Anlagestrategie:Wenn der Markt Rabatt gewährt

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Wird es an der Börse ungemütlich, kommt die Zeit der Value-Investoren: Sie suchen nach unterbewerteten Firmen.

Von Jan Willmroth, München

Nach dem Krach beginnt die Schnäppchenjagd. So ist es heute, und so war es auch nach dem Absturz der Weltbörsen von 1987. Als die Kurse am Boden waren, traf ein ziemlich reicher Mann eine Entscheidung, die sich als einer seiner größten Coups herausstellte: In mehreren Schritten kaufte er für etwa eine Milliarde Dollar Anteile an Coca-Cola, dem größten Getränkekonzern der Welt. Gemessen an Umsätzen und Marktanteilen war die Aktie damals günstig. Es wurde die größte Position im Portfolio des Investors. Sie stieg im darauffolgenden Vierteljahrhundert um das 16-Fache im Wert.

Der reiche Mann heißt Warren Buffett. Es sind Geschichten wie diese, die ihn zu einer Legende gemacht haben. Sie veranschaulichen, mit welchem Paradigma er das geschafft hat. Wenn so viel Geld aus dem Aktienmarkt fließt und die Kurse so abstürzen wie jetzt, haben sogenannte Value-Investoren Festzeit. Value-Investing, was frei übersetzt etwa wertorientiertes Investieren heißt, geht zurück auf die US-Ökonomen Benjamin Graham und David Dodd. Sie entwarfen von 1928 an ein Konzept zur Aktienanalyse, an dem sich bis heute viele Investoren orientieren. Buffett war Grahams berühmtester Schüler. Value-Investing ist eine Absage an die Gier und die Hoffnung auf schnelle Gewinne - was zählt, sind allein der langfristige Geschäftserfolg und der "innere Wert" eines Unternehmens: Marktschwankungen können Aktienpreise so verzerren, dass eine Firma weniger kostet, als sie nach eingehender Analyse eigentlich wert sein müsste.

Wichtiger als alle Details sind dabei die Tugenden. Geduld, Sorgfalt und die Kenntnis des Unterschieds zwischen Investieren und Spekulieren. Ein Value-Anleger interessiert sich nicht für Trends. Aktien wie die von Tesla, die trotz hoher Verluste und schlechter Finanzlage gefeiert werden, sind ihm suspekt. Bevor ein Value-Investor kauft, analysiert er das Geschäftsmodell eines Unternehmens, seine wirtschaftliche Situation und die Aussichten auf zukünftige Gewinne. Er liest Geschäftsberichte und Bilanzen; infrage kommen nur Geschäfte, die er auch versteht.

Dabei sind Kennzahlen wichtig, die verraten, wie der Markt ein Unternehmen bewertet: die Verhältnisse von Marktwert zu Gewinnen, Umsatz oder Buchwert und deren langfristiger Durchschnitt, der freie Cashflow, der Verschuldungsgrad oder die Dividendenrendite. Benjamin Graham vergleicht den Aktienmarkt mit einem Verkäufer: Jeden Tag kommt Herr Markt vorbei, einen Koffer in der Hand, darin alle Aktien und deren Preise. Die Kunst sei, herauszufinden, ob er gerade Sonderangebote dabei hat, oder ob alles maßlos überteuert ist. Gekauft wird nur, wenn etwas im Angebot ist. Das setzt voraus, im richtigen Moment Geld übrig zu haben. Nicht zu vergessen ist auch Grahams Rat, sein Geld vernünftig zwischen Aktien und Anleihen aufzuteilen.

Indes ist keine Investment-Philosophie der Weisheit letzter Schluss - überlegene Strategien gibt es nicht. Zwar belegen zahlreiche Studien eine Überlegenheit des Value-Ansatzes, doch spezielle Value-Investmentfonds entwickeln sich oft schlechter als der Markt. Zwei Analysten können bei der Frage nach dem inneren Wert eines Unternehmens zu völlig unterschiedlichen Schlüssen kommen. Erfolgsgeschichten wie die von Warren Buffett und seinem Cola-Coup halten sich. Die Geschichten der Verlierer aber, die als Value-Investoren pleitegegangen sind, verschwinden oder werden gar nicht erst bekannt.

Und trotzdem: Wenn der Markt am Boden liegt, wie nach der Finanzkrise 2008 - und vielleicht auch bald - schlägt die Stunde der Buffett-Jünger.

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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