Beunruhigender Gasstreit:Vorsicht Russland

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Moskau hat sich in den ersten Tagen des Jahres die Finger am Gas verbrannt. Das hat vielleicht ein bisschen weh getan, doch es könnte eine heilsame Wirkung entfalten - in Russland selber, aber auch im Westen.

Daniel Brössler

Erdgas ist ein entflammbares Gemisch. Es erfordert ein hohes Maß an Vorsicht. Niemand sollte das besser wissen als die Russen. Schließlich hängt das Wohlergehen ihres Landes ab von dieser Ressource, die sich in großen Mengen in der russischen Erde verbirgt.

Begehrter Energieträger: Erdgas. (Foto: Foto: ddp)

Und doch hat sich Moskau in den ersten Tagen des Jahres die Finger am Gas verbrannt. Das hat vielleicht ein bisschen weh getan, doch es könnte eine heilsame Wirkung entfalten - in Russland selber, aber auch im Westen. Dann zumindest hätte der am Mittwoch beigelegte Streit zwischen Russland und der Ukraine über den richtigen Gaspreis einen Sinn gehabt.

Moskau hatte versucht, den Gasstreit als Problem mit einer rein wirtschaftlichen Ursache darzustellen. In der von den Staatsmedien wieder und wieder verbreiteten Version gibt es einen Weltmarktpreis für Gas, den die Ukraine einfach nicht zu zahlen bereit gewesen sei.

Durch den Kompromiss widerlegt

Doch der Kompromiss widerlegt dies: Der russische Monopolist Gazprom verkauft das für die Ukraine bestimmte Gas künftig für 230 US-Dollar je tausend Kubikmeter an einen Zwischenhändler. Dieser fügt zentralasiatisches Gas vor allem aus Turkmenistan hinzu, das Russland weit unter dem angeblich so unumstößlichen Weltmarktpreis bezieht.

In der Mischung kommt für die Ukraine ein Preis von 95 US-Dollar heraus - ein Preis, mit dem beide Seiten leben können.

Es leuchtet nicht auf Anhieb ein, warum es vor dieser Lösung einer Krise bedurft hatte, in der Gazprom der Ukraine demonstrativ den Gashahn abgedreht hat, und in deren Verlauf auch der Druck in westeuropäischen Gasnetzen bedenklich gefallen war.

Unfähig, als unabhängig zu behandeln

Erklärbar ist es wohl vor allem durch die Art des Umgangs, den Russland mit den Republiken der einstigen Sowjetunion pflegt. Moskaus politische Klasse ist unfähig, diese Länder als wirklich unabhängige Staaten zu begreifen und auch so zu behandeln.

Aus innenpolitischen Gründen hat sich dieses Problem in jüngster Zeit eher noch verschärft. Das Putin-System ist geprägt durch eine vom Staatsfernsehen präsentierte Schein-Wirklichkeit, die vor allem Russlands Größe und Stärke zeigt.

In dieser Scheinwelt hat die zum Westen übergelaufene Ukraine ohne Widerrede einen Preis zu zahlen, der von der Ressourcen-Weltmacht Russland diktiert wird.

Oft erschreckend unvorbereitet

Auf den Zusammenprall mit der Realität reagiert Putins Personal deshalb oft erschreckend unvorbereitet - in diesem Fall auf die ukrainische Widerspenstigkeit. Der Kreml wollte den Ukrainern zeigen, dass man mit Demokratie nicht heizen kann.

Damit aber hat er die Entfremdung vom angeblichen Brudervolk noch beschleunigt. Es liegt eben im Wesen der russischen Führung, dass sie mit Diktatoren vom Schlage des Weißrussen Alexander Lukaschenko und Despoten von der Sorte des Usbeken Islam Karimow besser umgehen kann.

Völlig unabhängig von diesem Makel genoss Russland bisher einen tadellosen Ruf als Rohstofflieferant. Im Westen stärkte das jene, die weniger Demokratie in Russland gerne für mehr Energiesicherheit daheim in Kauf nehmen wollten.

Im Streit mit der Ukraine aber hat Russland eine kleine Kostprobe davon gegeben, was große Rohstoffreserven in den Händen einer autoritären Macht bedeuten - diese ist stets versucht, Ressourcen eher als Waffe denn als Ware zu begreifen.

Gefühl der Unnahbarkeit

Wer sich Russland, das sich Schritt für Schritt von der Demokratie entfernt, nur leisetreterisch nähert, vergrößert diese Gefahr. Denn er gibt der nach innen selbstherrlich auftretenden Putin-Truppe auch im Umgang mit dem Ausland das Gefühl der Unnahbarkeit.

Genau in dieser Hinsicht war die Gaskrise des beginnenden Jahres so heilsam. Russland wollte Stärke demonstrieren und hat Schwäche gezeigt - und zwar in dem Maße, wie der fallende Druck im europäischen Gasnetz den Druck auf den Kreml erhöht hat.

Die Abhängigkeit im Ressourcengeschäft ist nämlich beiderseitig. Russland ist darauf angewiesen, dass es als zuverlässiger Lieferant gilt. Durch überzogene Härte im Streit mit der auch nicht gerade kompromissbereiten Ukraine hat es aber Zweifel an seiner Verlässlichkeit genährt.

Problem erkannt

Im Kreml wurde dieses Problem, wenn auch spät, erkannt, was die Suche nach einer Lösung erheblich beschleunigt hat. Russlands Führung mag nicht demokratisch und schon gar nicht sympathisch sein - aus Hasardeuren besteht sie nicht.

Europa sollte sich freilich nicht darauf verlassen, dass dies immer so bleibt. Die Richtung der russischen Politik zwingt vorausschauende Regierungen im Westen dazu, sich für beunruhigende Szenarien zu wappnen.

Denn in Putins Russland wird gerade eine Generation junger Menschen herangezogen, die sehr wenig weiß über das Grauen der sowjetischen Vergangenheit, aber sehr viel hört über Russlands Stolz und Russlands Größe.

Europa könnte sich eines Tages gruseln

Gedacht ist das vor allem dazu, um die Stimmung zu heben und das politische System zu stabilisieren. Doch auf diese Weise werden auch Geister gerufen, vor denen sich Europa eines Tages gruseln könnte.

Falsch ist es daher, die geplante Ostseepipeline als Rettung in der Not zu preisen. Sie umgeht Transitländer wie die Ukraine und Polen, doch sie verstärkt die Abhängigkeit von Russlands Ressourcen. Dabei sollte doch im Umgang mit Gas eines walten: Vorsicht.

© SZ vom 05.01.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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