Callcenter-Boom:Ruf mich an!

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Krankenversicherung, Überweisung, Kartenreservierung: Ohne Callcenter geht es kaum noch. Die Branche wächst in rasantem Tempo. Jetzt ringt sie um ein besseres Image - und mehr Sicherheit.

Kim Bode

Ohne geht es kaum noch: Eine schnelle Information zur Krankenversicherung, eine Banküberweisung, Hilfe beim Einrichten des Internetanschlusses, das Reservieren von Konzertkarten oder das Abbestellen der Zeitung für die Ferienzeit - in den meisten Fällen genügt heutzutage ein Anruf. Dieser landet häufig nicht, wie viele glauben, beim Unternehmen direkt, sondern im Callcenter.

Immer schön weiter lächeln: Die Callcenterbranche boomt - aber der Datenschutz macht Probleme. (Foto: Foto: iStock)

Zwölf Milliarden Jahresumsatz

Viele verbinden mit dem Begriff "Callcenter" nervige Telefonanrufe und - seit neuestem - Datenhandel. Der Ruf der Branche ist schlecht. Seit Monaten reihen sich negative Schlagzeilen aneinander: Schlechte Arbeitsbedingungen, unerlaubte Telefonanrufe, Stellenabbau bei der Telekom.

Und schließlich der jüngste Skandal um Datenmissbrauch, der Anlass für den Datenschutz-Gipfel am Donnerstag in Berlin war. Vertreter von Bund und Ländern sowie Justizministerin Brigitte Zypries, Verbraucherminister Horst Seehofer und der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, wollen im Rahmen des Spitzentreffens bei Innenminister Wolfgang Schäuble schärfere Maßnahmen gegen Datenmissbrauch ausloten.

Was ist das für eine Branche, die mittlerweile seit zehn Jahren boomt? In dieser Zeit hat sich die Zahl der deutschen Center von 1600 auf 5700 mehr als verdreifacht. Über 20 Millionen Telefonate werden laut Callcenter Forum Deutschland (CCF) jeden Tag geführt. Der Jahresumsatz liege bei knapp 12 Milliarden.

Doch "Callcenter sind Betrüger, die es mit allen Tricks darauf anlegen, schwache und einfache Menschen hereinzulegen", heißt es in einem Internetforum zu diesem Thema. "Wer sagt, diese Menschen seien selbst schuld, wenn sie auf Callcenter hereinfallen, entlastet die Betrüger von ihrer dreckigen moralischen Schuld."

"Schwarze Schafe"

Mit Callcentern verbinden viele die nervigen Anrufer, die vorwiegend alten Leuten Lottoscheine, Zeitungsabonnements oder Staubsauger verkaufen wollen. Dabei gehörten nur rund ein Drittel des Callcenter-Geschäfts zum sogenannten Outbound, der aktiven Kontaktaufnahme nach außen, sagt ein Sprecher vom Deutschen Dialog Marketing Verband (DDV). Die übrigen zwei Drittel bestehen aus der Entgegennahme von Kundenanrufen, dem Inbound-Geschäft. Viele haben also häufiger mit dem ungeliebten Callcenter Kontakt als angenommen.

"Wer liest heute noch eine Betriebsanleitung?", heißt es aus dem größten deutschen Callcenter-Unternehmen Arvato, das zu Bertelsmann gehört. "Wir alle haben uns an Dienstleistungen am Telefon gewöhnt und wollen die Annehmlichkeiten", sagt auch Jennifer Jahnke, Mitautorin des Buches "Der Callcentermarkt in Deutschland: Strukturen, Prognosen und Trends". "Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Doch je älter sie ist, desto gründlicher hat eine brancheninterne Selektion gewirkt." Diese sei bei den Callcentern noch nicht abgeschlossen.

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435.000 Menschen arbeiten in der Branche, vom Agenten bis zum Manager, die Hälfte davon als Teilzeitkräfte. "Wenn der Boom anhält, sind knapp 450.000 Jobs bis Ende 2008 realistisch", hofft der Präsident des CCF, Manfred Stockmann. Auch der DDV-Sprecher ist optimistisch: "Wir gehen davon aus, dass die Branche weiterhin wächst."

Um dem negativen Ansehen entgegenzuwirken, gebe es seit einiger Zeit eine Selbstverpflichtungserklärung zum Datenschutz, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehe. Die Anerkennung ist jedoch freiwillig.

Forderungen nach strengeren Datenschutzregeln

Es überrascht nicht, dass die Branche sich vehement gegen die Vorwürfe wehrt: Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) ist gegen die geforderte Verschärfung der gesetzlichen Regelung, die weitere Strafen und Sanktionen bei Missbrauchsfällen im Datenschutz vorsieht. Die Unternehmen hielten sich beim Thema Datenschutz überwiegend an die gesetzlichen Vorgaben.

"Überwiegend" ist aber eben nicht immer. Patrick Tapp vom DDV drückt es so aus: "Bei dem aktuellen Skandal rede ich gar nicht von einem Callcenter. Da hat jemand ein Telefon benutzt, um auf kriminelle Weise Leute zu betrügen." Mitte August hatte ein anonymer Informant eine CD mit Daten von 17.000 Bürgern - inklusive Kontoverbindungen - an die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein geschickt, um auf den Datenmissbrauch aufmerksam zu machen.

Doch wie leicht wird es denen, die Daten aus einem Callcenter entwenden und anschließend verkaufen wollen, gemacht?

Nach einer internationalen Umfrage der Beratungsfirma Deloitte glauben lediglich 38 Prozent der befragten Unternehmen, genug für die Datensicherheit zu tun. Nur etwas mehr als die Hälfte gaben an, über eine ausgearbeitete Sicherheitsstrategie zu verfügen.

Unlautere und kriminelle Geschäftsmethoden müssten endlich wirksamer bekämpft werden, fordert der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Deswegen solle der Datenhandel ohne ausdrückliche Einwilligung verboten werden. Dazu ein Sprecher des Branchenführers Arvato: "Wenn die Gesetze verschärft werden, werden wir unser Geschäftsmodell anpassen."

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