Bewusstseinswandel:Mittelständler werden zu Sparern

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Viele Betriebe haben in den vergangenen Jahren ihre eigenen Finanzpolster aufgestockt. Neben Bankdarlehen steht ihnen ein breites Spektrum an Finanzinstrumenten zur Verfügung.

Von Norbert Hofmann

Schon seit Jahren gibt es für die Europäische Zentralbank nur eine Devise: Die Zinsen müssen niedrig bleiben, damit die Firmen Kredite aufnehmen und investieren. Falls sich EZB-Präsident Mario Draghi hin und wieder die Finanzierungsvorlieben des deutschen Mittelstands vor Augen hält, dürfte er mitunter auch schon einmal Zweifel an der Wirksamkeit des Rezepts hegen. Zwar ist die Investitionsneigung der Firmen in Deutschland relativ stabil und sie haben insbesondere auch in den ersten Monaten dieses Jahres wieder mehr Bankkredite aufgenommen. "Insgesamt aber bleiben die Wachstumsraten moderat", konstatiert der Monitor Unternehmensfinanzierungen von Deutsche Bank Research. Die Investitionsfreude dürfte durch die Brexit-Verunsicherung nun sogar einen Dämpfer erhalten haben, wie es der im August von 108,3 auf 106,2 Punkte zurückgefallene ifo-Geschäftsklimaindex signalisiert.

Das Interesse von Finanzinvestoren ist groß

In der VR Mittelstandsumfrage der Volks- und Raiffeisenbanken vom Frühjahr gaben weniger als 20 Prozent der Unternehmen an, dass sie Finanzierungsbedarf hätten. Nicht gerade froh stimmen dürfte Mario Draghi zudem die Tatsache, dass der deutsche Mittelstand trotz niedriger Zinsen immer noch mehr Liquidität aufbaut, als er neue Darlehen aufnimmt. "Entgegen klassischer ökonomischer Theorie sind die Unternehmen aus Bankensicht damit Netto-Sparer und nicht Netto-Kreditnehmer", so die Analysten der Deutschen Bank.

Dieser Trend zeichnet sich schon seit einigen Jahren ab. So ist laut der Beratungsgesellschaft Capmarcon die Eigenkapitalquote der Firmen, also der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme, im vergangenen Jahrzehnt von 17 auf 28 Prozent gestiegen. Die entsprechende Quote der Bankkredite dagegen ist im gleichen Zeitraum von 30 auf 23 Prozent gefallen. "Der Mittelstand verfügt dank der guten Konjunktur der letzten Jahre heute über eine deutlich stärkere Innenfinanzierungskraft als früher", sagt Hans-Werner Grunow, Geschäftsführer von Capmarcon. Nach der Finanzkrise sei zudem die Erkenntnis gewachsen, dass stabile Finanzierungsstrukturen in schwierigen Zeiten überlebenswichtig sind. Grunow hat darüber hinaus einen Bewusstseinswandel bei den Eigentümern festgestellt. "Sie übertragen freie Mittel der Firma nicht mehr so häufig auf ihr privates Vermögen mit dem Wissen, dass ihnen ein nachhaltig solides Finanzfundament des Unternehmens letztlich selbst zugutekommt", sagt Grunow.

Eine gute Kapitalausstattung ermöglicht zudem bessere Konditionen. Laut der jüngsten Bankenumfrage der EZB haben die Fremdkapitalgeber die Kreditkonditionen in Deutschland vor allem infolge des weiter verschärften Wettbewerbs gelockert. Die Institute nehmen geringere Margen in Kauf und kommen den Betrieben auch bei den Darlehensbedingungen entgegen. "Die Bereitschaft zur Kreditvergabe ist bei Banken in Deutschland derzeit sehr hoch, während gleichzeitig die Anforderungen an Vertragsklauseln, finanzielle und betriebswirtschaftliche Kennzahlen sowie die Eigenkapitalquote sinken", sagt Günter Tallner, Bereichsvorstand der Mittelstandsbank der Commerzbank. Das ändere nichts an der Tatsache, dass die Kreditpreise weiterhin abhängig von Risiko und Verwendungszweck zustande kommen und für die Bank auskömmlich sein müssen. Dass Mindeststandards nicht unterschritten werden, liege nicht zuletzt im Interesse der Unternehmen selbst. "Auch sie sollten sich einen Namen im Finanzierungsmarkt machen", sagt Tallner.

Mit Blick auf die Kosten der Fremdfinanzierung zeigt die EZB-Politik Wirkung. Dass sich viele Firmen dieses Niveau über den Tag hinaus sichern wollen, bestätigt der anhaltende Trend hin zu längeren Laufzeiten. Laut Berechnungen von Capmarcon ist der Anteil der fünf Jahre und mehr laufenden Kredite seit 2010 gestiegen. Kurzfristige Darlehen von unter einem Jahr haben dagegen deutlich an Bedeutung verloren. "Je kleiner das Unternehmen, desto größer ist der Wunsch nach langfristigen Laufzeiten", sagt Grunow.

Dem Mittelstand steht neben den Bankdarlehen ein breites Spektrum an Finanzierungsinstrumenten zur Verfügung. Das Mobilienleasing etwa, zu dem vor allem die Vermietung von Fahrzeugen und Maschinen gehört, erreichte im ersten Quartal mit 11,5 Milliarden Euro ein so hohes Volumen an Neuabschlüssen wie noch nie in den vergangenen zehn Jahren. Daneben treten zunehmend große institutionelle Investoren wie Fonds und Versicherer mit Kredit- und Beteiligungsangeboten am Markt auf. Sie stoßen allerdings nur bedingt auf Interesse. Laut der VR Mittelstandsumfrage dachten im Frühjahr aber immerhin mehr als elf Prozent der Mittelständler mit Finanzierungsbedarf über Beteiligungskapital nach. Ein halbes Jahr vorher waren es erst sieben Prozent.

Spürbar an Bedeutung gewonnen haben seit der Finanzkrise laut Capmarcon die Schuldscheindarlehen. Auch in diesem Jahr dürfte der deutsche Schuldscheinmarkt wieder ein neues Rekordvolumen erreichen und die Messlatte von rund 19 Milliarden Euro in 2015 übertreffen. Den Aufwärtstrend prägt zwar eine wachsende Zahl besonders großer Emissionen. Doch auch der Mittelstand nutzt das Finanzierungsinstrument. Der Ratingagentur Scope zufolge standen diese kleinen und mittleren Unternehmen im ersten Halbjahr für knapp ein Drittel der Emissionen. Bei den Emittenten, die erstmals an den Markt gegangen sind, lag ihr Anteil sogar schon bei 50 Prozent.

Sinnvoll ist die Begebung von Schuldscheinen, die direkt bei großen Investoren platziert werden, in der Regel ab einem Jahresumsatz von 100 Millionen Euro. Die Verzinsung liegt unter der einer börsengehandelten Mittelstandsanleihe, aber auch etwas über der eines Bankkredits. Die Unternehmen brauchen dafür aber keine Sicherheiten bieten, müssen häufig nicht einmal den Verwendungszweck erläutern und können ihre Fremdfinanzierung so auf ein zusätzliches Standbein stellen. Vor allem für wachstumsstarke Firmen ist der Schuldschein eine Alternative.

Die Firmen stoßen derzeit auf wachsendes Interesse internationaler Investoren, die im Niedrigzinsumfeld zunehmend Renditechancen in der Beteiligung an Mittelstandskrediten suchen. Der Wettbewerb ist so intensiv, dass sogar die Ansprüche an die Bonität der Schuldscheinemittenten leicht sinken. "Entscheidend ist ein überzeugendes Geschäftsmodell, ein guter Name in der Branche und vor allem ein stabiler Kapitalfluss", sagt Grunow.

Bei Laufzeiten von fünf bis zehn Jahren können Firmen mit Schuldscheindarlehen relativ lange planen und dabei auch Tranchen mit unterschiedlichen Laufzeiten sowie einen Mix aus variabler und fixer Verzinsung vereinbaren. Allerdings sind die vereinbarten Konditionen festgeschrieben, und es ist ungewiss, wie sich die Investoren im Falle einer Krise verhalten. Bei größerem Kapitalbedarf ist auch eine von etwa drei oder vier Banken bereitgestellte Konsortialfinanzierung eine Möglichkeit. "Solche Klub-Deals sind zwar sehr häufig mit einer größeren Zahl an Vertragsklauseln unterlegt, die teilnehmenden Banken reagieren aber erfahrungsgemäß auch flexibler auf veränderte Rahmenbedingungen", sagt Mittelstandsbank-Bereichsvorstand Tallner.

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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