Börse:Wenn Patrioten Geld anlegen

Lesezeit: 2 min

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: börseistanbul)

Die Türkei ist vor dem Verfassungsreferendum in einer tiefen politischen Krise, aber an der Börse läuft es gut - dank Erdoğan. Doch selbst der umstrittene Präsident kann nicht jede Logik an den Märkten außer Kraft setzen.

Von Simone Boehringer, München

Das Referendum über Erdoğans Verfassungsreform läuft bereits, die 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland strömen in die Konsulate, um ihr Votum darüber abzugeben, ob der türkische Präsident künftig mehr Macht haben wird als je zuvor. Die Entscheidung dürfte knapp werden. Erst nach der finalen Abstimmung in der Türkei am 16. April wird die Welt wissen, in welche Richtung das Land driftet.

Kaum jemand hasst solche politischen Unsicherheiten mehr als Investoren. Nach den Putschversuchen im Sommer 2016 haben sie dies die Türkei deutlich spüren lassen. Die Aktienkurse rutschten damals kurzfristig um knapp 14 Prozent ab, die türkische Lira verlor zunächst acht Prozent und bis Jahresende zum Dollar fast ein Viertel ihres Wertes. Bis heute haben sich viele internationale Investoren und auch immer mehr Touristen von der Türkei verabschiedet.

Erdoğan musste die Patrioten-Karte spielen - und das funktioniert bisher besser als gedacht. Seiner Aufforderung im Dezember, doch bitte die heimische Lira zu stützen, in dem man Dollar, Euro und andere Starkwährungen auf dem Konto oder in Vermögensanlagen zugunsten türkischen Geldes verkauft, kamen viele nach: kleine und große staatsnahe Institutionen wie die Istanbuler Börse oder die Religionsbehörde. Das Ergebnis: Der Verfall des Lira-Kurses ist vorerst gestoppt, und die türkische Börse hat seit Dezember eine Rally hingelegt. Die Aktienkurse der im Borsa-Istanbul-100-Index (BIST 100) zusammengefassten größten Unternehmen zogen um mehr als ein Fünftel an, das entspricht einem Wertzuwachs von rund 20 Milliarden Euro.

Der türkische Aktienmarkt ist damit in diesem Zeitraum der erfolgreichste unter allen Emerging Markets, darunter fassen Börsenprofis die aufstrebenden Volkswirtschaften jenseits der Kernindustrieländer zusammen. Unfreiwillig zu Hilfe kamen bei der jüngsten Kursrally auch noch Spekulanten. Einige internationale Investoren, die im Vorfeld mit Termingeschäften auf einen Kursverfall gewettet hatten, mussten zur Kurswende entsprechende Papiere kaufen, um die vorab leerverkauften Aktien ihren Wettgegnern liefern zu können.

Selbst der Präsident kann nicht jede Logik an den Märkten außer Kraft setzen

"Das positive Momentum an der türkischen Börse könnte sich sogar vorübergehend noch verstärken, wenn absehbar ist, dass Erdoğan die Abstimmung gewinnt", sagt Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege für Zentral- und Osteuropa bei Blackrock, dem größten Vermögensverwalter der Welt. "Investoren schauen auf die Stabilität, und die wäre aus Börsensicht erst einmal gegeben, wenn das bisherige Staatsoberhaupt die Verhältnisse festigt und sogar noch stärker prägt - ungeachtet der auf längere Sicht möglichen negativen Folgen seiner Politik."

Verlöre der türkische Präsident das Referendum, stünden womöglich Neuwahlen an - bis dahin gäbe es eine Phase des politischen Stillstandes, ein Vakuum, in das neue Kräfte stoßen könnten, etwa die zerstrittene Opposition. "Die Märkte würden vermutlich mit Abschlägen reagieren, da die Anleger in dem Fall nicht genau wüssten, was auf sie zukommt", erklärt Experte Herrmann. Andere Marktbeobachter bestätigen diese Einschätzung. "Die Märkte in der Türkei sind sehr stimmungsgetrieben, viele Inländer haben Erdoğans Bitte wörtlich genommen und investiert. Je nachdem wie es ausgeht, können sich die Vorzeichen auch schnell ändern", sagt etwa Lutz Karpowitz, der die Emerging Markets und ihre Währungen für die Commerzbank beobachtet.

Auch die türkische Zentralbank habe ihren Teil beigetragen, um den patriotischen Aufruf des Präsident zum Erfolg zu verhelfen: Anstelle einer nötigen weiteren Erhöhung des Leitzinses von derzeit acht Prozent wurden nur zwei Nebenzinssätze erhöht, die aber "durchaus eine wichtige Rolle spielen bei der Refinanzierung der Banken", erklärt Karpowitz. Das heißt, die Notenbank zieht zwar die nötige Bremse, aber nicht über den so symbolträchtigen Leitzins, sondern versteckt. Ein Trick also, um die Börsen bei Laune zu halten. Denn eine Kapitalmarktlogik kann auch Erdoğan nicht ohne Weiteres außer Kraft setzen: Je höher das Zinsniveau für sichere Anlagen, desto unattraktiver werden Risikotitel wie Aktien.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: