Bei uns in Shanghai:Kompliziertes Regieren

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Schlittert China in eine Deflation? Oder steckt das Land schon mittendrin? Tatsächlich wächst Chinas Wirtschaft seit einer Weile kontinuierlich langsamer.

Von MARCEL GRZANNA

In China streiten sich die Gelehrten. Schlittert das Land unaufhaltsam in eine Deflation? Steckt es möglicherweise schon mittendrin? 1998 gab es eine vergleichbare Situation. Damals zog ein staatliches Konjunkturpaket die Preise aus dem Strudel heraus. Ein Blick auf die Statistiken heute zeigt: Seit 39 Monaten, also mehr als drei Jahre schon, erhalten die produzierenden Unternehmen im Schnitt weniger Geld für ihre Ware als im Monat zuvor. Mit anderen Worten bedeutet das, es gibt einfach zu wenig Bares im Wirtschaftskreislauf, um all die Produkte finanzieren zu können, die den Menschen von der Industrie angeboten werden. Deswegen fallen die Preise. Kritisch wird es dann, wenn die Firmen beginnen, weniger zu produzieren, um die Balance wiederherzustellen. Denn das kostet Arbeitsplätze.

Tatsächlich wächst Chinas Wirtschaft seit einer Weile kontinuierlich langsamer. Das passt also alles ins Bild einer deflationären Atmosphäre. Andererseits kostet das Pfund Schweinebauch Monat für Monat immer noch ein bisschen mehr. Deswegen argumentieren die Optimisten, solange die Preise für die Konsumenten klettern, ist alles im grünen Bereich. Schweinefleisch zählt zu den wichtigsten Indikatoren der Geldwertentwicklung.

Die Regierung aber bleibt skeptisch. Sie hat mehrfach in diesem Jahr die Leitzinsen und die Mindestreserve der Banken gesenkt, damit die Firmen endlich wieder so viel Geld für ihre Güter erhalten, dass sie frohen Mutes das Volumen ihrer Produktion beibehalten, besser noch erhöhen. Passiert ist nichts. Deshalb geht es jetzt ans Eingemachte, nämlich an das Bankengesetz. Das besagt, dass Banken nicht mehr als 75 Prozent dessen als Kredite weiterreichen dürfen, was sie als Einlagen ihrer Kunden in der Bilanz verzeichnen. Die Regelung soll schnellstmöglich gekippt werden. Dazu muss der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses sein Okay geben. An dieser Stelle wird das Regieren in China ein Stück weit bequem. Denn die Zustimmung der Legislative ist eine reine Formalie, weil der Nationale Volkskongress und seine Gremien das tun, was die autokratische Regierung von ihm erwartet.

Künftig soll der Anteil von 75 Prozent nur noch als Richtwert, nicht mehr als Limit gelten. Experten haben ausgerechnet, dass dadurch 6,6 Billionen Yuan - umgerechnet fast 1000 Milliarden Euro - an Kapital freigesetzt werden. Das soll per Kredite vornehmlich an Unternehmen fließen.

Die Rechnung könnte so einfach sein, wäre da nicht dieser riesige Schuldenberg, der die Kommunen erdrückt. Nun drohen Zahlungsausfälle, weil sie schon lange über ihre Verhältnisse leben. 1998 gab es dieses Problem noch nicht. 17 Jahre später ist das Regieren komplizierter geworden, auch für Autokraten.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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