Brasilien:Lula setzt Rentenreform gegen Proteste durch

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Drastische Einschnitte sollen das Defizit in Brasiliens Altersvorsorge-System senken. Die Privilegien der Staatsbediensteten werden reduziert.

Von Bernd Radowitz

(SZ vom 11.08.2003) — Luiz Inacio Lula da Silva hat den wohl wichtigsten politischen Sieg seiner bisherigen sieben Monate als brasilianischer Präsident errungen: eine überwältigende Mehrheit im Abgeordnetenhaus des Kongresses in Brasilia stimmte vergangene Woche für eine Verfassungsänderung, die eine umfangreiche Rentenreform ermöglicht.

Die in Finanzkreisen seit langem geforderte Reform wird die öffentlichen Kassen langfristig entlasten, wurde aber gegen massive Proteste und Streiks im öffentlichen Dienst durchgesetzt. Befürchtungen, der Kongress könnte die Rentenreform ablehnen, drückten auf den Kurs der brasilianischen Währung.

In den sieben Tagen vor der Abstimmung fiel der Real mehr als sechs Prozent im Vergleich zum US-Dollar, nachdem er sich in den Monaten zuvor deutlich stabilisiert hatte. Auch die Zinsen, die Brasilien für seine Staatsanleihen zahlen muss, haben sich zuletzt wieder deutlich erhöht.

"Der Abstimmungserfolg wird die Märkte positiver stimmen", meint Odair Abate, Chefökonom der Banco Itau in Sao Paulo. "Der Staat spart durch die Reform pro Jahr etwa 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts".

Die Regierung erhofft damit, das gravierende Defizit in Brasiliens öffentlichem Rentensystem über die nächsten 20 Jahre um fast 14 Milliarden Euro zu senken. Die Reform sieht weitreichende Einschnitte bei zukünftigen Renten und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vor.

Allerdings müsse Lulas Regierung jetzt mit allen Mitteln kämpfen, damit die Rentenreform nicht doch noch im Kongress aufgeweicht werde, so Nicola Tingas, Chefökonom der West LB in Sao Paulo. Denn es liegen mehrere Abänderungsvorschläge vor, über die der Kongress diese Woche abstimmen muss. Die Regierung hat aber gute Chancen, die Reform bis Oktober auch in zweiter Lesung im Abgeordnetenhaus und im Senat zu verabschieden.

Und dies ohne allzu große Änderungen, die den Einspareffekt stark reduzieren würden. Dazu muss Lula die Kongressabgeordneten aber weiterhin überzeugen, dass es sich bei den massiven Protesten gegen die Rentenreform in den vergangenen Wochen um einen Aufschrei einer privilegierten Minderheit handelt. Am Mittwoch demonstrierten mehr als 50.000 Reformgegner vor dem Kongress.

Der Präsident gewann die öffentliche Meinung im Land bisher geschickt mit dem Argument, dass in einem Land mit 46 Millionen Armen und hoher Arbeitslosigkeit, öffentliche Angestellte nicht auf ihre Privilegien pochen könnten. Löhne und Renten im öffentlichen Dienst liegen größtenteils erheblich über Brasiliens derzeitigem Durchschnittseinkommen.

Ein Ende der lähmenden Rentendiskussion mit einer endgültigen Verabschiedung der Reform ist notwendig, damit sich Lula endlich mehr Brasiliens massiven sozialen Problemen mit radikalen Obdachlosengruppen und landlosen Bauern widmen kann.

Die Unfähigkeit der Regierung, auf die sich häufenden Besetzungen von Firmengelände und brachliegenden Landgütern zu reagieren, hat zuletzt Investoren verunsichert, die Zugeständnisse an illegale Landbesetzer als einen Angriff auf das Eigentumsrecht sehen.

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