Carsharing:Gewinner der Krise

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Drastisch gestiegene Energiepreise machen Carsharing attraktiv - nicht nur für überzeugte Ökos. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes erklärt, warum.

Melanie Ahlemeier

Willi Loose ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Carsharing. Seit April 2006 arbeitet der 55-Jährige für den Verband, der derzeit rund 90 Mitglieder zählt. Davor hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Öko-Institut in Freiburg gearbeitet.

Ein Auto für viele: Bundesweit gibt es rund 100 Carsharing-Anbieter, sie unterhalten gemeinsam rund 1600 Carsharing-Stationen. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Loose, der Ölpreis steigt und steigt und damit auch der Benzinpreis - ein Segen für die Carsharing-Branche?

Willi Loose: Wir profitieren auf jeden Fall davon. Das Interesse am Carsharing wird durch die hohen Kosten beim Autofahren erheblich gesteigert. Wir haben in den Medien und damit in der Bevölkerung derzeit so viel Aufmerksamkeit wie noch nie.

sueddeutsche.de: Als Konsequenz auf steigende Energiekosten wird im Grunde genommen alles teurer. Carsharing auch?

Loose: Die steigenden Energiekosten schlagen sich in der nutzungsabhängigen Tarifkomponente nieder. Die Organisationen können nur zum Teil die steigenden Benzinpreise durch Effizienzgewinne auffangen. Irgendwann ist die Schwelle erreicht, an der eine Tarifsteigerung vorgenommen werden muss. Insofern wächst dieser nutzungsabhängige Kilometertarif natürlich mit den Benzinkosten an.

Jedoch bleiben die Fixkosten nach wie vor im Vergleich zum privaten Auto günstig, da sie sich auf viele Schultern verteilen. In der aktuellen Debatte geht ja unter, dass die Fixkosten des Autofahrens nach wie vor viel höher sind als die nutzungsabhängigen Kosten, die von den Spritpreiserhöhungen betroffen sind.

sueddeutsche.de: Wenn der hohe Benzinpreis das Geschäft zum Selbstläufer werden lässt, könnten Sie entspannt die Füße auf den Tisch legen.

Loose: Na ja, unser Problem ist, dass Carsharing im Detail relativ wenig bekannt ist. Viele haben davon gehört und jeder hat seine Vorstellung, was das ist. Aber niemand, der nicht bereits eigene Erfahrungen damit gemacht hat, weiß etwas Genaues.

sueddeutsche.de: Wie macht sich das gestiegene Nutzerinteresse bemerkbar?

Loose: Bei den größeren Carsharing-Anbietern in den Städten hat es im ersten Halbjahr ein überdurchschnittlich hohes Kundenwachstum gegeben.

sueddeutsche.de: Ihre Wachstumsprognose für das laufende Geschäftsjahr?

Loose: Wir werden wohl sicherlich wieder über 20 Prozent erreichen.

sueddeutsche.de: Also ist die Branche ein Gewinner der sich abzeichnenden dritten Energiekrise?

Loose: Wir hängen den Prognosen immer noch hinterher, wenn wir von den Potential-Zahlen ausgehen. Auch im Vergleich zur Schweiz liegen wir zurück. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl läuft das schweizerische Carsharing achtmal so gut wie hierzulande.

sueddeutsche.de: Man könnte auch sagen: Carsharing in Deutschland ist noch nicht entdeckt.

Loose: Ja, wir haben noch viel Wachstumspotential.

sueddeutsche.de: Aktuellen Umfragen zufolge wollen die Bundesbürger bei Gas und Strom, vor allem aber an Benzin sparen. Hat sich das Verbraucherverhalten bereits verändert?

Loose: Die Frage muss man zweiteilen. Es gibt eine Klientel, die für Carsharing aufgeschlossen ist. Dieser Gruppe bedeutet der Besitz eines eigenen Autos nicht so viel. Diese Gruppe entscheidet rational, ob sie unbedingt ein eigenes Auto für ihre Mobilität braucht oder ob sich durch Carsharing Kosten sparen lassen. Es gibt eine andere große Bevölkerungsgruppe - und da wird es problematisch, deshalb kommen wir da auch nicht so richtig voran -, für die das Auto sehr viel mehr ist als ein Fortbewegungsmittel von A nach B.

sueddeutsche.de: Ist das Auto als Statussymbol angesichts der horrenden Spritpreise und einer von Absatzschwierigkeiten geprägten Automobilbranche nicht längst passé?

Loose: Das Auto als Statussymbol hat immer noch eine ganz große Bedeutung - vor allem in den Bevölkerungsschichten, die über wenig Geld verfügen. Diejenigen, denen wir am ehesten ein Angebot zur kostengünstigen Auto-Mobilität geben können, orientieren sich am meisten an einem eigenen Auto.

Lesen Sie weiter, warum Berliner Luxusautos nichts mit Carsharing zu tun haben.

sueddeutsche.de: In Berlin wurde kürzlich ein Klub gegründet, dem es um das gemeinsame Besitzen von Luxusautos geht. Ist Ideengeber Damon Hill, der ehemalige britische Formel-1-Rennfahrer, in Ihren Augen ein Trittbrettfahrer oder haben sich einige Reiche einfach nur ein neues nettes Hobby gesucht?

Willi Loose, Geschäftsführer des Bundesverbandes Carsharing (Foto: Foto: oH)

Loose: Das hat mit unserem Carsharing gar nichts zu tun. Das ist kein Angebot zur alltäglichen Mobilität, sondern eine Möglichkeit mal an Karossen heranzukommen, von denen man sonst nur träumen kann. Aus meiner Sicht ist das eine absolute Nische für Leute, die ihren Spleen ausleben wollen.

sueddeutsche.de: Wenn das Geschäft im Carsharing derzeit so gut läuft, müsste ein guter Teil der Gewinne investiert werden, um die boomende Branche weiter zu stärken. Werden die Flotten derzeit bundesweit schon aufgestockt?

Loose: Ständig. Von Anfang an hatten wir aber ein stärkeres Kundenwachstum als Fahrzeugwachstum. Die Effizienzgewinne werden immer größer, das heißt, dass sich im statistischen Durchschnitt immer mehr Kunden ein Fahrzeug teilen. Es gilt: Je größer eine Organisation ist, desto effizienter kann sie ihre Autos einsetzen.

sueddeutsche.de: In welche Art von Fahrzeugen investiert die Branche?

Loose: 70 Prozent der Fahrzeuge in den Carsharing-Flotten sind Klein- und Kleinstwagen. Prinzipiell werden die Fahrzeuge angeschafft, die von den Kunden nachgefragt werden. Das ist der Vorteil des Carsharing: Für jeden Fahrzweck wird das geeignete Fahrzeug ausgesucht.

sueddeutsche.de: Vielfahrer zahlen beim Projekt Carsharing deutlich drauf - ein Systemfehler?

Loose: Es gibt den Break-even-Punkt - an diesem Punkt ist das eigene Auto kostengünstiger als Carsharing, und der liegt bei den meisten Anbietern bei rund 10.000 Kilometern pro Jahr. Wenn man weniger als 10.000 Kilometer fährt, ist es absolut prüfenswert, ob man mit Carsharing nicht günstiger fährt.

sueddeutsche.de: Wie sieht es aus, wenn man täglich ein Auto benötigt, zum Beispiel für die Fahrt zur Arbeit?

Loose: Dann lohnt sich Carsharing eher nicht, denn die Zeitkostenkomponente ist relativ hoch.

sueddeutsche.de: Carsharing steht immer noch ein bisschen in der Öko-Ecke, einige Verbraucher assoziieren damit Unzuverlässigkeit und Schmuddeligkeit. Warum dauert die positive Imagebildung so lange?

Loose: Ich glaube nicht, dass das der Realtität entspricht. Ich würde Ihnen nur insoweit zustimmen, wie das teilweise diesem etwas veralteten Bild in der Öffentlichkeit entspricht. Wenn man aber sieht, wie modern die Technik ist und wie effizient die Organisationen arbeiten, dann hat das überhaupt nichts mehr mit Öko-Ecke zu tun. Der Großteil der Neukunden kommt nicht aus der Öko-Ecke.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen neue Antriebstechniken wie etwa die Hybridtechnologie?

Loose: Neue Antriebstechniken sind im Carsharing nicht so sehr verbreitet, weil man auch immer Rücksicht nehmen muss auf Kunden, die nicht so viel Übung im Autofahren haben. Wir haben es mit vielen Wenigfahrern zu tun, die - weil sie so wenig fahren - im Benutzen des Autos keine Routine ausbilden. Wir müssen von den Wünschen und den Erfahrungen der Mehrzahl der Kunden ausgehen - und dann kann es nicht die Spitzentechnologie sein, die bei Wenignutzern auch Ängste hervorruft. Angst davor, etwas falsch zu machen.

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