positionieren. Die internationale Konkurrenz ist attraktiv, schauen Sie nach China", sagt Plenge. Auch, wenn Ablauforganisationen dort noch Nachholbedarf hätten. "Es ist durchaus möglich, dass Messen, die nicht zu den Top-Ausstellern in Deutschland gehören, sich mit Digitalisierungsprojekten profilieren und für ihre Zielgruppe attraktiver werden", sagt Luppold. Das kann in der Nische auch ohne große Budgets über Kooperationen mit innovativen Start-ups laufen.

An den Erfolg rein virtueller Marktplätze glauben die Experten jedoch nicht. "Wir sind grundsätzlich davon überzeugt, dass sich die persönliche Begegnung auf Messen, Kongressen und anderen Veranstaltungen auch aufgrund haptischer Erfahrungen und Erlebnisse nicht durch virtuelle Räume ersetzen lässt", sagt Marzin. Bislang belegen die Zahlen die Tragfähigkeit des traditionellen Geschäftsmodells. Messen sind in der Kommunikation zwischen Unternehmen das wichtigste Instrument, fast 48 Prozent ihrer Etats geben deutsche Firmen laut Befragung des Branchenverbands dafür im In- und Ausland aus. Das Webangebot ersetzt noch nicht den realen Messebesuch. "Unsere Messen sind de facto virtuell. Alle Aussteller sind mit ihren Produkten im Internet und mit ihren Ständen auf einem interaktiven Hallenplan. Der gesamte Informationsinhalt ist virtuell verfügbar", sagt Plenge. Der Verkauf und das persönliche Gespräch fänden jedoch offline statt.

Reine Webangebote gibt es etwa von der Firma Ubivent für Hausmessen und Karrieremessen. "Virtuelle Formate bieten bei Konferenzen oder kleinen Firmen-Messen gute Möglichkeiten. Die Grundidee ist, ohne hohe Kosten eine Vielzahl von Personen zu erreichen. Große Verbraucherausstellungen und Fachmessen leben vom persönlichen Kontakt", meint Luppold.

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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