Alternative zu Antibiotika:Wenn Bakterien zertrümmert werden

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Eine Forscherin im Labor von Lysando: Die Firma, die in der Nähe der Universität Regensburg sitzt, gibt es bereits seit 2009. (Foto: N/A)

In Regensburg arbeitet eine kleine Firma an einer wirksamen Alternative zu Antibiotika - denn immer mehr Keime werden resistent. Doch der Weg zum Erfolg ist weit. Ein Grund sind auch strenge deutsche Vorschriften.

Von Caspar Busse, Regensburg

Im hintersten Raum des Labors steht ein übergroßer Schrank, mehrfach gesichert, in dessen Innerem minus 80 Grad herrschen. Die Mitarbeiter sprechen vom "Tresor", denn darin befindet sich ein Schatz. Hier werden auch 2500 Bakterien-Arten aufbewahrt, die nicht nach draußen dringen dürfen. Hier lagern auch wichtige Proben, unter anderem einige Hundert speziell geschaffene Artilysine, also besondere Protein-Moleküle.

Die knapp 20 Mitarbeiter der kleinen Hightechfirma Lysando in Regensburg, im sogenannten Bio-Park in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universität, forschen schon seit fast einem Jahrzehnt, um ein Problem in den Griff zu bekommen, das weltweit immer drängender wird: Sie arbeiten an einer wirksamen und billigeren Alternative zu Antibiotika. Denn die Zahl der resistenten Bakterien nimmt immer weiter zu. Gegen diese können herkömmliche Antibiotika nur noch wenig oder nichts mehr ausrichten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt bereits einige solcher Keime und rechnet dadurch mit einer teilweise deutlichen Zunahme der Todesfälle weltweit. Ein besonderes Problem: Auch in Krankenhäusern gibt es inzwischen immer öfters multiresistenten Keime, die Auswirkungen sind besorgniserregend.

"Artilysine sind durchaus eine Nachfolgetechnologie für Antibiotika", sagt Markus Graf Matuschka von Greiffenclau, 52. Der Investor hat Lysando 2009 gegründet und ist Vorsitzender der Verwaltungsrats. "Dieser Markt ist größer als der für Antibiotika. Etwas Vergleichbares gibt es derzeit nicht", glaubt er. Deshalb hat er Geld in die Forschung gesteckt, aber er braucht einen langen Atem. Derzeit werden bei Lysando zwar schon einige Artilysine gegen bestimmte Bakterien erfolgreich getestet, etwa in der Tiermedizin oder zur Desinfektion. Medizinische Heilversuche bei Menschen können aber nur mit der ausdrücklichen Einwilligung des Patienten durchgeführt werden. Hier gibt es nach Angaben von Lysando zwar bereits erste Erfolge, umfangreiche klinische Studien, die für die Einführung eines Medikaments notwendig sind, wurden aber bislang nicht gemacht. Bis zu einer umfassenden Markteinführung wird es noch dauern.

Das Prinzip, mit dem die Regensburger Forscher arbeiten, wurde von einem Professor aus Belgien entdeckt, Lysando hat sich das Verfahren dann patentrechtlich schützen lassen und weiterentwickelt. Das jeweils für die Anwendung individuell entwickelte Molekül kann die Zellwand eines bestimmten Bakteriums angreifen und sozusagen zertrümmern. Da im Inneren des Bakteriums ein Überdruck herrscht, kann die Zellwand so aufplatzen, das Bakterium wird unschädlich. Artilysin, ein Designerprotein, kann biologisch abgebaut werden. Bisher ist auch nicht bekannt, dass Bakterien irgendeine Art von Resistenzen dagegen entwickeln können. Ein Bakterium kann also zielgenau bekämpft werden, ohne größere Nebenwirkungen. "In einem halben Esslöffel Erde befinden sich so viele Bakterien wie Menschen auf der Erde leben", sagt Matuschka, dessen berühmte Vorfahren einst im Rheingau Wein anbauten. Dabei sind die meisten Keime in der Regel harmlos, aber es gibt Bakterien, die können gefährliche, teilweise lebensbedrohende Krankheiten auslösen. 1928 schließlich wurde Penicillin entdeckt, von den 40-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an haben sich dann Antibiotika weltweit verbreitet, heute zählen sie zu den am meisten verschriebenen Medikamenten. Das Problem: Mit zunehmender Resistenz von Bakterien verlieren manchen Antibiotika ihre Wirkung.

Was der Gründer nicht sagt: Die Pharmaindustrie ist ein mächtiger Gegner

"Heute werden Antibiotika massenhaft und sehr billig vor allem in Asien hergestellt, der Verbrauch steigt exponentiell an", kritisiert Matuschka. Und: "Es ist ein Milliardenmarkt mit auskömmlichen Gewinnen. Damit können die großen Konzerne immer noch leicht viel Geld verdienen." Der Gründer, der mit seiner Holding in Liechtenstein, die auch an anderen Firmen beteiligt ist, sitzt, sagt: "Wir müssen an die Zukunft denken, und nicht an die nächste Bilanz. Man kann nicht mit Antibiotika das von Antibiotika verursachte Problem lösen." Was er nicht sagt: Die internationale Pharmaindustrie ist ein mächtiger Gegner.

Matuschka will mit seinem Engagement bei Lysando auch irgendwann Gewinn erwirtschaften, auch wenn ein Teilverkauf oder ein Börsengang derzeit nicht geplant ist. "Wir sind kein Wohltätigkeitsunternehmen, Geldverdienen ist etwas sehr Vernünftiges", sagt er. Aber Matuschka kritisiert auch die sehr strengen Verfahren für neue Medikamente in Deutschland: "Die Zulassung in Deutschland ist sehr aufwendig und dauert sehr lange, zu lange. Das muss geändert werden. Das Regelwerk für Antibiotika ist veraltet und nicht kompatibel mit der Innovation Artilysin."

Deshalb werden die Artilysine - 450 Prototypen gibt es bereits - derzeit vor allem in anderen Bereichen eingesetzt. "Wir nutzen diese zunächst als Methode zur Desinfektion und als antimikrobielle Technologie", so Matuschka. Ein Lizenznehmer in der Tiermedizin sei das Pharmaunternehmen Boehringer. Matuschka ist überzeugt: "Nach neun Jahren Forschung kann man sagen: Unsere Technologie funktioniert."

© SZ vom 06.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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