Anlageskandal:Von Göttingen lernen

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Für dubiose Geldjongleure gibt es in Deutschland keine Aufsicht. Ein Lehrstück über den Niedergang des Finanzkonzerns Göttinger Gruppe - dem zugleich größten Anlageskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Thomas Öchsner

Wer in einem Supermarkt eine Flasche Shampoo klaut, bekommt Ärger mit der Polizei. Wer mehrmals beim Schwarzfahren erwischt wird, erhält eine Strafe. Aber wer mehr als 100.000 Anlegern mit gewagten Versprechungen gut eine Milliarde Euro aus der Tasche zieht, muss sich vor der Staatsanwaltschaft nicht fürchten. Es klingt unglaublich und ist doch wahr. Deutschland ist ein Paradies für Geldabzocker und Anlagebetrüger. Das zeigt auch der Niedergang des Finanzkonzerns Göttinger Gruppe.

In Deutschland werden Versicherungen und Banken streng kontrolliert. Für dubiose Geldjongleure gibt es dagegen keine Aufsicht. Auf dem unregulierten sogenannten grauen Kapitalmarkt kann jeder, der bis drei zählen kann, Bürgern unseriöse Geldanlageangebote andrehen, selbst wenn von vorneherein klar ist, dass dabei nur Verluste herauskommen können. Die Finanzaufsicht prüft nur, ob der Verkaufsprospekt formal richtig ist. Mehr darf sie gar nicht, weil sie dafür nicht die Kompetenzen hat. Das muss sich schleunigst ändern, sonst werden Anleger auch in Zukunft Milliarden bei der Altersvorsorge verlieren.

Das Göttinger Beispiel zeigt aber auch, dass Staatsanwaltschaften mit großen Kapitalanlagesystemen oft völlig überfordert sind. Entweder werden sie von Politikern zurückgepfiffen, weil Ermittlungen nicht gewünscht sind. Oder es fehlen Personal, Knowhow und Engagement, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Bei der Göttinger Gruppe jedenfalls ermittelte die Staatsanwaltschaft schon vor ein paar Jahren. Die Frage, ob die verantwortlichen Manager es nicht von Anfang an nur darauf abgesehen hatten, die Anleger um ihr Geld zu erleichtern, klärten die Ermittler nie auf. Statt sich von Gutachtern helfen zu lassen, gaben sie sich damit zufrieden, dass aus den Verlusten ja noch Gewinne werden könnten. Betrug ist juristisch eben erst Betrug, wenn sich die betrügerische Absicht beweisen lässt oder Anlegergeld tatsächlich in dunkle Kanäle versickert ist. Doch das konnten, wollten oder durften die Göttinger Staatsanwälte nicht belegen.

Die Justiz für die Aufarbeitung von Anlageskandalen besser auszustatten, wird allerdings nicht reichen. Solange viele gutgläubige Deutsche gewieften Verkäufern vertrauen und die einfachsten Grundregeln der Geldanlage nicht beherrschen, werden Abzocker und Betrüger weiter leichtes Spiel haben. Die Göttinger Gruppe wäre deshalb durchaus auch ein Thema für eine Schulstunde im Wirtschaftsunterricht.

© SZ vom 9.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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