Bauernpräsident Gerd Sonnleitner:"Endlich wieder realistische Preise"

Lesezeit: 4 min

Lebensmittel werden noch teurer: Die Preise werden auch in diesem Jahr weiter steigen, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner.

Silvia Liebrich

Eine Woche vor Beginn der Grünen Woche in Berlin warnt Sonnleitner außerdem vor einer zunehmenden Knappheit bei Getreide, sollte es wie in den vergangenen Jahren zu größeren Ernteausfällen kommen. Eine Gefahr geht nach seinen Angaben vor allem davon aus, dass die weltweiten Getreidereserven den niedrigsten Stand seit 40 Jahren erreicht haben.

Gerd Sonnleitner (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Sonnleitner, Lebensmittel sind 2007 erstmals seit vielen Jahren wieder teurer geworden. Geht das so weiter?

Gerd Sonnleitner: Wir müssen uns auf eine weitere, moderate Erhöhung der Nahrungsmittelpreise einstellen. Das wird die Verbraucher aber sicher nicht überfordern. In der Nachkriegszeit mussten die Deutschen noch fast 50 Prozent ihres Geldes für Essen ausgeben. Heute gibt eine Familie im Durchschnitt nur elf Prozent ihres Grundeinkommens für Ernährung aus. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr wenig. Dieser Anteil wird sich nun in Richtung zwölf oder dreizehn Prozent bewegen.

SZ: Wie hoch sind die Nahrungsmittelpreise im Vergleich zu früheren Jahren?

Sonnleitner: Niedrig. Die Preise vieler Agrarerzeugnisse liegen derzeit auf einem Niveau, das wir vor 25 oder sogar 40 Jahren schon hatten. Seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind die Löhne um das Zwanzigfache gestiegen, der Brotpreis dagegen nur um das Neunfache und der Getreidepreis war damals so hoch wie heute. Das war nur möglich, weil in der Landwirtschaft aufgrund des Strukturwandels billiger produziert wurde. Das ging zu Lasten der Bauern. Deren Einkommen sind in dieser Zeit kontinuierlich gesunken.

SZ: Welche Produkte sind denn besonders stark vom Preisanstieg betroffen?

Sonnleitner: In der Landwirtschaft sind das Milch, Getreide und Ölsaaten. Schweinefleisch und Kartoffeln wurden dagegen billiger. Hier ist das Angebot zuletzt stark gestiegen, das drückt die Preise.

SZ: Die starke Verteuerung bei Molkereiprodukten wie Butter hat im vergangenen Jahr viele Verbraucher entsetzt. Wie kann es überhaupt zu einem Preissprung von bis zu 50 Prozent kommen?

Sonnleitner: In den Jahren davor hatten wir extrem niedrige Preise. 2007 ist jedoch das Angebot an Rohmilch weltweit zurückgegangen und zugleich die Nachfrage deutlich gestiegen. Dies hat dazu geführt, dass endlich wieder ein realistischer Preis für Butter auch in Deutschland bezahlt wurde. Über viele Jahre wurde weit unter dem Warenwert verkauft.

SZ: Welche Preissteigerungen kommen in diesem Jahr auf uns zu?

Sonnleitner: Alle Milchprodukte werden im Preis noch etwas zulegen, allerdings sehr moderat. Man darf auch hier nicht vergessen, dass wir bei den meisten Molkereierzeugnissen momentan mit dem Preis auf der Zeitschiene von 1985 liegen. Für ein Pfund Butter musste ein Arbeiter damals etwa 20 Minuten arbeiten, heute sind es noch vier Minuten. Butter ist so gesehen also immer noch extrem günstig. Deshalb ist auch keine Luft nach unten vorhanden. Das Einkommen der Milchbauern ist verglichen mit den übrigen Bevölkerungsgruppen nach wie vor noch zu niedrig.

SZ: Wie sehen die Ernteprognosen für 2008 aus? Entspannt sich die Lage?

Sonnleitner: Derzeit sieht es bei uns nicht so schlecht aus. Wenn wir allerdings im laufenden Jahr in getreideproduzierenden Ländern in Europa und weltweit erneut eine starke Trockenheit bekommen, dann wird es langsam kritisch.

SZ: Aufstrebende Wirtschaftsnationen wie China und Indien kaufen deutlich mehr Agrarrohstoffe am Weltmarkt ein als noch vor ein paar Jahren. Müssen wir uns deshalb Sorgen um unsere Nahrungsmittelversorgung machen?

Sonnleitner: Agrarrohstoffe sind weltweit knapp. Die meisten Verbraucher haben noch nicht realisiert, dass wir in den vergangenen zehn Jahren nur eine einzige Getreideernte hatten, die über dem Jahresverbrauch lag. Wir haben die anderen neun Jahren also von Reserven gelebt, die mittlerweile weitgehend aufgebraucht sind. Derzeit gibt es nur noch für etwa 50 Tage Getreidevorräte, das ist der niedrigste Stand seit vier Jahrzehnten.

SZ: Hätte da nicht die Politik gegensteuern können?

Sonnleitner: Ganz im Gegenteil. Der Abbau der Reserven ist politisch gewollt. Dies ist das Prinzip einer freien, marktorientierten Landwirtschaft, in dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Die Länder der Europäischen Union haben deshalb seit 1992 einen Kurswechsel vorgenommen, der einen schrittweisen Abbau der Interventionen zur Folge hat. Damit wurde die Überproduktion eingedämmt, die in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, die Preise für Agrarrohstoffe niedrig zu halten. Unter solchen Bedingungen schlagen dann aber weltweite Ernteausfälle und eine wachsende Nachfrage sofort und extrem auf das Preisniveau durch.

SZ: Die Milchquote soll in der Europäischen Union ab April aufgestockt werden. Dann darf auch in Deutschland mehr Milch produziert werden. Sie sind gegen eine kurzfristige Anhebung. Warum?

Sonnleitner: Eine Erhöhung zu diesem Zeitpunkt ist nicht notwendig. Im vergangenen Jahr haben einige Länder, darunter Frankreich, ihre Mengenquote nicht voll genutzt, weil der Milchpreis zu niedrig war und sich die Produktion nicht gelohnt hat. Schon jetzt ist der Butterpreis wieder unter die kritische Grenze von einem Euro je 250 Gramm gefallen. Ich halte es deshalb für falsch, die Quote kurzfristig zu erhöhen. Viele Milchbauern haben sich von den vergangenen, schweren Jahren noch nicht erholt. Ihnen laufen außerdem die Energiekosten davon, auch Tierfutter und Dünger sind teurer geworden.

SZ: Trotzdem wäre aus Verbrauchersicht eine Erhöhung der Quote wünschenswert, weil dadurch Milchprodukte wieder billiger werden könnten.

Sonnleitner: Das sehe ich nicht so. Langfristig bringt es auch für die Konsumenten Nachteile, wenn unsere Milchbauern geschwächt und aus dem Markt getrieben werden. Wir haben immer für eine europäische Agrarpolitik gekämpft, die den Bauern das Überleben sichert. Sonst hätten längst viel mehr Betriebe aufgegeben und wir wären nun total abhängig von Einfuhren.

SZ: Trotzdem setzen Sie sich als Bauernpräsident grundsätzlich für eine Abschaffung der Quotenregelung ein, auch gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Sonnleitner: Den Realitäten, die von Brüssel aus vorgegeben werden, müssen alle ins Auge schauen. Der Sachstand ist eindeutig. Die Milchquotenregelung wird nach der EU-Rechtslage 2015 auslaufen. Viele Bauern sind von dem Plan nicht begeistert. Aber auch der Markt hat sich gewandelt. Langfristig haben unsere Betriebe ohne Quoten auch Chancen, die hohe Nachfrage in Europa und Übersee zu bedienen. Die natürlichen Produktionsbedingungen sind dafür gut.

SZ: Die Milchquote stammt noch aus Zeiten, in denen in Europa hohe Überschüsse produziert wurden. Jetzt wächst die weltweite Nachfrage schneller als das Angebot. Sind Quoten unter solchen Bedingungen überhaupt noch sinnvoll?

Sonnleitner: Grundsätzlich ist der Beschluss der EU-Kommission, die Quote abzuschaffen, nachvollziehbar. Als Bauernpräsident muss ich diese Fakten akzeptieren und unsere Mitglieder über diese unbequeme Wahrheit informieren. Die nächsten Jahre werden mit Sicherheit nicht einfach für die Landwirte. Da gilt es Lösungen zu finden, die die Übergangszeit erträglicher machen.

SZ: Wie könnte ein sanfter Ausstieg aus der Milchquotenregelung aussehen?

Sonnleitner: Entscheidend wird sein, dass die Politik die Bauern, die schwierige Wettbewerbsbedingungen haben, finanziell durch Ausgleichszahlungen unterstützt. Dazu gehören die Höfe im Alpen- und Voralpenraum und in den Mittelgebirgsregionen, die auch die Aufgabe haben, die Landschaft zu pflegen und damit den Tourismus zu fördern. Sie können nicht zu den gleichen Preisen produzieren wie etwa ein Großbetrieb in Nord- oder Ostdeutschland oder anderen Teilen Europas, der darauf weniger Rücksicht nehmen muss.

© SZ vom 12./13.01.2008/mah - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: