Blick in den Briefkasten:Post vom ADAC

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Warum die Sendungen von Deutschlands angeblich wichtigster Organisation zuweilen ein wüstes Durcheinander enthalten - und eindrucksvolle Lehrstücke sind.

Hans von der Hagen

Es passiert halt. Alle paar Monate liegt in meiner Post ein Brief aus Verl. Verl, das kleine Städtchen bei Gütersloh, der Heimat von Bertelsmann.

Der Absender ist der ADAC, die Organisation, der die Deutschen mehr vertrauen als Greenpeace und der Kirche. Vielleicht mangels Alternativen, vielleicht aber auch, weil das Deutschland ist.

Der ADAC also, genauer: der ADAC-Verlag, schickt diesen Brief, der anstrengend wie kaum ein anderer ist.

"Exklusiv-Sendung" steht drauf. Und: "Nicht übertragbare Dokumente. Bei Verlust kein Ersatz!" Daneben der Hinweis, dass ich erstens für ein Gewinnspiel ausgewählt wurde, zweitens zugelassen wurde und drittens an der Hauptpreisziehung teilnehmen darf. So wie jeder andere Empfänger dieses Schreibens auch.

Privilegiert und ausgewählt

Auf der Rückseite des Umschlags klebt ein weiterer Umschlag, im amtlichen Blau. Absender sind eine Zulassungsstelle und die Abteilung Fahrzeugbeschaffung des ADAC. Dazu ein Warnhinweis: "Inliegender vorläufiger Fahrzeugbrief ist nur für den genannten Empfänger bestimmt und nicht übertragbar. Widerrechtlicher Gebrauch ist verboten."

Das gefährdete Innenleben ist ein bunt bedrucktes Papier, das ein Fahrzeugbrief sein soll. Neu dürfte der übrigens gar nicht mehr ausgestellt werden, wegen der EU. Gleichviel.

Jedenfalls wurde ein Auto mit dem Kennzeichen M-0736 zunächst auf den ADAC und dann mit dem Kennzeichen M-HV 2006 auf mich zugelassen. Allerdings noch nicht richtig. Ich müsse noch antworten, steht neben den roten Vorläufigkeitsvermerken. Und auf der Rückseite des Briefes legt mir ein gelbes Post-it nahe, das besonders schnell zu tun, weil ich dann zusätzliche 5000 Euro in bar gewinne. Das ist der "Extra-Spurtpreis".

Dann der Hauptumschlag. Er ist prall gefüllt und sein Inhalt ergießt sich über den Schreibtisch: Ein Faltblatt zum ADAC-Autoatlas, ein Zettel, der mir zwei Zusatzboni verheißt, wenn ich diesen Atlas bestelle, und ein Angebot von der Telekom.

Zusätzlich wird mir auf einem weiteren Blatt ein "Dankeschön-Geschenk!" versprochen, das ich selbst dann behalten darf, wenn ich den Atlas, den ich gar nicht haben will, bestelle und zurückschicke.

Darüber hinaus eine Gewinnausschüttungs-Erklärung, die nur "ein kleiner Mitgliederkreis", erhält, "der in einem speziellen Auswahlverfahren festgelegt wurde". Ich solle auf die "zusätzlichen Sonderprivilegien und Exklusivleistungen" achten, die "nur Empfänger dieser Gewinn-Ausschüttungs-Erklärung erhalten", mahnt mich Michael Epp, der Marketing und Vertrieb beim ADAC-Verlag leitet.

Und dann legt er richtig los: "Was würden Sie sagen, wenn ich an Ihrer Haustüre klingeln würde, Ihnen einen Schlüssel entgegenhalte und Sie als stolzen Gewinner mit den Worten begrüße: 'Herzlichen Glückwunsch, das ist Ihr neuer Wagen, und der gehört jetzt Ihnen'".

Klar ist: Darüber würde ich mich natürlich freuen. Bis es allerdings soweit ist, muss ich noch kleine Aufgaben erfüllen: Unter anderem sollen Anforderungsmarke und Zulassungsmarke verklebt werden. Das ist die Stelle, wo es kritisch wird. Denn problematisch ist das ADAC-Spiel vielleicht dann, wenn bei lediglich Gewinnwilligen versehentlich der "Ansichts-Zulassungsschein" in den Antwortumschlag gerät.

Dann würde ich einen ADAC-Atlas für 29,90 Euro erhalten. Er könne aber auch in drei "bequemen Monatsraten" bezahlt werden, schreibt Chefredakteur Karten und Atlanten, Michael Steuer. Immerhin hat sich der ADAC wohl doch noch daran erinnert, dass ihm die Deutschen so viel Vertrauen schenken und deutlich auf das gesetzlich verankerte Rücksende-Recht verwiesen.

Das Post-it hilft

Der Antwortumschlag, im 100-Euro-Design gehalten, wird mitgeliefert und trägt den Hinweis "Inliegend eilige Dokumente!". "Autorisierte ADAC-Mitarbeiter" müssen zudem noch das Eingangsdatum eintragen und damit bescheinigen, dass ich zum Spurtpreis zugelassen bin. Das waren die 5000 Euro.

Toll, dieses Gedränge im Brief. Und für den Wirtschaftspsychologen ist es eine wahre Fundgrube. Gleich mehrere Werbestrategien würden in dem ADAC-Schreiben angewandt, stellt Georg Felser, Professor an der Hochschule Harz, fest. Allerdings verwegen gemischt.

Am auffälligsten: Es werde mit der Angst vor dem Verlust gearbeitet. Menschen seien stärker motiviert, einen Verlust zu verhindern als zu gewinnen.

Hier gaukele der ADAC-Verlag den Empfängern des Schreibens vor, dass der Hauptgewinn, ein Mercedes, schon fast ihnen gehöre und es doch schade wäre, ihn durch kleine Unachtsamkeiten wieder zu verlieren. Zur Strategie zähle der nachgemachte, bereits ausgefüllte Kraftfahrzeugbrief, der die Vorstellungskraft beflügele. Er passe gut in das "der-Wagen-gehört-schon-fast-mir"-Schema und verstärke so das Besitzgefühl. Genauso wie der Marketingchef, der persönlich an der Haustür aufkreuzen wolle. So etwas rege die Phantasie an, sagt Felser.

Daneben sei die Sendung stark personalisiert. Nicht nur durch die häufige Wiederholung des eigenen Namens und die "vertraulichen Zugangs-Codes" im "maschinell verschlossenen Sicherheitsumschlag", sondern auch durch den aufgedruckten gelben Post-it-Zettel auf der Rückseite des Kfz-Briefes.

Wissenschaftler hätten festgestellt, dass gerade ein solches Post-it eine überraschend starke Wirkung entfalte und bei den Empfängern solcher Sendungen die Bereitschaft zur Kooperation erhöhe.

Eine weitere Strategie sei das Prinzip der Verknappung. Wiederholt werde im Schreiben das Auswahlverfahren betont, dem die ADAC-Mitglieder unterzogen worden seien. Dies würde den privilegierten Status hervorheben.

Verstärkt werde dieser Eindruck durch das "Interne Memorandum", das der ADAC-Verlag beigefügt hat. In dem teilt Marketing-Leiter Epp dem Chefredakteur Steuer mit, dass ein Herr Schobel bereits die Einkaufsgenehmigung der Geschäftsleitung für den Mercedes bereits vorliegen habe.

Hier bekomme der Leser den Eindruck, er erhielte versehentlich Zugang zu vertraulichen Informationen, weiß Felser. Das rege genauso an wie der bei Kollegen aufgeschnappte Aktientipp.

Dass dem Gewinnspiel überdies derart viele einzelne Zettel beigefügt worden seien, dürfte die Leute verwirren. Es führe wahrscheinlich dazu, dass eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Schreiben unterbleibe. Statt dessen würden sich die Leser eher an Vertrauen erweckenden Symbolen wie den mehrfach aufdruckten Rundstempeln orientieren und der Einfachheit halber auf ihr Gefühl setzen - zumal der mögliche Gewinn eines Auto die Leute bereits in gute Stimmung versetze.

Auch mich würde der Gewinn eines solchen Autos in gute Stimmung versetzen, doch auf dem beigefügten Bild trägt der Mercedes immer noch das Kennzeichen M-0736 und nicht das im Kfz-Brief erwähnte M-HV 2006. Das wird, so viel ist sicher, auch nicht so kommen.

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