Benetton:Sei nicht brav

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Bei der Modekette United Colors nimmt das alte Erfolgsduo Luciano Benetton und Oliviero Toscani den gerissenen Faden wieder auf. Nun wollen die kreativen Veteranen den einstigen Pullover-Konzern retten.

Von Ulrike Sauer, Florenz

Oliviero Toscani steht missmutig im Innenhof des Palazzo Strozzi. Über ihm und den Gästen der Vernissage hängt ein Banner im Scheinwerferlicht, das zwischen den Säulen ausgerollt ist. Zu sehen sind auf dem langen Band die Porträts von Kindern, die der italienische Fotograf für den Modekonzern Benetton gemacht hat. "Sei nicht brav" fordert der Titel der Retrospektive, die vor allem eins zeigen soll: Der Meister anstößiger Fotos und aufrüttelnder Werbebotschaften inszeniert nach 18 Jahren Trennung wieder den Auftritt der inzwischen verblassten Marke United Colors of Benetton.

Oliviero Toscani, 75, ist also zurück. Und das heißt zunächst einmal, bei Benetton soll Schluss sein mit der angepassten Bravheit der vergangenen Jahre. Toscani hatte von 1982 bis 2000 mit den umstrittenen Fotos von einem sterbenden Aids-Kranken, der blutbesudelten Uniform eines gefallenen bosnischen Soldaten oder eines überhaupt nicht süßen Neugeborenen mit Nabelschnur die Bildsprache der Werbung revolutioniert.

Und Benetton hatte mit seinem Kommunikationschef Toscani weltweit Aufsehen erregt. Zensur, Boykottaufrufe und die Empörung der Bischöfe waren die Folge. An der Werbung schieden sich die Geister. Brillant und engagiert fanden die einen, zynisch und abstoßend die anderen. Die Provokation als Masche funktionierte.

Die ersten Worte, die der mürrische Italiener an diesem Abend fallen lässt, richten sich gegen die Bauherren des imposanten Palastes. "Von wegen Renaissance und hehre Kunst", knurrt Toscani. Macht und Reichtum der Familie Strozzi gründeten in der Glanzepoche von Florenz auf dem Wucher, dem Kerngeschäft der Sippe. So erkläre sich auch, dass das italienische Wort für Wucherer strozzino ist. Seine polemische Verve, soviel ist klar, hat der Provokateur Toscani nicht abgelegt.

Er trat nicht nur an, das langweilige Markenimage der Modekette zu beleben. Bei Benetton liegt mehr im Argen - seit Langem. Das einstige Trendlabel hat Kunden verloren, Farbe, Coolness. Die Italiener wurden von neuen Konkurrenten überrannt. Ihre Leute verzagten an ständigen Führungswechseln, Umsatzrückgängen und hartnäckigen Verlusten. Toscani sieht es so: "Die Manager haben dieses Unternehmen erstickt." Er schimpft auf die Marketingleute und Werbeagenturen, auf Kreativ-Berater, Marktforscher und Absolventen von Elite-Hochschulen. Er sagt: Kaum hatte sich der Gründer Luciano Benetton 2008 in den Ruhestand verabschiedet, breiteten sich diese Klugscheißer aus. Sie hätten nicht kapiert, dass Benetton keine Reifen herstelle, sondern Mode. Und dass die Magie der Mode nicht programmierbar sei.

Zur Vernissage reist Toscani von seinem Anwesen bei Pisa an, das inmitten von Rebbergen und Olivenhainen liegt. Die Weine der Kellerei Oliviero Toscani und die Etiketten der Ölflaschen tragen die Initialen OT.

In Florenz kreuzt der Gutsherr in schlammverdreckten Schuhen und grüner Tweedjacke auf. Am Hut steckt eine orangefarbene Feder. Gezeigt werden im Palazzo Strozzi alte Kinderporträts und die Fotos der neuen Kinder-Kollektion. Es müsse sich viel ändern. Benetton brauche neue Produkte, neue Läden, neue Farben, neuen Zauber. "Das Unternehmen darf nicht sterben", sagt er.

"Nun nehme ich mir die Firma mit 81 Millionen Euro Verlust zurück", sagt Luciano Benetton

Es war Luciano Benetton, 82, der vor zwei Monaten die überraschende Wende bekannt gab. Er kehre zurück, um sein 1965 gegründetes Unternehmen zu retten. Lange hatte man nichts von ihm gehört. Er war im Boot rund um die Erde unterwegs gewesen. Für seine Sammlung Imago Mundi hat er 25 000 Kunstwerke in Auftrag gegeben, im Format zehn mal zwölf, Postkarten aus aller Welt. Das Vermögen der großen Familie wuchs unterdessen stetig. Der Börsenwert der Edizione Holding, mit der der Textil-Clan in den Neunzigerjahren in die Infrastrukturbranche diversifizierte, stieg 2017 um 1,7 Milliarden Euro.

Nun zog es Benetton in die Villa Minelli bei Treviso zurück, das feudale Hauptquartier der belanglos gewordenen Modemarke. Er brachte Toscani mit. Ihr enges Verhältnis ist fast zwei Jahrzehnte der kreative Motor der United Colors gewesen. Luciano Benetton hatte sich getraut, dem Fotografen unbegrenzte Freiheit zu geben. Die Tabubrüche transportierten die Werbebotschaft des unkonventionellen Labels aus Venetien in 120 Länder: Wir sind jung, frech, bunt und wollen die Welt zu einem besseren Ort machen.

Nun ist es für Benetton offenbar höchste Zeit, die Händler aus dem Tempel zu vertreiben, um aus seiner Schöpfung einen besseren Ort zu machen. "2008 verließ ich das Unternehmen mit 155 Millionen Euro Gewinn und nun nehme ich es mir mit 81 Millionen Euro Verlust zurück", sagte er in einem Interview mit der Zeitung La Repubblica. 2017 sei man wohl noch tiefer in die roten Zahlen gerutscht. Der Konzerngründer, der mit 14 Jahren als ältester von vier Halbwaisen in einem Stoffgeschäft in Treviso als Verkäufer anheuerte, klingt nicht so, als brenne er darauf, sich noch einmal die Ärmel hochzukrempeln. Aber das Treiben der Manager habe ihn mit einem "unerträglichen Schmerz" erfüllt.

Die gröbsten Fehler: Die Farben von United Colors wurden ausgelöscht. Statt der bunten Pullis hängte man Mäntel mit großen Kragen und breiten Schultern in schmuddeligem Grau in die Geschäfte. Die Färbereien wurden geschlossen. Und die Läden sind "düster und trist wie die Geschäfte im kommunistischen Polen". "Wir haben uns selbst besiegt", schimpft Benetton. Jetzt will er mit seinem Modelabel wie früher Stellung beziehen.

"Wir wagen wieder", versichert er. Zum Auftakt griff Toscani in der neuen Werbekampagne das explosive Thema Ausländer und Integration auf. Er fotografierte eine Mailänder Grundschulklasse, 28 Kinder, 13 Nationalitäten, vier Kontinente. "Entscheidend für unsere Zukunft ist die Intelligenz, mit der wir Fremde in unsere Gesellschaften integrieren", sagt Toscani.

Für Benetton, dessen Anzeigen einst einen weißen Säugling an einer großen schwarzen Brust abbildeten, ist der Einsatz gegen Ausländerhass und Rassismus nicht neu. Die United Colors besinnen sich 2018 auf ihre alte Markenidentität.

© SZ vom 25.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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