Arbeit in deutschen Gefängnissen:Niedriglohnzone hinter Gittern

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Zu Kosten wie in Rumänien stellen Häftlinge Teddys oder Plastikförmchen her. Die Fabrikanten halten die Herkunft der Waren lieber geheim - sie fürchten Imageschäden.

Von Martin Benninghoff

Nicholas* legt das Messer weg und kneift sein rechtes Auge zu. Am gestreckten Arm mustert er die Luftpumpe. Sein Zeigefinger fährt über das schwarze Plastik.

"Sieht gut aus", murmelt der Häftling und reckt seinen Daumen in Richtung Scheibe. Die zwei Männer im Glaskasten nicken zurück. Fabrikant Hans Seidel* und Werkdienstleiter Josef Knauf. "Fertig", ruft Nicholas etwas lauter. Sein Wiener Akzent hallt durch den fensterlosen Raum.

Drei Jahre hat Nicholas bekommen. Wegen Drogenschmuggels. Ein paar Monate hat der 29-jährige Koch in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wuppertal schon abgesessen.

Neuer Stellenwert

Seit kurzem hat er dort einen Job: Zwar nicht in der Küche - dort sei die Fluchtgefahr zu groß, erklärten ihm die Justizbeamten bei seiner Einweisung.

Stattdessen baut er nun für Seidel Feuerzeuge, Steckdosen und Luftpumpen zusammen, 38,5-Stunden in der Woche. In dem neonbeleuchteten Gefängnisraum sitzt Nicholas neben 13 Mithäftlingen auf langen Bänken.

Ab und zu verlässt Seidel seinen Glaskasten und klopft seinen Leuten auf die Schultern. "Das Verhältnis zwischen mir und meinem Arbeitern ist wie zwischen Meister und Lehrling", sagt Seidel. Er siezt seine Leute sogar. Keine Selbstverständlichkeit hinter Gefängnismauern.

5.30 Uhr: Wecken, Rasieren, zum Frühstück ein Marmeladenbrot auf der Zelle. 6.55 Uhr: "Ausrücken zur Arbeit", wie es im Jargon der Justizbeamten heißt.

Paragraph 41 des Strafvollzugsgesetz bestimmt: Strafhäftlinge und jugendliche Untersuchungshäftlinge sind zur Arbeit verpflichtet. Sie sind legale Zwangsarbeiter.

Ein Häftling, der sich zu arbeiten weigert, wird unsanft an seinen Status erinnert: Er muss mit Disziplinierung rechnen - drei Monate Einkaufsverbot oder strenge Einzelhaft. Gewerkschaften? Arbeitsplatzgarantie bei Krankheit? Im Knast sind das Fremdworte.

Gefängnisarbeit gewinnt in Zeiten von Billiglohndebatten einen neuen Stellenwert: Besonders mittelständische Unternehmer lenken ihren Blick auf deutsche Gefängnisse als preiswerte Produktionsstätten.

Rund 40 Prozent der arbeitsfähigen Gefangenen in Deutschland arbeiten schon für Privatunternehmen wie das von Seidel. Hinzu kommen die so genannten Eigenbetriebe. Das heißt: Dort zimmern die Gefangenen zum Beispiel Büromöbel für den Eigenbedarf der JVA oder reparieren die Gefängnisbusse.

Auf den ersten Blick ist das deutsche Modell eine funktionierende Symbiose: Unternehmer finden preisgünstige Produktionsbedingungen, Haftanstalten beschäftigen mehr oder weniger sinnvoll die Insassen, die verdienen sich ein Zubrot - und stopfen gleichzeitig ein wenig die Löcher im öffentlichen Haushalt.

Der limitierende Faktor in vielen Gefängnissen ist derzeit nur der Platz. In der größten bayerischen JVA, München-Stadelheim, finden deshalb von den 1700 Inhaftierten nur 170 einen Arbeitsplatz in den beiden Unternehmerbetrieben.

Anbauten sollen nun das Problem lösen, nicht nur in München. Das bayerische Justizministerium baut neue Betriebsgebäude auch in den Anstalten Aichach, St.Georgen-Bayreuth, Hof sowie Traunstein und erweitert die Werkstätten in Memmingen, Bernau und Amberg.

Besser als die Wand

Eifrig rühren die in Deutschland für den Justizvollzug zuständigen Bundesländer die Werbetrommel, um weitere Unternehmen anzulocken. "Auch Sie können von der Arbeit profitieren und einen wichtigen sozialen Beitrag leisten", preist das nordrhein-westfälische Justiz-Online-Portal die Knast-Produktion an.

"Die Qualität stimmt", sagt Meinolf Wächter, Leiter der Arbeitsverwaltung in der Wuppertaler JVA. Hinter seinem Schreibtisch steht ein Regal mit Sandkasten-Plastikförmchen, Nagelfeilen, Spielzeugtraktoren und einem Teddybären. "Alles made in JVA", so Wächter.

Das Licht der kalten Neonröhre taucht Nicholas' Gesicht in blasses Gelb. Er schraubt und schneidet bis zur Mittagspause. Bis 15.45 Uhr geht Nicholas' Arbeitstag.

So monoton der strikte Zeitplan erscheinen mag: Wer in der Welt draußen aus dem Tritt gekommen ist, braucht die feste Struktur im Knast. "24 Stunden nur an die Wand starren, Essen, Schlafen, Fernsehen und Videospielen? Das wäre doch die Hölle", sagt Nicholas.

Und es gibt Geld, ein wenig zumindest: Der gesetzlich fixierte Arbeitslohn schwankt zwischen 4,35 und 7,25 Euro für Untersuchungshäftlinge und 7,82 und 13,04 Euro für Strafhäftlinge - als Tagessatz. Damit treffen sich die deutschen Knackis auf einem Lohnniveau mit rumänischen Industriearbeitern.

Konsum statt Vorsorge

Dabei hat vor zwei Jahren das Bundesverfassungsgericht den kargen Lohn schon nahezu verdoppelt. "Der Wert von Arbeit" könne den Häftlingen andernfalls nicht genügend vermittelt werden, begründeten die Richter ihr Urteil.

Einen Großteil des Lohnes tragen die Häftlinge in den anstaltseigenen Laden, der zwei Mal im Monat öffnet. Netter Nebeneffekt: Das Geld wandert aus den Häftlings-Portemonnaies zurück zum Staat.

Arbeitsverwalter Wächter ist mit dem Karlsruher Urteil jedoch nicht zufrieden: "Statt mehr Geld zum Konsum brauchen die Gefangenen Mittel für die Zukunft." Zwar übernimmt der Staat den Arbeitslosenbeitrag und sorgt für die Krankenversorgung.

Für die Altersvorsorge kann ein Häftling in den Jahren seiner Gefangenschaft aber nichts beiseite legen. Ein schlechter Start in die Freiheit, meint Wächter.

Mit der Gefängnisproduktion schaffen sich die Bundesländer eine zusätzliche Einnahmequelle. Allein die gut 3600 Knastarbeiter in Baden-Württemberg sorgen jährlich für einen Umsatz von rund 25 Millionen Euro. Ähnlich viel erwirtschaften die nordrhein-westfälischen und bayerischen Anstalten.

So haben die Gefängnisse im Freistaat mit ihren eingelagerten Unternehmerbetrieben gut 20 Millionen Euro umgesetzt. Nach Abzug der Häftlingslöhne, Ausbildungsbeihilfen und Taschengelder, insgesamt gut fünf Millionen Euro, blieb dem Finanzminister des Freistaates ein Gewinn von 15 Millionen Euro aus der Häftlings-Zwangsarbeit.

90 Euro für die Haft

Diese Summe fassen die Justizminister als ein Beitrag zur selbst verschuldeten Unterbringung hinter Gittern auf. Denn alleine die 12.300 Inhaftierten in Bayern kosten die Steuerzahler pro Person und Hafttag rund 90 Euro - im Jahr also 404 Millionen Euro.

Arbeitsverwalter Wächter wünscht sich angesichts der Summen sogar ein Leistungsprinzip: "Die Einnahmen sollten direkt an die Anstalten fließen, und nicht in den Landeshaushalt", fordert er. Eine gut organisierte, leistungsfähige Knastproduktion würde so der Justizvollzugsanstalt mehr Geld bescheren.

Skeptiker beharren auf der bisherigen Regelung: Deutsche Gefängnisse sollen nicht in einen Wettlauf um Effizienz und Produktion eintreten. Schließlich diene die Häftlingsarbeit primär der Resozialisierung, sagt das Strafvollzugsgesetz. Oberstes Ziel: Die Gefangenen sollen "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten" führen.

Im Alltag bringt der Spagat zwischen Resozialisierung und Produktionsstress jedoch längst Probleme: "Ich muss schauen, dass der Unternehmer zufrieden ist", sagt Werkdienstleiter Josef Knauf, der seit 25 Jahren in der JVA Wuppertal arbeitet.

Er teilt die Häftlinge zur Arbeit ein und sorgt nach eigenen Worten dafür, dass seine schweren Jungs jeden Morgen "pünktlich aus den Federn kommen, Bock auf Arbeit haben, keine Schlägerei auf dem Gang anfangen und zudem Qualität abliefern".

Kein Platz für die Beschwerde

Manchmal gerät er deswegen mit den Sozialarbeitern der Anstalt aneinander: "Der Sozialdienst sieht Arbeit vor allem als Therapie für die Gefangenen", mosert Knauf. "Ich muss aber aufpassen, dass diese Therapie effizient und produktiv ist."

Um jedem Verdacht von Ausbeutung entgegenzutreten, hat die Justizverwaltung Regeln erlassen. "In einem Unternehmerbetrieb wachen jeweils ein Justizbeamter und der Unternehmer über die Produktion", erläutert Frank Blumenkamp, Pressedezernent beim Landesjustizvollzugsamt NRW. "Das beugt einer einseitigen Einflussnahme auf die Häftlingsarbeiter vor", glaubt er.

Ansonsten bleibt den Gefangenen nur noch die Beschwerde bei der "Gefangenenmitverantwortung", einer Art anstaltsinternen Interessenvertretung. Deren Einfluss ist jedoch schwach.

Pumpen-Fabrikant Seidel sieht das ohnehin pragmatisch: "Es ist doch nur in meinem Interesse, dass ich meine Arbeiter gut behandle. Ich weiß ja, dass mancher Häftling nicht viel zu verlieren hat", sagt der rundliche Mittfünfziger mit breitem rheinischen Akzent.

Motivations- und Sprachprobleme

Schon öfter habe er zu hören bekommen: "Draußen habe ich auch nicht gearbeitet. Warum soll ich nun gerade hier damit beginnen?" Für solche Fälle hat er im Vorarbeiterraum einen Kühlschrank mit Äpfeln und ein paar Joghurts stehen - als kleine Antriebshilfe.

Seidel bekennt, dass er jedoch zunehmend Probleme habe, seine Arbeiter zu motivieren. Zudem gebe es schon bei den einfachsten Arbeitsanweisungen immer häufiger Sprachprobleme, weil verstärkt Ausländer und Spätaussiedler die Gefängnisse bevölkerten. Nur zwei seiner 14 Knast-Kräfte hätten überhaupt irgendeine Ausbildung, und auch der Hauptschulabschluss sei die Ausnahme.

Dass bei diesen Voraussetzungen die profitierenden Unternehmer die Herkunft ihrer Ware lieber verschleiern, liegt auf der Hand. Als sich bei Seidel eines Tages sein Auftraggeber zur Wareninspektion angemeldet hatte, herrschte bei ihm Alarm: Seidel ließ die Kisten eilig in eine leer stehende Lagerhalle außerhalb des Gefängnisses schaffen. "Die sollten nicht mitbekommen, wo das Produkt herkam", sagt er grinsend. Die Halle stammte aus der Zeit, als er noch einen regulären Betrieb draußen führte. Heute lässt er nur noch im Knast produzieren.

Und das, obwohl Knastprodukte ein miserables Image haben. "Schlechter geht es kaum", sagt Seidel. Das weiß auch Spielwarenhersteller Theo Möller* aus dem Bergischen Land: Mit Akribie vermeidet der Unternehmer, dass sein Name mit Gefängnis in Verbindung gebracht wird.

Knastklamotten

Wenn ein Foto innerhalb der JVA auftaucht, auf dem ein Firmen-Lkw mit Logo zu erkennen ist, übermalt Möller den Schriftzug - für den Fall, dass es an die Öffentlichkeit gelangen könnte. "Verständlich", findet sogar Wächter. "Wenn bekannt würde, dass ein Sittlichkeitsverbrecher Teddybären näht, könnte das durchaus Proteste besorgter Eltern oder gar einen Kaufboykott nach sich ziehen."

Der Berliner Werbemann Stephan Bohle macht vor, dass es auch anders geht. Er wirbt ganz gezielt mit der Herkunft "Knast" und setzt dabei auf den Skurrilitätsfaktor. Mit seinem Label "Haeftling Jailwear since 1898" startete er einen regen Internethandel mit Hemden, Pantoffeln und Küchenschürzen.

Seine Website brach gar wegen der regen Nachfrage zwischenzeitlich zusammen. Heute verkauft er monatlich rund 5000 bis 10.000 Stück seiner nicht einmal billigen Knastmode, die unter anderem aus Berlin-Tegel oder Heilbronn stammt. Noch in diesem Jahr will Bohle sein Geschäft ausbauen und einen Laden in Berlin-Mitte eröffnen.

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