Augsteins Welt:Englands Seele, Schottlands Lust

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Einst schickten die Briten junge Männer in die Kolonien, um sich dort abzureagieren. Und heute? Machen die Alten Sorgen. Denn vor allem sie wollen raus aus der EU. Und das könnte böse Folgen haben.

Von Franziska Augstein

Hampstead ist ein herrlich-grüner Stadtteil Londons. Vor Jahren fand dort in einer Buchhandlung eine Podiumsdiskussion statt. Es ging um die Ursachen von Jugenddelinquenz. Irgendwann meldete sich ein alter Herr zu Wort, sichtlich aufgebracht. Das ganze Gerede sei doch überflüssig, patati patata. Früher habe man junge Männer, die zu viel Kraft in sich hatten, in die Kolonien geschickt. Dort hätten sie sich abreagieren können, wenn sie dann zurückkamen, seien sie ganz anständig gewesen.

Solche Leute sind es, die jetzt Sorgen machen: Sie hängen einer Fantasievorstellung des britischen Empire nach; sie haben kein Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge und können nicht sehen, dass der Brexit üble Auswirkungen für ihr Land hätte; und, was aus Sicht der EU-Freunde am verdrießlichsten ist: Sie sind gute Staatsbürger, sie gehen wählen.

Vor allem alte Briten wollen aus der Europäischen Union austreten. Die meisten Jungen hingegen haben gar nichts gegen die EU, aber allzu viele von ihnen betrachten Wahlen als öde. Ihre Stimmen werden am 23. Juni fehlen, was dazu führt, dass die Frage "Brexit - ja oder nein?" für britische Wettbüros einigermaßen lukrativ ist.

(Foto: ipad)

Wer nur ein klein wenig Herz für nationale Verschrobenheiten oder auch bloß Sinn für Dichtung hat, wird einsehen, dass man Shakespeare nicht so leicht hinfortreden kann. Britannien ist nun einmal "dies Kleinod, in die Silbersee gefasst, die ihr den Dienst von einer Mauer leistet".

Das sehen übrigens auch Leute so, die - weil sie reich sind - ökonomisch auf dem Quivive sein sollten. Der einflussreiche Kölner Investor Peter Jungen, ein Kosmopolit, kennt solche Briten. Er nennt sie "die konservativen Conservatives". So einer ist der Marquess of Salisbury. In dessen stately home war Jungen zu Gast, in eben dem Haus, in dem Elisabeth I. 1533 zur Welt kam. Jungen fasst die Ansichten des Marquess zusammen: "Vom Gefühl her fühlen diese Konservativen sich von der EU nicht richtig vertreten, die historische Bedeutung Britanniens nicht genügend anerkannt."

Jungen kommt das insulare Denken absonderlich vor. Vergeblich hat er dem Marquess klarzumachen versucht, dass heutzutage "kein Land mehr ohne Partner bestehen kann. Es sei denn China. Aber die Chinesen, stark wie sie sind, bemühen sich am meisten um gute Kontakte".

Jammerschade fände Jungen es, wenn Britannien die EU verließe. Als überzeugter Marktwirtschaftler hält er das Land - im Gegensatz zu den in seinen Augen verspielten Südeuropäern - nämlich für einen vernünftigen Partner: fixiert auf die freie Marktwirtschaft und auf effiziente unternehmerische Strategien.

In der Praxis freilich hat sich dieses Denken nicht eben ausgetobt: Die Neoliberale Margaret Thatcher erhöhte die Staatsausgaben, statt sie zu senken. Und die seit Jahrzehnten von allen Regierungen in 10, Downing Street befürwortete Verlagerung von der produzierenden Industrie hin zu (Finanz-)Dienstleistungen macht dem Land schwer zu schaffen.

Sollte Britannien tatsächlich aus der EU austreten, wird Schottland mit ziemlicher Sicherheit ein neuerliches Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten. Bei der zweiten Wahl würden die Schotten sich von England lossagen. Damit wäre der aus schottischer Sicht schmachvolle Einigungsvertrag von 1707 annulliert. Mary, Queen of Scots - die Gegenspielerin Elisabeths I. - hatte gute Beziehungen zu Frankreich. Ein unabhängiges Schottland würde sofort Anschluss an die EU suchen und dann - davon träumen schottische Nationalisten - zuschauen, wie England sich bei neuerlich zu knüpfenden internationalen Handelsabkommen in der Schlange hinten anstellen müsste.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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