Autokino in der Krise:Der Niedergang amerikanischer Romantik

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Auch das Mückenspray sollte man im Autokino nicht vergessen (Archivbild) (Foto: DPA)

Im Autokino haben Generationen junger Menschen in den USA ihren ersten Kuss bekommen. Der Inbegriff amerikanischer Romantik droht der Digitalisierung allerdings zum Opfer zu fallen. Inzwischen gibt es nur noch 357 dieser Drive-in Kinos. Verbliebene Betreiber hoffen nun auf Hilfe aus dem Internet.

Von Kathrin Werner, New York

Hierher nimmt man sein Sweetheart zum ersten Date. Eintritt acht Dollar, dann fährt man mit dem Pickup-Truck möglichst nah vor die riesige Leinwand und neben den Lautsprecher. Man setzt sich auf die Ladefläche, schaut der Sonne beim Untergehen zu, hört die Grillen zirpen, kauft vielleicht eine Cola, Popcorn und einen Hot Dog.

Alkohol ist verboten, wird aber vielleicht trotzdem manchmal hereingeschmuggelt. Wahrscheinlich sollte man Mückenspray auftragen. Wenn es dunkel ist, beginnt der Film. Seit Jahrzehnten ist das schon so hier im Skyview Drive-in Kino auf der Wiese neben dem Highway 88 im 500-Seelen-Örtchen Carmichaels in Pennsylvania. "Seit 1946 gibt es hier Unterhaltung für Familien", sagt Chuck Walker, der Betreiber. "Aber unser Problem ist, dass das Autokino in Gefahr ist."

Ja, das Autokino ist in Gefahr. Nicht nur in Carmichaels, sondern im ganzen Land. Es gibt wohl keine Institution, die den amerikanischen Traum so sehr symbolisiert wie das Autokino. Amerikaner lieben ihre Autos und sie lieben Filme, kaum gab es ein Auto für den Massenmarkt, haben die Amerikaner das Autokino erfunden, 1933 war das. In einem Autokino gibt der sehr junge John Travolta - alias Danny - im Musical-Film Grease seiner sehr jungen Olivia Newton-John - alias Sandy - einen Ring und bekommt ihn prompt vor die Füße geworfen, als er ihr ein bisschen ins Dekolleté fassen will - im Cabrio im schwachen Licht der Leinwand und der Sterne. Generationen Amerikaner haben im Autokino ihren ersten Kuss bekommen. Seit den vierziger Jahren ist das Autokino der Inbegriff von Romantik in diesem großen Land, in dem man oft meilenweit fahren muss, um einen Film zu schauen.

Der Niedergang der Autokinos

Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Niedergang der Autokinos ist nicht ganz neu. Es gibt inzwischen so viele Unterhaltungsalternativen für das erste Date und für Familien. Amerikaner lieben inzwischen auch ihre Multiplex-Kinos mit besserer Akustik und Klimaanlage. Jeder hat einen Fernseher zu Hause, und im Internet lassen sich Filme für ein paar Dollar streamen - ohne meilenweite Anreise und Mückenspray. In den achtziger und neunziger Jahren mussten Hunderte Autokinos schließen. Und heute fahren die Amerikaner vielleicht ab und zu mal, vielleicht einmal im Sommer in die letzten verbliebenen Autokinos - wegen der Nostalgie und des amerikanischen Traums.

Zum Überleben reicht der Autokino-Industrie das nicht. Ende der fünfziger Jahre gab es noch mehr als 4000 Autokinos in den Vereinigten Staaten, heute sind gerade mal 357 übrig geblieben, so hat die United Drive-In Theatre Owners Association UDITOA gezählt. Jedes Jahr werden es ein paar weniger. Mit 30 Autokinos gibt es die meisten in Pennsylvania, wo Walker gegen das Ende seines Skyview Drive-ins in Carmichaels kämpft.

Jetzt ist noch eine neue Herausforderung hinzugekommen, die das Skyview und die letzten 356 anderen Autokinos bedroht: die Digitalisierung. Bislang zeigen die Kinos die Hollywood-Filme auf tatsächlichem Film, also mit 35-Millimeter-breiten Zelluloidstreifen auf Filmrollen. Riesige, ratternde Apparate spulen sie ab. Doch die Filmstudios stellen die Technik um. Wann genau es soweit sein wird, steht noch nicht ganz fest. Erst drohten die Studios, von März dieses Jahres an werde es keine 35-Millimeter-Filme mehr geben, dann verlängerten sie die Frist immer wieder.

Das Filmstudio Fox hat angekündigt, von Jahresende an keine Filme auf FilmFilmrollen mehr zu verschicken. Vielleicht ist es Ende 2013 mit dem Film in der gesamten Industrie vorbei, vielleicht auch erst im Laufe des kommenden Jahres. Fest steht nur, dass es nicht mehr lange dauern wird. Dann gibt es Hollywood-Streifen nicht mehr als Streifen, sondern nur noch digital auf Festplatte.

Für die neue Technik brauchen die Kinos also neue Abspielgeräte. In den großen Multiplex-Kinos sind sie schon seit einer Weile Standard, für die Autokinos sind sie allerdings sehr, sehr teuer. Anfang des Jahres hatten gerade mal rund zehn Prozent der verbliebenen Betriebe die Umstellung bereits geschafft. Wer dabei ist, ist begeistert. UDITOA-Präsident John Vincent schwärmt von der viel helleren Projektion. Er betreibt das Wellfleet Drive-In auf Cape Cod betreibt und schwärmt.

Aber viele andere können sich die Geräte nicht leisten. Meist betreiben Familien die Kinos seit Generationen, es sind Kleinstunternehmen, der größte Anbieter hat acht Anlagen. Sie laufen immer nur für ein paar Monate im Sommer, oft ist es nicht besonders voll. Banken geben Autokinobesitzern nicht gern Kredite. Mindestens 80.000 Dollar sind fällig für die Digitalprojektoren, für die meisten Betreiber dauert es zehn bis 15 Jahre, bis sie das Geld für so eine Investition wieder reinholen. Und bei den niedrigen Renditen schmerzt jede Investition. Mit den Autokinos droht eine weitere Branche dem Siegeszug der Digitalisierung zum Opfer zu fallen. Es ist wohl eine der kleinsten, aber auch eine der emotionalsten Branchen.

Beim Skyview in Carmichaels blättert die Farbe vom himmelblauen Schild, an dem Walker noch per Hand die Buchstaben für den neuesten Film montiert. "Als ein saisonales Kino können wir uns die Umstellung ohne Hilfe der Öffentlichkeit einfach nicht leisten", schreiben Walker und seine Frau Elizabeth auf ihrer kleinen Internetseite mit dem Sternenbanner. Sie haben schon ihre gesamten Altersersparnisse in ihr Kino gesteckt.

Also wenden sie sich an die Öffentlichkeit. Auf ihrer Website rufen sie zum Spenden auf - man kann sogar mit dem Online- Bezahldienst Paypal überweisen. Und Liz Walker bittet auf der Crowdfunding- Internetseite Fundrazr um Unterstützung. "Ohne eure Hilfe müssen wir die Tore schließen", schreibt sie. Seit ihrem Aufruf im März sind allerdings erst 775 Dollar zusammengekommen, dabei bräuchten sie und ihr Mann mindestens 150.000 Dollar für zwei neue Projektoren, zwei Leinwände, die Audioanlage, den neuen Computer und den Umbau des Projektorraums

Abstimmung soll die Wende bringen

Die letzte Hoffnung der Walkers: Der Autobauer Honda hat eine Kampagne gestartet, mit der Amerikaner im Internet für ihre Lieblings-Autokinos abstimmen können. Hunderte Kinobetreiber machen mit, sie haben Fotos eingeschickt und kleine Filme von ihren Drive-ins gedreht. Es ist ein Sammelsurium der amerikanischen Sehnsucht nach alten Zeiten, die hier Americana heißt. Lokalzeitungen berichten eifrig über den Wettbewerb. "Autos und Autokinos gehen Hand in Hand", sagt die Honda- Marketingmanagerin Alicia Jones.

"Und es ist unsere Mission, dieses jahrzehntealte Stück Americana zu retten, das für so viele für uns mit Nostalgie verbunden ist." Die fünf Gewinner des Wettbewerbs bekommen einen Digitalprojektor von Honda geschenkt. Parallel dazu läuft eine Spendenkampagne, der Autobauer verteilt das Geld dann unter den Autokinos. Die Aktion läuft noch bis Oktober, bislang sind erst 32.346 Dollar zusammen gekommen.

"Wir wollen darauf aufmerksam machen, was jeder tun kann, um das Skyview Drive-in in Carmichaels Pennsylvania, zu retten und den Sommerspaß lebendig zu halten", sagt Chuck Walker, während er über die Wiese vor seiner riesigen Leinwand stapft. "Stimmt für uns ab". Noch bis zum 9. September kann man sein Lieblingskino im Internet unterstützen. "Autokinos waren und bleiben ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Kultur", glauben die Walkers. So viele Amerikaner hätten so viele Höhepunkte ihres Lebens im Autokino erlebt. "Viele Leute kommen ins Skyview zu ihrem ersten Date und auch in ihrer Hochzeitsnacht."

© SZ vom 07.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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