Bei uns in Rio:Schöne Grüße vom Planeten Berlin

Lesezeit: 2 min

Die brasilianischen Supermarktverkäuferinnen lieben Plastiktüten. Zwei Tüten werden gerne zu Doppeltüten zusammengesteckt, dann kommt der Einkauf rein. Ein Gesetz? Hält sich keiner dran.

Von BORIS HERRMANN

In brasilianischen Supermärkten lässt sich recht entspannt einkaufen, man darf es nur nicht so eilig haben. An den Kassen herrscht ständige Staugefahr. Das hängt erstens damit zusammen, dass die Kassiererinnen so freundlich sind, alle Produkte für die Kunden in kostenlose Plastiktüten einzupacken. Zweitens liegt es daran, dass sie sich dabei nicht stressen lassen. Der dritte Grund ist, dass die Kassiererinnen zunächst einmal zwei Tüten zu einer Doppeltüte zusammenstecken, weil die klassische brasilianische Supermarkt-Gratis-Tüte nicht wirklich reißfest ist und für sich alleine schon an einem Liter Milch kläglich scheitern würde. Viertens können nur brasilianische Supermarktkassiererinnen diesen Vorgang in einer Geschwindigkeit ausführen, die jede Superzeitlupe im Vergleich gehetzt wirken lässt. Und fünftens liegt es daran, dass aus Sicherheitsgründen trotz allem nur zwei bis drei Produkte in jede Doppeltüte gepackt werden.

Man trägt dann selbst kleinere Einkäufe nicht selten in acht mal zwei Plastiktüten nach Hause, die spätestens beim Auspacken komplett auseinanderfallen. Dass die Welt im Plastikmüll erstickt, kann niemanden verwundern, der schon einmal in Rios großen Ketten Zona Sul oder Pão de Açúcar eingekauft hat.

Es gibt natürlich auch in Brasilien so etwas wie ein Umweltbewusstsein. Bereits im Jahr 2009 wurde im Bundesstaat Rio de Janeiro ein Gesetz namens Estadual 5.502 eingeführt, das den Umgang mit Plastiktüten an der Supermarktkasse regelt. Wer mindestens fünf Produkte kauft und sie in einem selbst mitgebrachten Beutel nach Hause trägt, erhält demnach einen Rabatt von 0,03 Reais, etwa ein Euro-Cent. Ab zehn Produkten steigt der Preisnachlass auf 0,06 Reais, und so weiter. Wer den ganzen Supermarkt leer kauft und ein paar Sherpas mitbringt, kann theoretisch also richtig Geld machen.

Aber wirklich nur theoretisch. Laut einer aktuellen Erhebung der Zeitung O Globo werden in Rio weiterhin nur zwei Prozent der Einkäufe in wiederverwendbaren Behältnissen transportiert. Viele Kunden nehmen der Studie zufolge sogar noch ein paar frische Plastiktüten zusätzlich mit, die sie dann zu Hause als Müllbeutel verwenden, vor allem für die gebrauchten Plastiktüten. Wer tatsächlich mit einem Rucksack oder einem Jutebeutel einkaufen geht, der wird an der Kasse in der Regel angestarrt, als stamme er aus einer anderen Galaxie, beispielsweise vom Planeten Melmac oder aus Berlin. Das Tütengesetz gilt in Rio, aber niemand hält sich daran. Für solche Fälle gibt es in Brasilien den sehr brasilianischen Ausdruck: "A lei não pega", das Gesetz hat es leider nicht geschafft, befolgt zu werden.

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: