Börsengang:Die trauen sich was

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Der Kunststoffspezialist Covestro und Scout24 umwerben Aktionäre in Zeiten der Kursschwankungen: Sie wollen den Kapitalmarkt anzapfen. Und zunächst Schulden in Milliardenhöhe abbauen.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Die meisten Deutschen mögen keine Aktien als Geldanlage. Sie haben in den nächsten Tagen die Gelegenheit, ihre Meinung zu ändern. Gleich zwei große Unternehmen streben an die Börse. Die Kunststoffsparte von Bayer, die sich unter dem Namen Covestro verselbständigt hat, will 2,5 Milliarden Euro einsammeln, der Kleinanzeigenmakler Scout24 maximal 1,6 Milliarden Euro.

Beide Unternehmen sehen sich mit einer ziemlich wackeligen Börsenlage konfrontiert und reagieren mit breiten Preisspannen und flexiblen Zeichnungssummen. Die Covestro-Aktie ist für 26,50 bis 35,50 Euro das Stück zu haben, Scout24 kann zu 26,50 bis 33 Euro gezeichnet werden. Der genaue Preis und das Volumen werden erst Ende September feststehen, kurz vor dem ersten Börsenhandel Anfang Oktober.

Vorher rühren die Manager und die sie begleitenden Banken noch kräftig die Werbetrommel. Covestro-Chef Patrick Thomas startet seine Roadshow an diesem Montag in Frankfurt. Roadshow heißt die Informationstour zu Investoren, Fonds und Banken, die stets über London und New York führt. "Wir haben uns intensiv auf die Eigenständigkeit vorbereitet und sehen uns für den Gang an die Börse sehr gut aufgestellt", sagt Thomas gleich vorweg. "Danach können wir unsere Stärken noch schneller, effektiver und flexibler einsetzen und unsere Wettbewerbsvorteile weiter ausbauen", umwirbt er die Anleger.

Sein Unternehmen fertigt Vorprodukte für Kunststoffe und für fast alle Bereiche der Industrie. Es ist dementsprechend unbekannt und stark von der Konjunktur abhängig. Die Covestro-Mutter Bayer gibt der Tochter vier Milliarden Euro an Schulden mit auf den Weg. Auch die 2,5 Milliarden Euro, die an der Börse eingesammelt werden, müssen zur Tilgung von Schulden genutzt werden, stehen deshalb nicht für Investitionen zur Verfügung. Allerdings hat Bayer bereits einiges in diese Sparte gesteckt, um sie attraktiv für Anleger zu machen. Als Zuckerbrot für künftige Aktionäre verspricht Covestro eine Ausschüttung von 100 bis 150 Millionen Euro für das verkürzte Geschäftsjahr 2015. Auch nach dem Börsengang behält Bayer eine Mehrheit von 60 bis 66 Prozent am Covestro-Kapital. Erst nach einer Frist von sechs Monaten steht diese Mehrheit zur Disposition.

Börsengänge jenseits von zwei Milliarden Euro sind in Deutschland selten

Auch bei Scout24 geht es darum, den Schuldenberg von fast einer Milliarde Euro abzutragen. Erst einmal aber wollen sich die Eigentümer selbst mit dem Börsengang entschulden. Die beiden Finanzinvestoren Hellman & Friedman und Blackstone hatten der Deutschen Telekom im vergangenen Jahr 70 Prozent des Unternehmens zum Preis von 1,5 Milliarden Euro abgekauft. Autoscout24 rangiert hinter der Ebay-Tochter mobile.de als zweitwichtigste Autobörse im Netz, während sich Immobilienscout24 als die Nummer eins vor Immowelt und Immonet sieht.

Mit dem Börsengang tut sich Scout24 schwer. Vor einem Jahr wurde der erste Versuch abgeblasen, weil das Börsenumfeld zu schwierig war. Deshalb lässt man sich dieses Mal viel Spielraum. Die Zahl der Aktien, die ausgegeben werden, schwankt von 21 Millionen bis 36 Millionen, je nachdem kann die Emission 900 Millionen Euro oder 1,6 Milliarden Euro schwer werden. Das würde einem Börsenwert für den Anzeigenspezialisten von 2,9 bis 3,5 Milliarden Euro entsprechen. Über mangelnde Bekanntheit kann sich das Unternehmen nicht beklagen, weil viele Deutsche bei der Wohnungssuche oder beim Autokauf auf die Internetbörse zugreifen.

Börsengänge jenseits der Grenze von zwei Milliarden Euro sind in Deutschland eine Seltenheit. Unvergessen ist natürlich die Telekom, die 1996 über zehn Milliarden Euro einsammelte. Vier Jahre später folgten die Deutsche Post und der Siemens-Ableger Infineon mit jeweils sechs Milliarden Euro sowie T-Online mit drei Milliarden Euro. Seither überwogen geringere oder auch mal gar keine neuen Emissionen. Kein Wunder, die Deutschen mögen ja keine Aktien.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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