Chancen für Zuwanderer:Aussicht auf Erfolg

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Eine Reihe von Handwerksbetrieben bildet längst auch junge Flüchtlinge aus - hier eine Bäckerei in Ulm. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Gerade der Mittelstand hilft bei der Integration von Flüchtlingen stärker als die großen Konzerne. Auch der Weg in die Selbständigkeit ist für viele Flüchtlinge eine Perspektive.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Sie sind gekommen, um zu bleiben. Hunderttausende Flüchtlinge wollen sich in Deutschland eine neue Existenz aufbauen, rasch und aus eigener Kraft. Eine gute Nachricht, eigentlich. Doch die Erwartungen der Neuankömmlinge auf bezahlte Arbeit bleiben mehr als ein Jahr nach der großen Flüchtlingswelle in der Mehrheit unerfüllt. "Die Geflüchteten gehen schrittweise in den Arbeitsmarkt hinein. Gegenwärtig arbeitet ein knappes Zehntel der Zugezogenen, nach fünf Jahren werden es rund 50 Prozent sein und nach zehn Jahren zwischen 60 und 70 Prozent. Das zeigen zumindest die Erfahrungen der Vergangenheit," sagt Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Bereitschaft, in Ausbildung und Anstellung der Zugewanderten zu investieren, ist besonders im Mittelstand hoch. "Die größte Integrationsleistung bringen derzeit klein- und mittelständische Unternehmen. Die großen Dax-Konzerne bleiben im Ergebnis klar hinter ihren Ankündigungen zurück", sagt Hubert Schöffmann, Abteilungsleiter Berufliche Ausbildung der IHK München und Oberbayern.

Laut einer Befragung von 600 mittelständischen Unternehmen des Instituts der deutschen Wirtschaft engagieren sich bundesweit drei Viertel der Betriebe nach eigener Auskunft mit Spenden, Ausbildungs- und Arbeitsplatzangeboten für Flüchtlinge. Um das volle Potenzial der Zuwanderer für die Volkswirtschaft zu heben, Bedarf es noch auf Jahrzehnte einer Kraftanstrengung von Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft. "Die Hoffnung, dass die Flüchtlinge unsere Fachkräftelücke sofort passgenau schließen können, hat sich nur in den wenigsten Fällen erfüllt. Mit der entsprechenden Ausbildung sind sie aber die Fachkräfte von übermorgen", sagt Schöffmann. Sehr gut voran komme man im Bereich der beruflichen Ausbildung für jugendliche Flüchtlinge, allerdings "muss noch viel für die Weiterbildung und Arbeitsmarktintegration der älteren Geflüchteten getan werden", sagt Schöffmann. Diese finden derzeit primär in jenen Bereichen des Arbeitsmarktes Jobs, in denen keine formelle Berufsausbildung notwendig ist. Dazu zählen Helfertätigkeiten in Gastronomie und Logistik, Reinigung oder Landwirtschaft. Branchen, die laut Experten dank eines dynamischen Wachstums in den vergangenen drei Jahren einen Arbeitskräftebedarf haben. Für gut ausgebildete Arbeitskräfte besteht in der Anerkennung ihrer Qualifikation die größte Hürde in den Arbeitsmarkt. Dafür sind laut Experten dringend mehr Beratungsstellen sowie schnellere Prozesse notwendig.

Von zentraler Bedeutung ist die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse

Unabhängig vom Alter will die Mehrheit der Geflüchteten ohne lange Wartezeit rasch Geld verdienen, um zurückgebliebene Verwandte zu unterstützen oder auch Schulden für die Flucht zu zahlen. Ausbildungen sind deshalb vorerst wenig attraktiv. "Viele junge Flüchtlinge erhoffen sich, schnell mit einer bezahlten Tätigkeit loszulegen. Aber der Weg führt vom Spracherwerb über die Ausbildung bis hin zum Berufsabschluss. Es ist unsere Aufgabe, ihnen eine Zukunftsperspektive aufzuzeigen und sie zu motivieren, mehrere Jahre durchzuhalten", sagt Christoph Karmann, Ausbildungsakquisiteur für Flüchtlinge bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern.

Ein Weg in Beschäftigung kann für Flüchtlinge und anerkannte Asylbewerber die Gründung einer eigenen Firma sein. Aufgrund der traditionell höheren Gründungsneigung von Menschen mit Migrationshintergrund sowie hoher Selbständigkeitsquoten der Fluchtländer erwarten Experten spürbare Impulse in diesem Bereich. Die Barrieren für Firmengründungen durch Geflüchtete sind - trotz steigender Anzahl von Lebensmittelgeschäften, Übersetzern und Imbissläden in deutschen Ballungszentren - meist zu hoch. "Eine Unternehmensgründung ist nicht trivial und erfordert umfangreiche Kenntnisse. Der Anteil der Selbständigen ist daher heute noch sehr gering und wird erst in zehn Jahren jenem der Deutschen entsprechen oder höher liegen", sagt Brücker.

Von zentraler Bedeutung ist auch in diesem Bereich die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse für Gewerbe und freie Berufe sowie bundesweite Angebote für Zusatzausbildungen. Erschwert wird das Gründungsvorhaben zusätzlich durch fehlende finanzielle Ressourcen. Wer sich selbständig machen will, muss zunächst investieren, mangels Sicherheiten und Kredithistorie haben die Betroffenen jedoch wenig Chancen auf Bankdarlehen. Abhilfe sollen gezielte staatliche Förderungen wie das neue Programm der Förderbank NRW für Flüchtlinge, das Mikrodarlehen bis zu 25 000 Euro vergibt, schaffen.

Zusätzliche Starthilfe plant das Bundeswirtschaftsministerium aktuell mit dem Pilotprojekt Gründungspaten, die Neu-Unternehmern künftig quasi als Trainer dienen. Eine von unzähligen Initiativen, die von staatlicher Seite initiiert wurden, um die Integrationsaufgaben zu meisten. Der Freistaat hat im Vorjahr mit dem Integrationspakt zwischen Staatsregierung, Wirtschaft und Bundesagentur für Arbeit die Integration von 60 000 Flüchtlingen am Arbeitsmarkt bis 2019 festgelegt. In enger Abstimmung mit den Kammern, Berufsschulen, Förderstellen von Städten und dem Land sowie Tausenden Betrieben und Privatinitiativen wurden Angebote für den Jobeinstieg der Geflüchteten erarbeitet. Das Ergebnis: Nach einem Jahr haben bereits fast 40 000 Personen einen Praktikanten-, Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag, mehr als 20 000 Personen sind in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen.

"Es sind seit 2015 viele gute Maßnahmen und Programme gestartet worden. Was fehlt, ist ein übergreifender Masterplan, der die gesamte Integrationskette abbildet. Die unterschiedliche Rechtslage auf Bundes- und Landesebene erschweren uns und den Unternehmen die Arbeit erheblich", sagt Schöffmann. Stabile Rahmenbedingungen und raschere Asylverfahren würden das Engagement der Wirtschaft weiter stärken. "Aktuell größtes Problem für die Betriebe ist die fehlende Planungssicherheit aufgrund der restriktiven Umsetzung des Bundesintegrationsgesetzes durch die bayerische Staatsregierung. Das führt zu einer massiven Verunsicherung", sagt Schöffmann.

Allzu oft scheitert die Arbeitsaufnahme von Asylbewerbern aus Eritrea oder Syrien noch an der Sprache. "Den jungen Menschen bereitet vor allem die Theorie in den Berufsschulen Probleme. Es braucht hier die Unterstützungsarbeit und das Engagement vieler Stellen, um das geforderte Ausbildungsniveau zu erreichen", sagt Karmann. Die dafür notwendige Infrastruktur ist bundesweit trotz aller Anstrengungen noch nicht vorhanden. "Bisher hat nur ein Drittel der Geflüchteten Integrationskurse besucht. In diesem Bereich brauchen wir dringend eine schnellere Ausweitung der Angebote sowie eine Kombination der Integrationskurse mit berufsvorbereitenden Programmen wie Betriebspraktika", sagt Brücker. Es bleibt viel zu tun.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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