Berufshaftpflicht:Hebammen in Not

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Sie zahlen 6274 Euro im Jahr, um sich gegen die Risiken ihres Berufs zu versichern. Das kann nicht mehr jede freiberuflich tätige Geburtshelferin tragen.

Von Jonas Tauber

Zuletzt half die junge bayerische Hebamme am 11. September einem Kind auf die Welt, dem Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center. "Den Geburtstag kann man sich jedenfalls problemlos merken", sagt sie. Die 28-Jährige begleitet als freiberufliche Hebamme Hausgeburten und hat gut zu tun. Sie ist die einzige Geburtshelferin in ihrem Landkreis, immer wieder muss sie Aufträge ablehnen. Weil sie viel arbeitet, kann sie die hohen Beiträge für die zwingend vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung ohne größere Probleme schultern. "Ich kann gut von meiner Arbeit leben", sagt sie. Pro Jahr betreut sie etwa 25 Geburten.

Für Hebammen mit vergleichsweise wenigen Geburten ist die immense Versicherungsprämie dagegen oft eine schwere Belastung. Freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe leisten, müssen derzeit 6274 Euro im Jahr für ihre Berufshaftpflichtversicherung bezahlen. Die wollen erst erwirtschaftet werden. "Manche teilzeitbeschäftigte Kollegin hat deshalb in den vergangen Jahren ihren Beruf aufgegeben", berichtet eine andere freiberufliche Hebamme.

Die Folgen sind schon spürbar. Das Geburtshaus Charlottenburg, nach eigenen Angaben Deutschlands älteste Einrichtung dieser Art, kann nicht über mangelnde Nachfrage klagen. Mehr als 320 Geburten gibt es jedes Jahr. 2014 konnten jedoch nicht alle Interessierten aufgenommen werden, berichtet Geschäftsführerin Christine Bruhn. "Wir mussten die Anzahl der Geburten wegen des Hebammenmangels zurückfahren", sagt sie. Verantwortlich seien die hohen Prämien für die Versicherung. "Die Haftpflicht ist ganz klar ein Berufsrisiko für Hebammen und gleichzeitig ein Geschäftsrisiko für Geburtshäuser, denn wir brauchen Hebammen", sagt Bruhn.

Für freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe leisten, ist es seit Längerem schwierig, sich gegen Haftungsrisiken zu versichern. Nur wenige Versicherer bieten die Leistung an, und die Prämien steigen jedes Jahr deutlich, zuletzt um mehr als 20 Prozent auf nun 6274 Euro. Nach einer Schätzung des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) sind von den 21 000 Hebammen in Deutschland etwa 2600 von der Erhöhung direkt betroffen. Sie begleiten rund ein Fünftel aller Geburten hierzulande. Der Verband bietet dieser Gruppe so gut wie die einzige verbliebene Möglichkeit, sich abzusichern. Er hat dafür einen Gruppenvertrag mit der Versicherungswirtschaft abgeschlossen. Doch der läuft Ende Juni 2016 aus. Derzeit laufen Verhandlungen über die Verlängerung. Jetzt hat der DHV mitten in den Verhandlungen den Makler gewechselt. Statt bisher Securon soll ab Oktober der zur Ecclesia Gruppe gehörende Vermittler Staun übernehmen. Eine DHV-Sprecherin begründete den Schritt mit einem Personalwechsel bei Securon, zudem habe Staun das beste Angebot vorgelegt.

Schwangere Frau: Bei jeder fünften Geburt in Deutschland helfen freiberufliche Hebammen. Gerade sie haben Probleme, die Risiken ihres Berufs zu versichern. (Foto: Bertram Solcher/laif)

An den steigenden Beiträgen dürfte der Wechsel kaum etwas ändern. Die klassische Aufgabe eines Maklers, für Kunden das beste Angebot herauszufiltern, fällt in der Hebammenhaftpflicht wegen der wenigen Angebote weg. Stattdessen geht es vor allem darum, überhaupt den Versicherungsbedarf der im DHV organisierten freiberuflichen Hebammen zu decken.

Schon für den laufenden Vertrag war das nur mit Mühe gelungen. Denn die Nürnberger Versicherung hatte sich Ende Juni aus dem DHV-Konsortium unter Führung der Versicherungskammer Bayern (VKB) verabschiedet. In die Bresche sprangen die Gesellschaften Allianz, Axa, Ergo, Debeka und Württembergische; sie übernahmen Kleinstanteile von je zwei bis vier Prozent. Allerdings will zumindest die Axa ihr Engagement in Höhe von drei Prozent nicht über den Juni 2016 hinaus verlängern.

Im Jahr 2000 musste eine freiberufliche Hebamme, die Geburtshilfe leistet, laut DHV noch 404 Euro Jahresprämie bezahlen. Heute sind es rund 15 Mal soviel. Allein die diesjährige Steigerung betrug 1183 Euro. Seit 2010 zahlen die Krankenkassen den Hebammen Vergütungszuschläge, die den Prämienanstieg auffangen sollen. Allerdings greifen sie spürbar erst ab einer bestimmten Anzahl von betreuten Geburten. Die große Koalition hat deshalb den sogenannten Sicherstellungszuschlag vorgesehen, der Hebammen mit wenigen Geburten helfen soll. Wie er genau ausgestaltet werden soll, ist aber strittig. Verhandlungen zwischen Hebammenverbänden und Krankenkassen scheiterten, nun liegt die Sache bei einem Schiedsgericht.

Bei schweren Fällen vervielfachten sich die Kosten für die Versicherung

Die Versicherer begründen die stark gestiegenen Prämien mit den höheren Kosten durch schwere Geburtsfehler. Treiber seien bessere Behandlungs- und Pflegemöglichkeiten durch medizinischen Fortschritt sowie höhere Ansprüche der Betroffenen etwa auf Schmerzensgeld, sagt Harald Speil vom Versicherer VKB. Er illustriert das am Beispiel eines Schadenfalls, bei dem das Kind wegen einer Unterversorgung mit Sauerstoff bei der Geburt schwerbehindert wird: 1998 entstanden dabei Kosten von 340 000 Euro, zehn Jahre später waren es schon 2,9 Millionen Euro. Im Jahr gibt es laut Speil 30 Großschäden mit durchschnittlich 2,6 Millionen Euro Kosten pro Fall.

Die große Koalition will die steigenden Prämien mit einem sogenannten Regressverzicht der Krankenkassen stoppen. Bisher können sich die Kassen die Behandlungskosten nach einem Geburtsfehler vom Haftpflichtversicherer der Verursacher zurückholen, ihn also in Regress nehmen. Das soll ab 2016 wegfallen, es sei denn, die Geburtshelferin hat grob fahrlässig gehandelt. Allerdings ist umstritten, wie wirkungsvoll die Maßnahme sein wird. Thomas Renner, Referatsleiter im Bundesgesundheitsministerium, räumt ein, dass die neu eingeführte Unterscheidung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit sich erst bewähren muss. "Wir müssen der Versicherungswirtschaft zugestehen, dass wir Unsicherheit geschaffen haben", sagt er. "Wir werden abwarten müssen, was dabei herauskommt." Politik und Versicherer wollen außerdem das Qualitätsmanagement ausbauen und so den Prämienanstieg stoppen.

Den Hebammen ist das zu wenig. Sie fordern stattdessen die Einrichtung eines staatlichen Fonds. Der könnte ab einer bestimmten Schadenhöhe greifen und so die Last der Versicherer begrenzen. In der Folge würden die Prämien sinken, so das Kalkül. Laut Renner wäre das aus Sicht der Regierung ein zu großer Eingriff ins Haftungsrecht gewesen: "Wir haben die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft." Allerdings müsse sich langfristig zeigen, ob die Versicherer ihrer Aufgabe, die Haftungsrisiken der Heilberufe abzudecken, gerecht werden können. "Es ist keine Frage, dass die Privatwirtschaft dabei vor einer großen Bewährungsprobe steht", sagt er.

Die Hebammen dürfte das kaum trösten. Sie können nur hoffen, dass die schwierigen Verhandlungen über die Verlängerung des Vertrags im Oktober erfolgreich abgeschlossen werden können, sodass freiberufliche Hebammen über Juni 2016 hinaus abgesichert sind. Andernfalls bekommen Schwangere mit Geburtstermin ab Juli 2016 ein Problem - und zwar nicht nur dann, wenn sie sich eine Hausgeburt wünschen. Denn auch Kliniken beschäftigen freiberufliche Hebammen. "Gerade in Kliniken in ländlichen Gegenden werden teils nur freiberufliche Beleghebammen eingesetzt", sagt die Sprecherin des Verbands.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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