Auf- und Absteiger der Wirtschaft 2006:Patzer werden nicht mehr geduldet

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Der Druck auf die Führungskräfte in den Konzernen ist größer geworden - wenn der Erfolg ausbleibt, werden sie schnell gefeuert.

Margarita Chiari

Am Ende ging es ganz schnell. An einem Freitag im November hatten sich die Gerüchte über seine bevorstehende Ablösung verdichtet, am Sonntag trat Telekom-Vorstandschef Kai-Uwe Ricke von seinem Posten zurück.

Mussten unfreiwillig gehen: Bernd Pischetsrieder (links) und Kai-Uwe Ricke. (Foto: Fotos: dpa, ddp)

Da stand bereits fest, wer sein Nachfolger werden würde: René Obermann, bisher Chef der Mobilfunksparte und langjähriger Weggefährte Rickes.

Ein hektisches Wochenende, ein harter Schnitt. Ein monatelanges, quälendes Gezerre wie vier Jahre zuvor rund um die Ablösung von Rickes Vorgänger Ron Sommer gab es diesmal nicht.

Zusätzliche Brisanz gewann der Abgang durch ein Ereignis, das wenige Tage zuvor in Wolfsburg stattgefunden hatte: VW-Konzernchef Bernd Pischetsrieder hatte - nach einem zermürbenden Machtkampf mit Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch - seinen Rücktritt zum Jahresende eingereicht.

Zwei unfreiwillige Chefwechsel in deutschen Großkonzernen innerhalb weniger Tage, das hatte es in der jüngeren Geschichte noch nicht gegeben. Und manche Beobachter schlossen bereits Wetten ab, wer wohl der nächste sein würde - Siemens-Chef Klaus Kleinfeld etwa?

Das Leben ist ungemütlicher geworden in den Chefetagen. ,,Die Zeiten des Vorstandsvorsitzenden auf Lebenszeit sind endgültig vorbei'', sagt Klaus-Peter Gushurst, Deutschlandchef der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton, die alljährlich die Chefwechsel in Großkonzernen weltweit analysiert.

Unfreiwillig und vor Ende des Vertrages

Demnach erfolgte 2005 bereits jeder zweite Abgang unfreiwillig und vor Ende des Vertrages, als Folge von Managementfehlern oder einer Fusion. Seit 1995 hat sich die Zahl der leistungsbedingten Abgänge immerhin vervierfacht. Patzer werden nicht mehr geduldet.

Die Kontrolle ist härter geworden, konstatieren die Berater und bestätigen damit, was viele schon vermutet hatten: Die wachsende Macht internationaler Finanzinvestoren, die Quartal für Quartal gute Ergebnisse und eine entsprechende Rendite einfordern, haben auch das Leben der Führungskräfte in deutschen Konzernen nachhaltig verändert.

Wer die Leistung nicht erbringt, muss gehen, und die Zahl derer, die sich viele Jahre in der Chefposition eines Dax-Unternehmens halten, ist deutlich kleiner geworden. Sie sind vielfach auch jünger.

Der neue Telekom-Chef René Obermann ist 43, sein Vorgänger Ricke startete sogar mit 41 - und scheidet mit 45 bereits aus. So könnte sich die Diskussion über den Wechsel langjähriger Vorstandschefs an die Spitze des Aufsichtsrates bald ganz von alleine erledigen.

Vor einem Jahr noch gefeiert

Wie schnell der Wind drehen kann, zeigte sich im Fall des Telekom-Chefs besonders deutlich. Noch kein Jahr ist es her, dass Kai-Uwe Ricke als Sanierer gefeiert wurde, als der Mann, der die Telekom in kurzer Zeit von Milliardenschulden befreite und 2005 eine Rekorddividende ausschüttete.

Doch dann ging es rasch bergab: schlechte Halbjahresergebnisse, eine Korrektur der Gewinnprognose und der schwache Verlauf der T-Aktie verärgerten den Finanzinvestor Blackstone, der mit einer Beteiligung von 4,5 Prozent kein Schwergewicht ist, letztlich aber den Großaktionär Bund, allen voran Finanzminister Peer Steinbrück, auf seine Seite ziehen konnte.

Vier Jahre sind sehr kurz. Doch Kai-Uwe Ricke ist kein Einzelfall. Auch Bernd Pischetsrieder hielt sich nur vier Jahre am VW-Lenkrad, nachdem er bereits bei BMW ein relativ kurzes Zwischenspiel abgeliefert hatte.

Die Liste der Manager mit kurzer Halbwertszeit lässt sich fortsetzen. Die Reisegruppe Thomas Cook trennte sich nach nur einem Jahr von Vorstandschef Thomas Holtrop, beim Maschinen- und Anlagenbauer IWKA währte die Amtszeit von Wolfgang-Dietrich Hein nicht viel länger.

Und der Handelskonzern Rewe wechselte bereits zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren die Führungsspitze aus: Achim Egner musste Alain Caparros Platz machen.

Keine Zeit für öffentliche Entfaltung

Die kurze Verweildauer bleibt nicht ohne Auswirkungen auf den Managementstil. Wer von Quartal zu Quartal gute Ergebnisse abliefern muss, hat für die - zumindest öffentliche - Entfaltung großer Visionen keine Zeit.

Die Showauftritte sind passé, es wird schnell, nüchtern und oft gnadenlos entschieden. DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche zeigt sich nicht mehr mit der E-Gitarre auf der Bühne, das passt auch nicht ins Bild, wenn rundum kräftig umgebaut und entlassen wird.

Vielmehr fällt auf, wie unauffällig die Erfolgreichen sind: Bayer-Chef Werner Wenning etwa, der den Pharmakonzern mit der Übernahme von Schering wieder zurück in die Weltliga brachte, Jürgen Hambrecht, der BASF durch mehrere Übernahmen stärkte, oder Ingrid Matthäus-Maier, die ohne Getöse an die Spitze der staatlichen Förderbank KfW rückte.

Geräuschlose Zerschlagung

Selbst Wolfgang Reitzle, dem Glamour sonst nicht abgeneigt, gelang die Zerschlagung des Linde-Konzerns nahezu geräuschlos.

Applaus ernten derweil andere: Der indische Unternehmer Lakshmi Mittal etwa, der mit der Übernahme von Arcelor den mit Abstand größten Stahlkonzern der Welt schmiedete.

Oder die beiden Amerikaner Chad Hurley und Steven Chen, die das Videoportal Youtube entwickelten. Kaum ein Jahr nach dem Start verkauften sie das Portal an Google - für 1,3 Milliarden Dollar. Noch nicht einmal 30 und schon vielfache Millionäre, das beeindruckte.

Kultstatus

Sie werden vermutlich nicht die einzigen bleiben. Die Begeisterung für Entwicklungen rund um das Internet treibt eine ganze Generation meist extrem junger Computerfreaks nach oben, manche von ihnen haben schon Kultstatus erreicht. Sie werden ihn nutzen, bevor ihr Stern verglüht.

Doch für die meisten Manager scheint derzeit eher die Devise zu gelten: Lebe lieber unauffällig. Vom Star zum Buhmann ist es oft nur ein kurzer Schritt.

Siemens-Chef Klaus Kleinfeld und der Vorsitzende des Allianz-Konzerns, Michael Diekmann, können davon ein Lied singen. Noch vor einem Jahr als neue Macher gefeiert, mussten sie im abgelaufenen Jahr erleben, dass der Weg zum Ziel mit vielen Fallstricken versehen ist.

Gleich mehrere Waterloos

Beide packten die Restrukturierung energisch an. Mit der Pleite von BenQ, den Korruptionsaffären im eigenen Haus, der Aufregung um die Gehaltserhöhung für die Vorstände und dem vorerst gescheiterten Deal mit Nokia durchlitt Klaus Kleinfeld aber dann gleich mehrere Waterloos.

Und Michael Diekmann ist nach den wochenlangen Protesten von Belegschaft, Gewerkschaften, Politikern und sogar früheren Managerkollegen wegen des verkündeten Stellenabbaus nahezu ganz auf Tauchstation gegangen.

Anderen erging es nicht viel besser: Der einst gefeierte BP-Chef John Browne musste sich nach einem Raffinerie-Unfall in Texas und dem Auslaufen der Pipelines in Alaska dem Willen des Aufsichtsrates beugen und seinen Rücktritt bis Ende 2008 ankündigen. Und EADS-Chef Noël Forgeard kostete das Debakel mit dem neuen Großflugzeug A380 den Job.

Entlassung nach drei Minuten

Das Aus kommt meist sehr schnell. Die frühere Chefin des Computerkonzerns Hewlett-Packard, Carly Fiorina, etwa klagt in ihren Memoiren, dass dem Aufsichtsrat drei Minuten reichten, um ihr die Entlassung mitzuteilen.

Bitter auch der Abschied von BMW-Chef Helmut Panke: Er musste gehen, trotz guter Ergebnisse, weil die Eigentümer an der Regel festhielten, die Manager mit 60 in den Ruhestand zu schicken. Sein Nachfolger, Norbert Reithofer, hat mit 50 noch etwas Zeit.

Freilich: Der Absturz wird meist durch hohe Abfindungszahlungen abgefedert. Manche nehmen sich eine Auszeit, viele finden einen neuen Job - auch dies eine Folge der raschen Wechsel in den Chefetagen.

Der Kreis schließt sich

Auffällig ist, dass etliche Manager ausgerechnet bei jenen anheuern, die zu ihrem Sturz beigetragen haben - bei Finanzinvestoren. Der frühere Mannesmann-Chef Klaus Esser findet sich hier ebenso wie Ex-Telekom-Vorstand Ron Sommer, der gestürzte Infineon-Chef Ulrich Schumacher oder Es-Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger. Der Kreis schließt sich.

Sind die Manager durch die scharfe Kontrolle besser geworden? Die Ergebnisse und die Aktienkursentwicklung der Unternehmen lassen dies zumindest vermuten. Die Chefs sind jünger, es wird härter gearbeitet.

Und vielleicht deutet auch die Tatsache, dass im vergangenen Jahr zahlreiche Bestechungs- und Korruptionsfälle aufgedeckt wurden, darauf hin, dass mehr Wert auf saubere Geschäfte gelegt wird.

Warnung vor Fehlentwicklungen

Gleichwohl mehren sich die Stimmen derer, die vor Fehlentwicklungen warnen. Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, der bislang nicht zu den Kritikern der Managerkaste gehörte, bemängelte in einem SZ-Interview den Verlust an sozialer Verantwortung.

,,Viele Manager fühlen sich nicht mehr verantwortlich für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen.'' Der Verweis auf den Druck von Investoren und Analysten werde als Entschuldigung für das eigene Handeln missbraucht.

Und der scheidende Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, Dieter Heuskel, befürchtet gar die Zerstörung der Unternehmenskultur, wenn die Pferde und die Strategien zu oft gewechselt würden. Unternehmen müssten Führungskräften und Mitarbeitern wieder ,,Identität und Perspektive bieten'', mahnt er.

Schneller Strategiewechsel

Sicher ist nur: Sollte sich die raschen Wechsel negativ auf die Erträge auswirken, werden auch die Investoren ihre Strategie ändern - und zwar schnell.

© SZ vom 27.12.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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