Amtrak:Ausgehungert

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Ungewisse Aussichten: Weil für die Modernisierung der amerikanischen Staatsbahn gewaltige Summen nötig wären, erwägen Politiker, sie zu privatisieren. (Foto: Mark Makela/AFP)

Die amerikanische Staatsbahn ist chronisch unterfinanziert- dabei wäre sie wichtig für jene, die sich kein Auto leisten können.

Von Kathrin Werner und Jürgen Schmieder

Natürlich ist die Eisenbahn tief mit der Geschichte der Vereinigten Staaten verbunden. Sie hat den Osten mit dem Wilden Westen verbunden, sie hat Wachstum und Reichtum gebracht. Doch die guten Zeiten liegen lange hinter ihr. Wer heute von Passagierzügen in Amerika spricht, redet von Verspätungen, von wackeligen Waggons und von schmutzigen Bahnhöfen. Zugfahren klingt nach Vergangenheit - und seit dem entgleisten Zug mit acht Toten in Philadelphia vor wenigen Tagen auch nach Gefahr.

Was genau das Unglück verursacht hat, ist noch unklar. Sicher ist, dass der Zug doppelt so schnell unterwegs war als in dieser Kurve erlaubt war. Und sicher ist, dass Technik, die den Unfall verhindert hätte, noch nicht eingebaut war, es gab Verzögerungen. Schuld daran ist laut Amtrak-Mitarbeitern eine Kombination aus Bürokratie, Kostendruck und fehlender Unterstützung vom Kongress. "Amtrak übernimmt volle Verantwortung und entschuldigt sich von ganzem Herzen für unsere Rolle in diesem tragischen Vorfall", sagt Firmen-Chef Joe Boardman.

Amtrak ist die einzige Personenbahn in den USA, die längere Strecken zurücklegt und größere Städte verbindet. In manchen Gegenden, vor allem an der Ostküste, gibt es daneben noch Pendlerbahnen. Sie ist 1971 gegründet worden - aus der Not heraus. In den 50er Jahren kauften mehr und mehr Amerikaner Autos, die Regierung baute Highways statt Schienen. Das Auto gehörte zum amerikanischen Selbstverständnis, und noch gilt das eigene Fahrzeug zur ständigen Verfügung als Symbol der Freiheit in diesem Land. Die Passagierzahlen im öffentlichen Verkehr sanken seit den 50er Jahren rasant, doch konnten die privaten Bahngesellschaften nicht einfach aufhören, Passagiere zu befördern. Sie waren gesetzlich dazu verpflichtet. Eine Firma nach der anderen rutschte in die Pleite.

Um das Passagierzugsystem zu retten, gründete die Regierung die Staatsbahn Amtrak. Sie nahm den Bahnunternehmen die Passagiersparte ab und trennte so das profitable Frachtgeschäft und den verlustträchtigen Personenverkehr. Es gibt heute, nach etlichen Fusionen, sieben große, private Güterzugkonzerne in den USA, sie sind profitabel. Amtrak dagegen verliert jedes Jahr Geld. Viel Geld. Bei einem Umsatz von 3,2 Milliarden Dollar blieb unter dem Strich ein Minus von 1,1 Milliarden Dollar, für das der Staat aufkommen muss.

"Amtrak wurde eine Art unternehmerischer Vampir", schreibt der Stanford-Geschichtsprofessor und Bahnexperte Richard White: "Er muss sich von Subventionen ernähren, weil ihm der lukrative Teil des Zugverkehrs fehlt." Auf vielen Strecken fährt Amtrak auf den Gleisen der Frachtbahnen, die keinen Grund haben, in Gleise für modernen Personenverkehr zu investieren. Amtrak selbst hat kein Geld, um genug eigene neue Technik zu kaufen. Die Passagierzahlen der Staatsbahn steigen zwar wieder, sie hat aber mit 31 Millionen Fahrgästen deutlich weniger als die Deutsche Bahn. Die einzige Strecke, die sich für Amtrak lohnt, ist im Nordosten des Landes zwischen Boston und Washington. Doch Amtrak ist verpflichtet, auch Strecken zu bedienen, für die es nicht genug Passagiere gibt. Wer am Mittwoch in New York in den Zug steigt, der ist am Samstag in Los Angeles. Also fliegen die meisten.

Durch die marode Infrastruktur sind die Amerikaner in den meisten Gegenden auf das Auto angewiesen. Das jedoch steigere die ökonomische Ungleichheit im Land, sagte Rosabeth Moss Kanter, Harvard-Professorin und Autorin eines neuen Buchs über verfallende Infrastruktur, dem Magazin Atlantic. "Viele Menschen wünschen sich öffentliche Verkehrsmittel, aber sie sind noch wichtiger für Geringverdiener, die sich keine Autos leisten können." Für viele Arme seien Jobs, Gesundheitsvorsorge, gute Lebensmittel und Schulen kaum zu erreichen. Ein funktionierendes Bahnnetz wäre wichtig, bleibt die Frage: Wie soll das passieren?

Amtrak gilt als veraltet und marode, das weiß auch Boardman: "Da würde ich nicht widersprechen. Die Infrastruktur ist sehr, sehr alt. Ein Großteil der Oberleitungen stammt aus den dreißiger Jahren. Wo auf der Welt gibt es so etwas sonst noch?" Seit Jahren spricht Boardman schon davon, wie er seinen Konzern gern modernisieren würde. "Wir reden hier von sehr vielen Milliarden an Investitionen", sagt er und lässt eine ziemlich lange Liste folgen: Zwei Tunnel unter dem Hudson River. Ein Hochgeschwindigkeitszug für Kalifornien. Eine Brücke hier. Neue Oberleitungen da. Neue Lokomotiven, neue Wagen, neue Schienen, neue Weichen.

Neu, neu, neu - und doch kritisieren viele Vordenker selbst Boardmans modernste Pläne. Elon Musk etwa baut Elektroautos, er träumt von Kapseln mit einer Geschwindigkeit von 1220 Kilometern pro Stunde und sagt: "Ich verstehe nicht, warum man immer noch normale Züge baut. Das ist verrückt!" Solche Aussagen bleiben nicht ungehört, sie sind Wasser auf die Mühlen all jener, die Amtrak als Relikt aus einer längst vergangenen Zeit betrachten. Gerade hat das Repräsentantenhaus mit den Stimmen der Republikaner vorgeschlagen, die staatlichen Zuwendungen von 1,4 Milliarden auf 1,1 Milliarden Dollar zu kürzen. Viele Republikaner wollen Amtrak schon seit Langem privatisieren.

"Wir sollten sie verkaufen", sagt Kentuckys libertärer Senator Rand Paul: "Stellt Euch vor, wir könnten sie verkaufen und eine richtige Firma einen schnellen Zug fahren lassen." Infrastrukturexperten dagegen weisen darauf hin, dass es schwierig werden dürfte, einen Käufer für das defizitäre Unternehmen zu finden.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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