Augsteins Welt:Die vernünftige Steuer

Lesezeit: 2 min

Sie ähnelt dem Monster von Loch Ness, mal taucht sie ab, mal auf, aber niemand sieht sie kommen: So oft war die Finanzmarktsteuer im Gespräch, doch wenn es um ihre Umsetzung geht, kuscht die Politik. Dabei wäre sie eine gute Idee.

Von Franziska Augstein

Die Maschinen haben die Macht übernommen. Die Rede ist jetzt nicht von Filmen wie "Terminator" oder "Matrix", sondern von Computern, die Megadatenpakete in Nanosekunden verschicken und ohne menschliches Zutun mit Finanzprodukten handeln. Wenn sie einem Rudel gleich agieren, dann führt das zu automatischen Kursschwankungen, die mit der realen Wirtschaft nichts zu tun haben. Außerdem führt dieser Hochfrequenzhandel dazu, dass solide wirtschaftende Akteure wie zum Beispiel Pensionsfonds draufzahlen: Die Computer sind schneller, kaufen Aktien und verkaufen sie dann zu einem höheren Preis sogleich weiter. Wenn es gelänge, den Hochfrequenzhandel einzuschränken, wäre eine Menge gewonnen. Das Mittel dazu wäre die Finanztransaktionssteuer (FTS). Wenn Käufe von Computern mit minimalen 0,01 Prozent besteuert würden, dann würde das die Macht der Maschinen brechen.

In deutschen Wirtschaftskreisen war die mehr als vierzig Jahre alte Idee der FTS eine Lachnummer - gut für die Globalisierungskritiker von Attac, aber doch nicht ernst zu nehmen, ebenso wenig wie die Leute von Attac. Dann kam 2008 die große Finanzkrise. Und 2010 gab es eine Umfrage, derzufolge 61 Prozent der EU-Bevölkerung sich für eine Besteuerung des Hochfrequenzhandels aussprachen. Und siehe: Die Bundeskanzlerin hielt die FTS nun auch für eine gute Idee. In anderen Ländern der EU passierte das Gleiche, teils war es schon früher anberaumt. Die Bewegung, die dann in Gang kam, ist mittlerweile so erlahmt, dass ein Kommentator die FTS mit dem Ungeheuer von Loch Ness verglich: Sie taucht auf und unter, aber niemand sieht sie kommen. Zehn Länder der EU sind (noch) für FTS, unter Bedingungen.

Auf dem Tisch liegt im Moment, grob vereinfacht, der Vorschlag, Aktienkäufe mit 0,1 Prozent zu besteuern, Verkäufe von Derivaten aber lediglich mit 0,01 Prozent. Derivate sind Wetten darauf, was mit Aktien und anderen Anlagen passieren wird. Warum soll der Kauf von Aktien, die in den wirtschaftlichen Kreislauf gehören, höher besteuert werden als der Kauf von oftmals heiklen Derivaten? Ganz einfach: Letzterer übersteigt das Bruttoinlandsprodukt jedes Landes um ein Vielfaches. Lobbyisten der Investmentbanken, angefangen mit Goldman Sachs, haben Öffentlichkeit und Politiker in einer Weise bearbeitet, dass sie "gelernt" haben, Derivate-Verkäufe sollten nicht allzu sehr belastet werden. Aber selbst eine Steuer von 0,01 Prozent ist den Finanzhändlern zu viel. Die Politik kuscht.

Slowenien hat errechnet: Die Erhebung der Steuer würde zu viel kosten. Dem wollen die Befürworter der FTS entgegenkommen: Bei der Verteilung der Steuereinnahmen in der EU, sagt Cansel Kiziltepe, Sprecherin der SPD in Sachen FTS, könnten die kleinen Länder etwas mehr bekommen.

Schauen wir uns mal, jenseits von Science-Fiction, die wirkliche Welt an: Jeder Bürger würde sich über eine Steuer von 0,01 Prozent nicht aufregen. Beim Finanzgroßhandel sieht das anders aus: Die dort das Sagen haben, wissen, dass sie jenseits der Realwirtschaft agieren. Und eben deshalb tischen sie den Bürgern das Märchen auf, die Einführung der Finanztransaktionssteuer werde ihre Rente, ihr Erbe oder was auch immer schmälern. Würde die Finanztransaktionssteuer eingeführt, wäre ein großer Teil der per Computer ausgelösten Geschäfte, die für die Wirtschaft gefährlich sind, gestoppt: Sie wären zu teuer. Ach ja, die entscheidende Frage: Könnten zehn europäische Länder sich das leisten, gegen den Rest der Welt? Ja, sie könnten - und würden damit ein Zeichen für die nötige Neuordnung der Weltfinanzmärkte setzen.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: