Barrieren überwinden:Menschen am Limit

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Illustration: Stefan Dimitrov / Süddeutsche Zeitung (Foto: N/A)

Was bewegt Menschen, an Grenzen zu gehen? Warum wollen sie alte einreißen, neue einziehen? Antworten finden sich bei genau jenen, die es tun.

Von Jan Willmroth

Jeder Anfang ist eine Grenzziehung, schreibt der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann. Jeder Mensch, der auf die Welt kommt, fängt neu an, er grenzt in seinem Handeln das Alte vom Neuen ab, das, was vor ihm war und nach ihm sein wird. "Der Anfang konstituiert die Zeit", schreibt Liessmann in seinem 2012 erschienenen Werk "Lob der Grenze": "Mit der Zeit aber werden jene elementaren Grenzen konstituiert, die es uns erlauben, ein Jetzt, ein Davor und ein Danach zu unterscheiden." Der Mensch sei das einzige Wesen, das anfängt und deshalb anfangen kann, schreibt Liessmann unter Verweis auf Hannah Arendt. Menschen, die nur das Werk ihrer Vorfahren fortsetzten, blieben in deren Bann, ohne Möglichkeit, das Eigene gegen das Vorgegebene zu setzen und sich durch diese Abgrenzung neu zu definieren. Der Begriff Definition enthält das lateinische Wort finis, das Ende bedeutet, aber auch Grenze. Alle Grenzen seien menschengemacht; der Mensch, sagt Liessmann, könne gar nicht anders, als überall Grenzen zu setzen. Nicht zuletzt, um sich seiner selbst zu vergewissern.

Und um zu wissen, wofür er lebt, wie weit er gehen kann und will, wo sein Handeln durch körperliche oder geistige Barrieren beschränkt wird. Die Menschheitsgeschichte ist auch eine Abfolge von Grenzverschiebungen, die in zunehmend komplexeren Systemen immer neue Möglichkeiten hervorbringt. Jüngere Beispiele: Felix Baumgartners Fallschirmsprung aus der Stratosphäre, Googles Quantencomputer, der erste vollständig geheilte HIV-Patient.

Was bewegt Menschen, an die Grenzen ihrer Existenz zu gehen? Was lässt Menschen nach etwas streben, obwohl sie dabei Grenzen überschreiten müssen, etwa jene der Legalität in ihrem Land, in dem sie unterdrückt werden? Woher stammt der Antrieb, alte Grenzen zu überwinden und neue einzuziehen, wo zuvor keine waren?

Antworten finden sich bei dem Wiener Psychiater Viktor E. Frankl, Begründer der Logotherapie und einst KZ-Häftling im Zweiten Weltkrieg. Dieses Leben ohne Zukunft, die "Grenzenlosigkeit der Inhaftierung" und die engen Grenzen des Lagers hätten ein Gefühl der Lebenslosigkeit erzeugt. Und doch hielten die Erinnerung an das Leben vor der Haft und der Glaube an ein Leben danach Menschen wach und lebendig. Wer ein Warum in seinem Leben kenne, schreibt Frankl in Anlehnung an Friedrich Nietzsche, könne beinahe jedes Wie ertragen. Wer das Warum kennt, kann man mit Blick auf die folgenden Porträts völlig unterschiedlicher Menschen sagen, kennt auch die Grenzen seiner Welt und weiß, warum und wie er sie verändern will.

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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