Bahnbranche:Wettlauf in High Speed

Lesezeit: 4 min

Siemens und Alstom arbeiten mit Hochdruck an einer Weiterentwicklung ihrer jeweiligen Hochgeschwindigkeitszüge. Doch wer wird sich nach der geplanten Fusion der beiden Konzerne durchsetzen: der ICE oder der TGV?

Von Caspar Busse, Krefeld

Es ist fast eine Glaubensfrage: Sitzt man im französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV besser? Oder reist man doch lieber im deutschen Pendant, dem ICE? Silber-blaue Eleganz mit futuristischem Design gegen weiß-rote Zuverlässigkeit - was ist besser? Sabrina Soussan, 49, gibt sich bei dieser Frage jedenfalls diplomatisch. "Als ich jung war, bin ich oft mit dem TGV gefahren", erzählt sie. "Aber ich mag beide, auch wenn sie sehr verschieden sind", lächelt sie.

Die Französin, die ihre Karriere einst bei Renault startete und seit 21 Jahren für Siemens arbeitet, ist seit Oktober 2017 Vorstandsvorsitzende des Siemens-Bereichs Mobility, der unter anderem den ICE produziert. Ziemlich sicher dürfte sie schon deshalb den Zug aus Deutschland bevorzugen. Aber gleichzeitig arbeitet Siemens gerade an dem Zusammenschluss seiner Bahnsparte mit dem französischen Alstom-Konzern. Der stellt den TGV her - und Soussan will ihre französischen Landsleute natürlich nicht verärgern.

Es ist ziemlich kompliziert in der Bahnindustrie geworden, seit Siemens und Alstom, die seit Jahrzehnten hart um jeden Großauftrag gerungen haben, im vergangenen Herbst ihre Fusionspläne verkündet haben. Gemeinsam bringen es die beiden Anbieter auf einen Umsatz von 15,6 Milliarden Euro mit dann 65 000 Mitarbeitern. "Das ist eine einzigartige Gelegenheit", sagt Soussan. Siemens soll 50,67 Prozent der Anteile und damit die Mehrheit an dem neuen deutsch-französischen Unternehmen halten, so der Plan. Geführt werden soll es aber vom bisherigen Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge, die Zentrale in Paris angesiedelt werden.

Doch so weit ist es noch nicht. Gerade erst teilte Alstom mit, dass sich die Fusion verzögern könnte, weil das Projekt so komplex ist. Voraussichtlich noch bis zur ersten Jahreshälfte 2019 wird es also dauern, bis das neue Super-Unternehmen starten kann. Bis dahin prüfen die Kartellbehörden, vor allem die EU-Kommission in Brüssel. Eine Hängepartie, die dauern kann - und deren Ausgang offen ist. Bis dahin sind Siemens und Alstom weiter Wettbewerber. Und beide arbeiten an einer möglichst guten Ausgangsposition vor dem Zusammengehen.

1 / 2
(Foto: Siemens)

30 Prozent weniger Energieverbrauch und mehr Platz für Passagiere - so wirbt Siemens für seinen neuesten Hochgeschwindigkeitszug, den Velaro Novo, der in Deutschland ein ICE 5 werden könnte. Er soll 2023 startklar sein.

2 / 2
(Foto: oh)

Doch auch die Franzosen arbeiten an einem "TGV du Futur".

So stellte Siemens jetzt im Werk Krefeld das Konzept eines neuen Hochgeschwindigkeitszugs vor - als ob es die Pläne mit Alstom gar nicht gäbe. Seit 2013 arbeiten Hunderte Siemens-Entwickler schon mit Hochdruck daran, seit April fährt ein Waggon als Teil eines Testzugs quer durch Deutschland. "Velaro Novo" heißt der neue Zug, er sei nicht nur eine Weiterentwicklung des bisherigen Hochgeschwindigkeitszugs Velaro (der in Deutschland ICE heißt), sondern ein vollkommen neues Produkt, betont Soussan.

Fast alles wurde modifiziert und überarbeitet. Das Gewicht wurde durch Leichtbau und neue Materialien um 15 Prozent reduziert, der Velaro Novo wird stromlinienförmiger sein und leiser, die Radkästen und das Dach sind künftig verkleidet. Insgesamt soll der neue Super-Zug, der bis zu 360 Stundenkilometer schnell sein wird und im Jahr 2023 den Betrieb aufnehmen könnte, den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent reduzieren. "Es wird der sparsamste Hochgeschwindigkeitszug auf dem Weltmarkt", sagt Soussan. Es wird ihn in zwei Varianten geben, 200 Meter oder 400 Meter lang.

Beide Produkte soll es auch weiterhin geben, versichern die Konzerne

Neu sei insbesondere, dass es, anders als bisher, keine Einbauten mehr gebe und die Bahnbetreiber damit mehr Möglichkeiten für die individuelle Gestaltung hätten. Siemens bietet sozusagen eine leere Röhre auf Schienen, der Innenausbau kann dann individuell erfolgen. Dieses Konzept haben sich die Münchner bei Flugzeugbauern abgeschaut, Airbus etwa praktiziert das schon lange und liefert die Hülle, das Innere der Flieger wird individuell von den Fluggesellschaften gestaltet.

Insgesamt ist der Wagen des Velaro Novo elf Millimeter breiter, das Platzangebot durch das neue Konzept zehn Prozent größer. Ein solcher ICE 5 könnte damit bei vergleichbarem Komfort statt wie bisher 480 bis zu 520 Passagiere befördern. "Wir haben die internationalen Märkte im Visier", sagt Soussan, Siemens hoffe auch auf Kunden aus Asien oder den USA, erste Aufträge könnten schon 2019 hereinkommen, so die Hoffnung. Mit einigen Betreibern werde bereits gesprochen, etwa mit der Deutschen Bahn. Allerdings hat die zuletzt verkündet, dass erst einmal weitere Exemplare des neuen ICE 4 bestellt und gleichzeitig der in die Jahre gekommene ICE 1 renoviert werde.

Doch wie geht es nach dem Zusammenschluss mit den Franzosen, sollte es dazu kommen, weiter? Welches der beiden Prestigeprodukte wird sich durchsetzen - der ICE oder der TGV? Auch Alstom arbeitet schon seit Längerem an einem neuen Hochgeschwindigkeitszug - unter dem Namen "TGV du Futur". Der könnte bereits im übernächsten Jahr startbereit sein, also früher als der Velaro Novo. Die Franzosen, die den TGV bereits seit 1981 bauen (den ICE gibt es erst seit 1991) setzen dabei auf zweistöckige Waggons. Dadurch wird die Kapazität deutlich größer, es können mehr Passagiere untergebracht werden, was angesichts der Engpässe auf vielen Bahnstrecken wichtig ist.

Sabrina Soussan, 49, leitet seit vergangenem Herbst die Siemens-Bahnsparte Mobility. Sie hat 1997 in Toulouse angefangen, war dann in Tokio, Regensburg und der Schweiz. (Foto: oh)

Abgesehen von Äußerlichkeiten verfolgen ICE und TGV zudem zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte. Der Zug der Franzosen hat zwei herkömmliche Triebköpfe an beiden Enden, dazwischen fahren acht oder zehn Mittelwagen. Die beiden Lokomotiven sind schwer, es geht Platz verloren. Im ICE dagegen ist der Antrieb auf mehrere Wagen verteilt, Lokomotiven im klassischen Sinn gibt es damit nicht mehr. Das hat eine bessere Gewichtsverteilung zur Folge und sorgt für mehr Flexibilität beim Zusammenstellen von Zügen. Auch der neue Velaro Novo verfolgt dieses Prinzip. Doppelstockwagen sind damit aus Platzgründen ausgeschlossen.

"Wir werden weiter ICE und TGV anbieten", versicherte vor wenigen Wochen Alstom-Chef Poupart-Lafarge. Es sei gut, wenn man für die Kunden möglichst viele Produkte im Angebot habe. In den nach außen unsichtbaren Teilen der Züge werde man künftig aber möglichst viel gemeinsame Technologie einsetzen, betonte er. Was genau passiert und ob ICE und TGV beide parallel weiterentwickelt werden, kann erst entschieden werden, wenn der Zusammenschluss genehmigt ist und umgesetzt wird. Teure Doppelarbeiten und Ineffizienzen können sich Siemens und Alstom jedenfalls nicht leisten. Es gibt nämlich einen starken Gegner: Der - ebenfalls durch eine Fusion entstandene - chinesische Zugbauer CRRC ist doppelt so groß wie die Europäer gemeinsam und hofft auf Aufträge, auch in Europa.

Es sei bereits sehr viel Geld in die Entwicklung des Velaro Novo investiert worden, sagt Soussan. Sie geht davon aus, dass das nicht umsonst war. Immerhin: Der Velaro von Siemens hat sich bislang gut verkauft, mehr als 1000 Einheiten sind im Einsatz, nicht nur in Deutschland, auch in Russland, Spanien, China oder als Eurostar durch den Kanaltunnel - wo früher nur der TGV verkehrte.

© SZ vom 15.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: