Augsteins Welt:Leere Lehren

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An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel. (Foto: N/A)

Wirtschaft ist wichtig. Aber was an den Universitäten gelehrt wird, ist auch für die britische Queen nicht befriedigend. Die Studenten wollen es mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Von Franziska Augstein

Nachdem in den USA die Immobilienblase geplatzt und 2008 die Investmentbank Lehman Brothers bankrottgegangen war, besuchte die Königin von Großbritannien die London School of Economics. Seither sind viele überzeugt, die Queen sei in ökonomischen Fragen gar nicht so tumb. Elizabeth II stellte nämlich die eine nötige Frage, eine naive, scheinbar oberflächliche Frage, wie sie einer konstitutionell regierenden Monarchin, die sich in die Politik nicht einmischen darf, erlaubt ist: Wieso habe man das Desaster nicht vorhergesehen?

Diese Geschichte ist in Wirtschaftspublikationen schon einige Male erzählt worden. Selten wurde überliefert, was die Gastgeber der Queen dann antworteten: Peter Hennessy ist ein akademisches Glanzlicht, nicht zuletzt mit seiner Studie über das britische Außenamt (1989) hat er sich einen großen Namen gemacht. 2010 wurde er als parteiloser Peer in das House of Lords aufgenommen, sein Titel: Baron Hennessy of Nympsfield (Schande über den, der da an Vladimir Nabokovs Nymphchen Lolita denkt). Tim Besley hat unter anderem die Bank of England im Hinblick auf Geldpolitik beraten. Wenn die Queen etwas zu wissen begehrt, muss sie eine Antwort erhalten. Die zwei Koryphäen rafften sich auf. Ihre Erklärung wurde anschließend so zusammengefasst: "Kollektives Versagen der Vorstellungskraft" habe zu der Krise geführt. "Viele kluge Leute" hätten "das gesamte System" leider nicht durchschaut. Ach so, na dann, das erklärt alles. - Nein, das tut es nicht.

Studenten der Volkswirtschaft in vielen Ländern sind entgeistert über die Finanzkrise. Viele meinen, dass auch ihr Lehrplan und damit einhergehend der Kanon der neoklassischen Auffassung von Wirtschaft dafür verantwortlich zu machen sei. Die Financial Times hat in ihre Empfehlungen zur heurigen Sommerlektüre ein Buch aufgenommen, das drei Studenten der Universität Manchester verfasst haben: "The Econocracy. The Perils of Leaving Economics to the Experts". "Die Gefahren", die darin liegen, "die Ökonomie den Experten zu überlassen", wie der Titel besagt, werden in dem Buch eindringlich geschildert. Die Autoren haben sich bemüht, alles gut zu erklären: Das Buch ist für Laien geschrieben. Für ein Mal glaubt der Leser dem gern gebrauchten Satz in einem Vorwort, der da lautet: Wir sind dankbar, wenn Sie dieses Buch lesen.

Rückblende: Im Jahr 2000, lange vor der großen Finanzkrise, protestierten Wirtschaftsstudenten an der Pariser Sorbonne. Sie fanden, mit mathematischen Modellen zugenagelt zu werden, die zwar die eigene Rechenkraft fördern, aber mit der wirklichen Wirtschaft nichts zu tun haben. 2016 lud der deutsche Verein für Socialpolitik, der die neoklassische Idee von Wirtschaft für ganz gut hält, eine Studentin aufs Podium, die sich bitterlich beschwerte über realitätsferne Lehre.

Mittlerweile gibt es internationale Studentennetzwerke, die für eine offenere Form von Lehre plädieren. Zu ihnen zählen die drei Autoren von "Econocracy", Joe Earle, Cahal Moran und Zach Ward-Perkins. Sie befeuern zusammen mit anderen in anderen Uni-Städten das Netzwerk "Rethinking Economics". Die Wirtschaftslehre an den Unis muss überdacht werden, sagen sie, weil sie mit der Praxis so gut wie nichts zu tun hat.

Dass alles einen Geldwert hat, haben alle begriffen. Der Welt ist damit aber nicht geholfen

Die drei Studenten haben die sieben Top-Universitäten des Vereinigten Königreiches auf ihre Lehre in Sachen Wirtschaft untersucht. "Die Ökonomie ist für jeden", sagen sie, "weil sie jeden betrifft." Aber der Jargon der Wirtschaftswissenschaft führe dazu, dass die meisten Bürger keine Ahnung haben. Und Studenten bekommen keine Ahnung. Sie würden nicht dazu ausgebildet, sagen die Autoren, wirtschaftspolitische Entscheidungen zu treffen. Die neoklassische Lehre, die im Schwang ist, bescheidet sie mit mathematischen Modellen und der Idee, dass die Wirtschaft per Angebot und Nachfrage schon irgendwie ins Gleichgewicht komme. Der Akzent liegt auf den Themen Wachstum, Effizienz und individuelle Präferenzen.

Die neuere ökonomische Verhaltenslehre macht das nicht besser, weil sie den Bürger bloß als Konsumenten betrachtet. Ausgelassen werden bei den daraus resultierenden Erwägungen Fragen nach den systemischen Gründen für die "Entscheidung" von Konsumenten, sich bis zur Krankheit fett zu fressen; oder solche nach der langfristigen Entwicklung der Umweltverschmutzung. Letztere wird monetär quantifiziert, so wie vieles andere. Dass zerstörte Natur nicht ersetzbar ist, kommt in den Modellen der Wirtschaftslehre nicht vor. Was heute 1000 Euro sind, wird in 50 Jahren viel weniger wert sein. Daher müsse man sich um die Umwelt keine Sorgen machen: Monetär gesehen, wird - vereinfacht gesagt - wegen der Inflation die Umweltverschmutzung dann viel billiger.

Dass alles Geldwert hat, haben mittlerweile alle begriffen. Eine Wohlfahrtsorganisation gab an, das Bruttosozialprodukt Britanniens würde um 1,5 Prozent steigen, wenn Väter ihren kleinen Kindern regelmäßig vorläsen. Das Britische Museum behauptete, für jedes Pfund, das es vom Staat bekommt, würden der Gesellschaft im Ausgleich 4,40 Pfund zugutekommen. Sarkastisch merken die drei Autoren an: Es sei seltsam, dass noch niemand den Geldwert von Shakespeare errechnet habe.

Was studentische Zirkel wie "Rethinking Economics" fordern, ist auf der Tagesordnung. Es ist hohe Zeit. Was seit den 80er-Jahren an den Wirtschaftsfakultäten der westlichen Welt gelehrt wird, hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun. Nur einige Professoren an Elite-Unis haben Einblick in die neuen Möglichkeiten. Markus Brunnermeier zum Beispiel, der in Princeton sitzt und meint, alles stehe eigentlich ganz gut. Möge Brunnermeier sein Wissen der Welt mitteilen.

© SZ vom 18.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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