Bei uns in Rom:Triumph der Neinsager

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Mailand hebt gerade ab. Klar wächst der Wettbewerbsvorteil gegenüber der echten Hauptstadt auch wegen deren Niedergang. In Rom passieren Dinge, die man sich nicht vorstellen kann. Die Protestbewegung Cinque Stelle spielt dabei eine wichtige Rolle.

Von ULRIKE SAUER

Da sitzt man im Vicolo della Vaccarella in einer Trattoria. Für Ortsunkundige: Die Gasse der jungen Kuh biegt von der eleganteren Via della Scrofa, der Wildsaustraße, ab. Zur Piazza Navona sind es ein paar Schritte. Downtown Rom, also. Der Mailänder verspeist Wurstspezialitäten aus Norcia und Spaghetti all'Amatriciana. Das gebietet die Solidarität mit den zerstörten Apenninendörfern. Die Erdbeben in Mittelitalien einen das gespaltene Land wenigstens beim Essen, denkt man noch. Doch schon sagt der Mailänder: "Es tut mir leid, dass wir uns heute in Rom treffen". Er schwärmt von dem magischen Moment in seiner prickelnden, zukunftshungrigen Stadt, die Talente anzieht und unablässig Pläne schmiedet.

Mailand hebt gerade ab. Gianmario Verona, Professor für Innovationsmanagement und Rektor der Wirtschaftsuniversität Bocconi, erzählt von Nobelpreis-Anwärtern und davon, wie Italiens Finanzhauptstadt vom Brexit profitieren will. Klar wächst der Wettbewerbsvorteil gegenüber der echten Hauptstadt auch wegen deren Niedergangs. Hier in Rom passieren Dinge, die man sich anderswo nicht vorstellen kann.

Da ist die U-Bahn mit zwei schäbigen Linien. 3,7 Milliarden Euro wurden für den Bau einer dritten Strecke ausgegeben. Nun endet sie dort, wo sie gebraucht wird. Die Metro C sollte eigentlich die von Abgasen und Verkehrschaos geplagte Altstadt unterirdisch durchqueren, um dem Weltkulturerbe am Tiber Luft zu verschaffen. Die neue Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Protestbewegung Cinque Stelle schob dem Weiterbau einen Riegel vor. Das wichtigste Teilstück wurde gestrichen.

Nein sagte Raggi auch zu Olympischen Spielen. Rom galt als Favoritin für die Austragung der Spiele 2024. Sie zog die Bewerbung zurück. Begründung: Großereignisse seien nur ein Geschäft für die Bauindustrie. Beim futuristischen Kongresszentrum Nuvola kam Raggi zu spät. "Die haben Glück gehabt, dass wir nicht eher an die Macht gekommen sind", sagte sie bei der Eröffnung. Übrigens: Mailand zieht seit drei Jahren mehr Besucher an als Rom. Mailand!

In Rom gehen immer häufiger Busse während der Fahrt in Flammen auf. Den städtischen Verkehrsbetrieben Atac fehlt es sogar an Geld für Reparaturen. An den Haltestellen kommen jeden Tag weniger Busse vorbei. Ein wenig profitierte die marode Atac allerdings von den Neinsagern auf dem Kapitol. Die Cinque Stelle zahlten 142 000 Euro, um auf 90 Bussen für das Nein beim Referendum über die Verfassungsreform zu werben. 59,4 Prozent der römischen Wähler folgten dem Aufruf am Sonntag. Nebenbei bemerkt: In Mailand stimmte die Mehrheit der Reform zu. Was soll man sagen? Jetzt, wo das Nein beim Volksentscheid triumphierte, wäre es vielleicht an der Zeit, auch in Rom mal ein Ja zu wagen.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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