Augsteins Welt:Der chinesische Drache

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An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel. (Foto: N/A)

Chinas Wirtschaftsmacht wird als ungeheuerlich wahrge­nommen. Erfreulicher­weise will Peking den Drachen nicht Feuer spucken lassen.

Von Franziska Augstein

Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas führen ein durchaus hartes Leben. Dazu gehört, dass sie viele alkoholselige Festivitäten überstehen müssen. Bei solchen Gelegenheiten heißt es: Trink, Genosse, trink. Die chinesische Beamtin Long Ling hat im Juni in der London Review of Books von gemeinsamen Besäufnissen im Dienste an der Zukunft berichtet: Für gewöhnlich beginne so ein feuchter Abend mit drei Toasts, die auf wachsende Prosperität, erlangte Errungenschaften oder verdiente Parteimitglieder ausgegeben werden. Dabei müssen pro Glas 30 Zentiliter einer Flüssigkeit heruntergekippt werden, die rund 50 Prozent Alkohol enthält. Und das ist erst der Anfang.

Ein Abend blieb Long Ling besonders im Gedächtnis: Nachdem eine neunköpfige Runde zwei Flaschen Schnaps verputzt hatte - da hatte das Bankett seinen zeitlichen Zenit erst erreicht -, ging es einem übergewichtigen Mann ganz offensichtlich gar nicht gut: "Ich zusammen mit noch jemandem brauchte alle Kraft, den Mann auf die Seite zu legen, damit er nicht an seinem Erbrochenen erstickte." Gäste wurden ausgeschickt, Medizin zu besorgen; ein Krankenwagen wurde gerufen; der traditionellen chinesischen Medizin folgend, presste Long Ling einen Finger auf des Mannes Partie zwischen Nase und Oberlippe und rubbelte die Haut zwischen einem seiner Daumen und dem Zeigefinger. Es half alles nichts: Der bewusstlose Mann rang um Luft, und dann verschied er. Long Ling erinnert sich, "dass wir einander anblickten wie Fische, die ans Ufer geschwemmt wurden". Alle wussten: Wenn das die Runde macht, würden etliche Karrieren auf dem Trockenen landen. Die herbeigerufene Ehefrau des Toten jammerte laut und beschloss dann pragmatisch, ein Jahresgehalt ihres bisher gut bezahlten Mannes, der der Alleinverdiener in der Familie war, könnte ihr ein wenig Trost spenden.

Ein besonders beliebter Schnaps in China ist der aus Hirse und Weizen gebrannte Maotai. Den kann man für umgerechnet 700 Dollar pro Flasche bekommen oder auch, im Restaurant, für fünf Dollar pro 100 Zentiliter. Von letzterem ist abzuraten, es sei denn, man möchte eine halbe Nacht im Bad verbringen und am Folgetag unpässlich sein. Ein bisschen so wie mit dem Maotai verhält es sich auch mit der chinesischen Wirtschaft. Längst hat China das Know-how für komplexe Produktionsprozesse erlangt, gleichzeitig überspült es die Welt mit ökonomisch und ökologisch desaströsem Billig-Ramsch.

China ist viel kleiner als Russland mit seinen 17 Millionen Quadratkilometern. Es umfasst knapp 10 Millionen Quadratkilometer, ist damit ungefähr so groß wie die Vereinigten Staaten, hat aber viel mehr Einwohner. Anders als in den USA, wo einigermaßen Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit herrschen, ist das Recht in China oftmals Verhandlungssache. Der Globaldenker Henry Kissinger meint, die chinesische KP-Führung richte sich noch nach der Philosophie des Konfuzius. Kissingers These ist nicht ganz falsch. Genauer: Sie ist ungefähr so schlau, wie wenn ein Chinese konkludierte, die obwaltende Kooperationsbereitschaft zwischen deutschen Gewerkschaften und deutschen Unternehmensführungen beruhe letztlich auf den Ideen von Immanuel Kant.

Xi Jinping bekämpft die Korruption - und bei der Gelegenheit auch Parteigegner

Der jetzige Premierminister Xi Jinping wird auf dem Parteitag der KP, der am 18. Oktober beginnt, ohne Zweifel wiedergewählt werden. Er hat kurz nach Beginn seiner ersten Amtszeit der Korruption den Kampf angesagt. Was das bedeutet, ist dem Westen immer noch nicht ganz klar. Man ist vorläufig zu dem Schluss gekommen, dass Xi es ernst meint, dass er aber gleichzeitig missliebige Parteigenossen auf diese Weise absägen konnte. Weil das chinesische System von Korruption durchsetzt ist, kann Xi Jinping sich aussuchen, wo er zusticht.

Der Westen fürchtet Chinas Macht. China rüstet auf. Das macht die Parteiführung aber nicht, um Krieg zu führen. Chinesische Herrschaft ist traditionell nicht an Eroberungen interessiert. Wenn es um die Sicherung des Landes geht, schickt China Soldaten aus, viele, so etwa während des Koreakriegs. Im Übrigen haben die chinesischen Kaiser und die chinesische KP das "Reich der Mitte" bewahrt, indem sie an einer Erweiterung nicht interessiert waren (Tibet gilt in China als Teil von China). China ist sich selbst genug. Die KP weiß, mit Walther Rathenau gesagt, dass die Wirtschaft das Schicksal ist. Da sind die jetzt umstrittenen Inseln im Pazifik nicht auszunehmen. China hat manche Eilande mit Zigtausenden Tonnen Sand vergrößert. Dort wird militärisches Gerät stationiert. Das dient aber gewisslich nicht einem geplanten Angriff, sondern der Abschreckung. Die jetzige US-Regierung könnte das missverstehen.

In Europa, das weniger kriegerisch parliert, fürchtet man die chinesische Wirtschaftsmacht. 2001 wurde China Mitglied der Welthandelsorganisation. Das machte Im- und Exporte einfacher. Damals wurde China zugesagt, es werde vermutlich bald als "Marktwirtschaft" eingestuft werden, was den Handel noch einfacher machen würde. Angesichts des chinesischen Dumpings - der staatlichen Subvention für bestimmte Industriezweige, mit dem Ziel, auswärtige Konkurrenten auszuschalten - scheut die EU sich zu Recht, China zur "Marktwirtschaft" zu erklären. Dabei ist China marktwirtschaftlich organisiert, jedenfalls nach außen hin. Vom Kommunismus ist eigentlich nur die Gewalt der Zentralregierung übrig geblieben. Und wer da sagt, in China müsse eine Demokratie nach westlichem Muster eingeführt werden, sollte sich besinnen: Das Resultat wären Zustände, wie Russland sie in den 90er-Jahren erlebte, zum Schaden der Bevölkerung, zum Schaden des Landes.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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