Bevölkerungspolitik:Lasst die Finger davon

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Weder Geburtenkontrollen noch Kindergeld bringen etwas. Menschen brauchen Vertrauen in die Zukunft, ehe sie Nachwuchs zeugen.

Nun also dürfen auch chinesische Kinder wieder Geschwister haben - Chinas Führung hat die seit 1979 bestehende Ein-Kind-Politik für beendet erklärt. Ohne sie gäbe es wohl noch mehr Menschen im bevölkerungsreichsten Land der Erde, doch die Nebenwirkungen des Gesellschaftsversuchs waren am Ende zu groß: Weil sich die meisten Paare einen Jungen wünschten, wurden weibliche Föten gnadenlos abgetrieben. Nun fehlen die Frauen im Land, die Zahl der frustrierten Single-Männer ist hoch, die Gesellschaft droht zu vergreisen. Maos Erben träumten von der planbaren, neuen Gesellschaft - der Traum ist ausgeträumt. Und die Idee, dass der Staat als oberster Geburtenplaner auftritt, hat ziemliche Kratzer bekommen.

Dabei ist der Gedanke so alt wie naheliegend: Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren am besten mit einer ausgewogenen Bevölkerungsstruktur, wenn es nicht zu wenig und nicht zu viele Menschen gibt und so viele Frauen wie Männer, in der sich genügend Junge um nicht zu viele Alte kümmern und überhaupt die Konkurrenz um knappe Ressourcen nicht überhandnimmt.

Über viele Jahrhunderte war Bevölkerungspolitik vor allem Wachstumspolitik. "Seid fruchtbar und mehret euch" befahl Gott dem Volk Israel - und Onan traf der Blitz, weil er seinen Samen auf die Erde fallen ließ, statt die Frau des toten Bruders zu schwängern. Menschen waren knapp; nach Kriegen, Seuchen und Hungersnöten mussten die Herrscher schauen, woher sie Bauern, Handwerker und Soldaten bekamen. Dass es zu viele Menschen auf der Erde geben könnte, sagte erstmals der englische Pastor und Nationalökonom Thomas Robert Malthus (1766-1834): Wenn Europas Bevölkerung weiter so wachse, drohten Hungersnöte, Elend und Epidemien, warnte er. Damals lebten gerade einmal eine Milliarde Menschen auf der Erde. Als Gegenmittel empfahl Malthus Ehelosigkeit und sexuelle Enthaltsamkeit.

Onan traf der Blitz, weil er seinen Samen auf den Boden fallen ließ

Seitdem begleiten zwei Ängste jede Bevölkerungspolitik: die Angst vorm Aussterben (beziehungsweise von kinderreicheren Kulturen verdrängt zu werden) und die Angst vor der Überbevölkerung; die Angst vorm Volk ohne Raum und vorm Raum ohne Volk. Gute Ratgeber waren diese nie, zudem ungefähr so erfolgreich wie des Pastors Malthus' Empfehlung zum Sexit. Die indische Geburtenkontroll-Politik mit Sterilisations- und Verhütungs-Programmen hat wie in China vor allem den Effekt, dass sehr viel weniger Mädchen geboren werden. In Albanien und Rumänien versuchten die Machthaber in den Siebziger- und Achtzigerjahren, mit Abtreibungsverboten die Geburtenraten zu erhöhen, ohne dass so blühende Landschaften entstanden wären. Und auch in den westlichen Ländern führen Kindergeld, Krippen und Teilzeitstellen nur zu unwesentlich höheren Geburtenraten.

Und reibt sich eine Geburtenpolitik schnell mit den Menschenrechten, dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen, der Paare. Von der Zucht- und Vermehrungsideologie der Nationalsozialisten bis hin zur chinesischen Ein-Kind-Politik versuchten vor allem diktatorische und autoritäre Regime, das Kinderkriegen nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Immer wieder gehen Geburtenkontrollprogramme mit Zwangssterilisierungen und Zwangsabtreibungen einher. Auf der UN-Konferenz 1994 in Kairo formulierte die Staatengemeinschaft ein Recht auf "reproduktive Gesundheit": Menschen sollen frei entscheiden können, wie viele Kinder sie wollen. Sie dürfen fürs Kinderkriegen nicht bestraft werden (was der Vatikan und die arabischen Staaten begrüßten). Sie müssen aber auch Zugang zu Verhütungsmitteln und notfalls zu Abtreibungen haben (was der Vatikan und die arabischen Staaten nicht so gut fanden). Das verbietet jeden Zwang bei der Bevölkerungsplanung. Es setzt aber auch den Anreizen Grenzen, die in den reichen Ländern Paaren das Ja zum Kind erleichtern sollen: Wann benachteiligen diese Anreize kinderlose Menschen so sehr, dass sie diskriminiert werden?

Die wahren Gründe dafür, warum es in einer Gesellschaft zu viele oder zu wenige Kinder gibt, liegen ohnehin tiefer, als solch eine Bevölkerungspolitik reicht. Es hat wenig Sinn, in Entwicklungsländern Kondome und die Pille zu verteilen - solange dort Frauen Sexobjekte für Männer sind, die sich über die Zahl der gezeugten Kinder definieren; solange es für arme Familien sinnvoll erscheint, möglichst viele Kinder zu haben, die irgendwie zum Lebensunterhalt beitragen und solange der Bildungsgrad gering ist. In den reichen Ländern führen mehr Kindergeld und Krippenplätze nicht zu mehr Geburten, wenn Frauen und junge Paare befürchten müssen, dass ein Kind sie ins berufliche wie gesellschaftliche Abseits führt, wenn das Vertrauen fehlt, dass Partner wie Arbeitgeber verlässlich sind.

Auch in China, so sagen die Experten, wird nicht mehr die neue Zwei-Kind-Politik der Regierung darüber entscheiden, wie viele Kinder im Land geboren werden oder ob chinesische Männer im Ausland auf Brautschau beziehungsweise Brautkauf gehen müssen. Sondern die Frage, wie sehr die chinesischen Paare auf Karriere setzen, wie sehr sie der Zukunft vertrauen - und ob sie Mädchen für genauso viel wert halten wie Jungen.

© SZ vom 31.10.2015 / Matthias Drobinski - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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