beraten & verkauft (III):Segeln mit McKinsey

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Von Wasser, Sonne, Parties und Hartz IV. Ein Erfahrungsbericht über eine Begegnung mit McKinsey.

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch "beraten & verkauft" wieder, das derzeit zu den meistverkauften Sachbüchern zählt.

"Führer, Ehrgeiz, Pflicht? Das wird ein Spaß, denke ich." (Foto: Foto: dpa)

Der Autor Thomas Leif nähert sich darin einer unnahbaren Branche an: Den Unternehmensberatern. Bestandteil des Buches ist auch ein Erfahrungsbericht von Julia Friedrichs über den Recruiting-Prozess bei McKinsey, den Sie hier im Rahmen einer kleinen Serie bei sueddeutsche.de nachlesen können.

Was bisher geschah: Julia Friedrichs, seinerzeit Journalistik-Studentin, wird 2005 von McKinsey zur EuroAcademy nach Griechenland eingeladen. Dort sammelt sie erste Eindrücke von der Welt der Berater. Und die von ihr. Zwei Tage ist sie schon dort.

Tag drei: "Work hard, party hard"

Müde stehe ich am nächsten Morgen in der Hotellobby. Heute habe ich Jeans an, meine Badesachen, ein Handtuch und Sonnencreme sind im Rucksack.

"Smart casual" heißt die Kleiderordnung für heute. Smart heißt klug, casual sportlich.

Wahrscheinlich muss man schon ein bisschen länger im Geschäft sein, um zu wissen, welcher Stil sich hinter dieser Wortkombination verbirgt.

Es ist ein wunderschöner, warmer Oktobertag. Ich muss daran denken, dass mein Vater seit Ewigkeiten davon träumt, einmal in der Ägäis zu segeln.

Für uns hat McKinsey heute 21 Jachten gemietet. Um kurz nach acht kommen wir im Hafen bei Athen an. Unsere Crew besteigt Schiff 21, die "Destiny". Nun warten wir auf unseren Skipper.

Doch der trinkt gerade Kaffee und teilt den aufgeregten Consultants mit, dass die Hafenpolizei unsere Papiere erst in einer Stunde bearbeiten wird.

"Ist doch auch bescheuert", sagt Rosa aus Spanien später. "So früh an einen griechischen Hafen zu kommen und zu denken, die setzen sich dann in Bewegung. In Spanien hätten die denen auch einen Vogel gezeigt."

Als wir um kurz nach zehn schließlich starten, hinken wir über zwei Stunden dem Zeitplan hinterher. Effizienz sieht anders aus.

Im Programm hieß es, wir würden jetzt eine "Sailing instruction" bekommen, eine Art Segelgrundkurs. Jeder Teilnehmer musste vorher angeben, welche Eigenschaften er zur Segelcrew beitragen würde.

"Ich erledige alle Aufgaben so schnell wie möglich", hat eine Britin geschrieben. "Ich werde meine Pflicht erfüllen, was immer meine Aufgabe sein wird", verspricht ein Russe.

Eine Schweizerin hat den Ehrgeiz, immer zu gewinnen. Eine Britin schreibt sogar davon, dass sie zur Führerin der Crew aufsteigen werde, wenn es nötig sei. Dass sie aber auch anderen Führern gehorchen könne.

Führer, Ehrgeiz, Pflicht? Das wird ein Spaß, denke ich und schaue mir weitere Selbstporträts an.

"Ich werde eine Angel mitbringen ", schreibt ein Schwede. "Ich mache exzellenten Gin Tonic", verspricht ein Brite. Ich nehme mir vor, die beiden später zu treffen. Mittlerweile hat der Segelkurs begonnen.

Unser Skipper Nansis zeigt uns, wie wir die Vakuumspülung der Toilette bedienen. Dann hissen wir zusammen das Großsegel. Damit ist die "Sailing instruction" auch schon wieder zu Ende.

"And now: Enjoy this trip!", rät uns Nansis. Wir laufen aus dem Hafen aus. Hinter uns kann man auf einem Hügel schemenhaft die Akropolis erkennen. Ich setze mich an Deck in die Sonne und merke, wie der Fahrtwind die Kopfschmerzen, Folge der vielen Smalltalk-Drinks, vertreibt.

beraten & verkauft - McKinsey & Co - der große Bluff der Unternehmensberater Verlag C. Bertels- mann, 2006, 448 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 3-570-00925-4 (Foto: N/A)

Die "Destiny" schaukelt sanft hin und her. Ich schlafe langsam ein. Als ich wieder aufwache, sitzt Charlotte neben mir.

"McK-Challenge 2000" steht auf ihrem Sweatshirt. Schon wieder so eine, denke ich und beschließe, diesmal einfach zu schweigen. Charlotte wacht auch gerade auf.

Sie lacht, als das Boot sich schräg in den Wind legt und zwei Crewmitglieder ein wenig schief in der Reling hängen.

Charlotte kommt aus dem Münchener Büro, berät aber seit ein paar Monaten nicht mehr, sondern plant das Personalrecruiting für McKinsey in Europa und Asien.

Sie sei durch mit dem Beraten, sagt sie, und habe sich einen ruhigeren Job gesucht. Im März soll ihr Baby auf die Welt kommen. "Ich will mindestens vier oder sechs", sagt sie und freut sich schon jetzt.

Charlotte ist anders als die Berater, die ich bisher getroffen habe: offener, direkter, nicht so künstlich begeistert von allem, was sie tut.

Als sie 22 war, hat sie bei McKinsey angefangen. Sie sei damals völlig baff gewesen, erinnert sie sich. Vorher habe sie nur Praktika bei der Oper in Frankfurt, an der Botschaft in Buenos Aires und im Bundestag gemacht.

Richtiges Geld habe sie da nie verdient. Und plötzlich habe das Unternehmen ihr ein Top-Einkommen, ein Auto und eine Krankenversicherung geboten und gesagt: "Wir wollen dich haben." "Ich war völlig naiv damals", erzählt mir Charlotte.

"Ich habe gesagt, ich mache nur kulturelle Projekte, nur pro bono, und ich werde niemals Kosten reduzieren, also Leute entlassen."

Ihr erstes großes Projekt sei dann bei einem Mittelständler gewesen, einem Hersteller von Kupferrohren.

Zuerst analysierte ihr Team die wirtschaftliche Situation. "Es war dann klar", sagt Charlotte, "dass die entweder Kosten sparen oder ganz dichtmachen müssten."

In den folgenden Monaten arbeiteten die McKinseys also einen Sparplan aus. Charlotte legte fest, in welchen Abteilungen wie viele Personen entlassen werden mussten, und tat damit das, was kurz vorher für sie noch völlig undenkbar gewesen wäre.

Sie habe eingesehen, sagt Charlotte, dass entweder jeder Zehnte oder alle ihren Job verlieren würden, und habe das Projekt deshalb durchgezogen.

Nach den Kupferrohren optimierte Charlotte den Arbeitsmarkt. Sie saß für McKinsey von Anfang an in der Hartz-Kommission und vertrat dort die Arbeitgeberseite.

Danach sei sie eine Art persönliche Beraterin von Peter Hartz gewesen, bezahlt von McKinsey.

"Ich habe den Mitarbeitern erklärt, wie sie die Arbeitslosen begrüßen sollen, habe die Laufwege in den Ämtern gemessen und versucht, das alles zu optimieren."

Warum der Erfolg von Hartz IV ausgeblieben sei, will ich wissen. Einige Mitarbeiter in den Ämtern hätten sich gesträubt, die Änderungen umzusetzen, manche seien einfach auch stinkfaul, antwortet Charlotte.

Und die Politiker, vor allem die Beamten im Wirtschaftsministerium, hätten all ihre Vorschläge verwässert.

"Ich kam mir vor wie eine Detektivin", sagt sie. "Ich musste immer wieder unsere Papiere nach deren Füllwörtern, die alles einschränken und unverbindlich machen, durchsuchen."

Der öffentliche Sektor sei mühsam, sagt Charlotte. Die Ausschreibungen findet sie zu kompliziert, zudem sei oft das Ergebnis, dass sich die größten Beraterfirmen den Auftrag teilen müssten.

Ständig müsse man Rücksicht auf politische Befindlichkeiten nehmen. Trotzdem wolle McKinsey in diesem Bereich massiv wachsen. "Vierzig Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet der Staat", erklärt mir Charlotte.

Dieser Kuchen ist zu groß, als dass man ihn unberührt vorbeigehen lassen könnte, denke ich.

Die Tage in Athen sind so straff durchorganisiert, dass ich mich allmählich überwacht fühle.

Weiß McKinsey, dass mich Zahlen und Bilanzen nicht locken, dass es jemanden mit meinem Hintergrund eher reizt, dass er als Berater massiv Einfluss auf politische Prozesse nehmen könnte? Sitzt deshalb die sympathische Charlotte neben mir auf dem Boot und berichtet von den vielen Möglichkeiten jenseits der Privatwirtschaft? Was wollen die von mir?

Diese Frage stelle ich mir schon, seit ich die Zusage bekommen habe. Dass sie mit mir über Europa reden wollen, schließe ich aus. Dass sie mir gern einen Luxusurlaub an der griechischen Küste schenken möchten, weil sie mich so nett finden, auch.

Ich glaube, dass McKinsey zwei Hauptgründe hat, mich oder Markus, den Philosophiestudenten, der abwegige Filme dreht, oder Johanna, die Gynäkologin, einzuladen.

"Wir wollen vor allem, dass das Bild, das ihr von der Firma habt, besser wird", hatte mir die Recruiting-Chefin erklärt.

Wir sind Multiplikatoren, die Argumente für McKinsey in eine eher beraterfeindliche Umgebung tragen könnten. Deshalb ist es wichtig, dass sie auch uns kriegen, sei es, indem sie uns kaufen, indem wir in den ständigen Gesprächen auf jemanden treffen, den wir nett finden, oder indem sie uns von den vielfältigen Möglichkeiten vorschwärmen.

Der zweite Grund ist wohl, dass sie, vor allem für Aufträge im öffentlichen Sektor, auch Leute wie uns brauchen.

Gesundheitsmanagement ist das nächste große Ding, wird Johanna später erfahren. Deshalb sucht McKinsey händeringend nach Medizinern.

An Aufträge, bei denen man Politiker und Ministerialbeamte überzeugen muss, können sie nicht nur Absolventen von privaten Wirtschaftsschulen setzen.

Da brauchen sie wohl jemanden, dem politische Prozesse und Befindlichkeiten nicht völlig fremd sind.

In dem Buch Unser effizientes Leben von Dirk Kurbjuweit habe ich gelesen, dass der Nachwuchs für McKinsey notwendiges Rohmaterial sei.

Zweihundert junge Leute werden in Deutschland jedes Jahr eingestellt. Die Hälfte, erfahre ich in Athen, hört in den ersten zwei Jahren wieder auf.

Der Verschleiß bei der Veredelung ist also gewaltig. Deshalb solch riesige Recruiting-Events wie dieses hier, bei denen zuerst einmal relativ breit gesichtet wird.

Aussortieren kann man Johanna, Markus oder mich immer noch, wenn sich herausstellen sollte, dass wir, die kreativen Rohbaustoffe, zu schwer formbar sind.

In einer Bucht wirft die "Destiny" Anker. Kleine Beiboote bringen uns an den Strand. Hier hat McKinsey die ideale Kulisse für eine Beachparty aufgebaut: Tische und Stühle sind mit weißen Stoffen verhüllt, es gibt Salate, Fisch und frische Früchte.

Ich merke, dass Wind, Sonne und Meer dazu führen, dass ich die ganze Zeit lächle. Die Werbeaktion für das Beraterleben läuft perfekt.

Als wir abends wieder in unserer Hotelbucht ankern, geht gerade die Sonne über dem Poseidontempel unter. Ich stehe am Strand und nehme die atemberaubende Kulisse in mir auf, beeindruckt und hoch zufrieden zugleich.

Während ich versuche, mir den wunderschönen Segeltag genau einzuprägen, laufen auch die anderen Boote in der Bucht ein.

"Hat es euch gefallen?", frage ich, als die nächste Crew an Land kommt. "Überhaupt nicht", sagt einer. "Ich bin total enttäuscht", ein anderer.

Fast zweifle ich an meinen Englischkenntnissen. Doch als sie die Gründe nennen, wird klar, dass ich alles richtig verstanden habe. "Der Skipper war faul, wir sind einfach die Küste entlanggeschippert", beschwert sich ein Franzose.

"Ich dachte, es gebe eine Regatta, ein Wettrennen", klagt ein Deutscher. "Es fehlte die Herausforderung, no challenge", meint ein enttäuschter Holländer.

Für ihn war es ein verschwendeter Tag. Ich bin wütend und verzweifelt zugleich. Das ist also Europas junge Elite. Sind sie komplett unfähig zu genießen? Kann Ehrgeiz blind machen?

Als ich endlich wieder in meinem Bungalow bin, versuche ich, sie zu verstehen. Ich blättere die Lebensläufe der anderen Teilnehmer durch. Einer besucht zwei der besten französischen Privatunis gleichzeitig.

Eine Österreicherin promoviert in Sankt Gallen. Sie ist gerade erst 22. Fast alle, die aus England angereist sind, studieren in Oxford oder Cambridge.

Der enttäuschte Holländer macht dort gerade seinen Doktor in Chemie, nebenbei dirigiert er das Campusorchester.

Schaut man sich auch noch die Spalte "Hobbys" an, dann verfestigt sich der Eindruck, dass jeder Tag im Leben dieser Leute mindestens fünfzig Stunden haben muss: Fitness, Reisen, Skifahren, Snowboarden, Wissenschaft, Finanzen und Scuba-Diving zählt ein Schweizer als Hobbys auf.

Ein junger Deutscher, der in Frankreich und in der Schweiz gleichzeitig studiert, schafft es, nebenher noch Marathon zu laufen, zu jonglieren, in einer Big Band Saxofon zu spielen, zu reisen, sich intensiv mit Politik und Wirtschaft zu befassen und trotzdem in Kontakt mit Freunden zu bleiben.

Die anderen Listen sind nicht weniger beeindruckend: Skiing, hunting, fishing, hiking, climbing - die Aufzählungen nehmen kein Ende.

Dann schaue ich mir an, was ich geschrieben habe: Kino, Fußball, mit Freunden ausgehen. Meine Liste klingt banal, aber trotzdem fühle ich mich immer ausgelastet.

Ich schlafe gern viel und sitze manchmal stundenlang allein im Café, um die Menschen in meinem Viertel zu beobachten oder um einfach nachzudenken.

"Diese Leute sind mir unheimlich", sagt Rosa später. "Wer immer nur von einer Sache in die nächste stürzt, der denkt doch nie nach. Wann überlegt der denn, ob das, was er macht, richtig oder falsch ist?"

Dass Rosa Recht hat, weiß sicherlich auch McKinsey. Das Unternehmen hat sich hier vor allem leistungsbereite, meist wohlhabende junge Leute eingeladen, die den Gedanken, dass sie Europas Elite sind, nicht nur reizvoll, sondern auch nachvollziehbar finden.

McKinsey suggeriert uns, dass wir wertvolle Persönlichkeiten seien, die das "Leadership"-Gen in sich trügen.

Das schmeichelt jedem hier. Die Tage in Athen sollen der erste Schritt dazu sein, aus uns eine Gruppe zu machen, die sich überlegen fühlt.

Vermutlich erscheint es jemandem, der über längere Zeit so bearbeitet wurde, selbstverständlich, die Menschen in Gewinner und Verlierer einzuteilen.

Für die Gewinner gibt es heute Abend eine rauschende Party. McKinsey hat einen DJ gebucht und in der Hotellobby einen großen Tresen aufgebaut, hinter dem zwei Barkeeper mit Wodkaflaschen und einem Cocktailshaker jonglieren.

Hauke tanzt genauso witzig, wie er moderiert. Offenbar haben er, Fanny und die anderen Berater gemeinsam Tanzkurse besucht. Sie bewegen sich auffällig ähnlich, tanzen extrovertiert, ausgelassen. "Unser Leben macht Spaß", suggeriert jede Drehung.

"Work hard, party hard" ist das Motto der McKinseys. Sie werden noch bis sechs Uhr früh feiern.

Für viele der gerade zwanzigjährigen Studenten, die zum Teil noch zu Hause wohnen, wird das eine der eindrucksvollsten Partys ihres Lebens werden.

Sie werden trinken, tanzen, schwimmen und knutschen. McKinsey hat alles dafür getan, dass sie diese Nacht garantiert nicht mehr vergessen.

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