Air France:Bis aufs Hemd

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Vom Hemd bleibt nur noch ein Fetzen: Sicherheitskräfte helfen Air-France-Personalchef Xavier Broseta über den rettenden Zaun. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Mitarbeiter der französischen Fluggesellschaft attackieren die Top-Manager. Der Grund: Stellenabbau.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Es waren beinahe beispiellose Szenen, die sich am Montag vor der Unternehmenszentrale von Air France in Paris abspielten. Am Ende musste der Personalchef der französischen Fluggesellschaft, Xavier Broseta, von Sicherheitsleuten über einen Metallzaun gehoben werden, um ihn vor einer Meute aufgebrachter Mitarbeiter zu retten. Zu diesem Zeitpunkt hatten diese ihm bereits das Hemd vom Leib gerissen, ein letzter weißer Fetzen hing ihm vom linken Arm - nur die Krawatte hatte Broseta noch um den Hals. Ähnlich erging es auch anderen Managern der Fluggesellschaft. Die Bilder machten via Twitter schnell die Runde.

Es hätte wohl keines weiteren Beweises dafür bedurft, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen dem Management von Air France und den Gewerkschaften ist. Der Aufstand von Montag markiert aber wohl eine Zäsur für das Unternehmen. Denn er ist das Symbol für das Scheitern jahrelanger Verhandlungen mit Piloten und Flugbegleitern über niedrigere Kosten, mit dem Ziel, das Unternehmen wieder in die Gewinnzone zu bringen und zu expandieren. Stattdessen stehen nun bei Air France Massenentlassungen auf dem Programm, Flotte und Streckennetz sollen schrumpfen.

Mitglieder des Managements hatten sich am Montagvormittag mit dem Betriebsrat der Fluggesellschaft getroffen, um Details der Sparmaßnahmen zu erörtern. Hunderte Mitarbeiter stürmten die Sitzung, die daraufhin unterbrochen wurde. Dabei kam es auch zu den Übergriffen auf Broseta. Das Unternehmen verurteilte die Gewalt scharf.

Ende der vergangenen Woche hatte der Verwaltungsrat des Air France-KLM-Konzerns dem Vorstand für das Sparprogramm grünes Licht gegeben, nachdem auch die letzten Verhandlungsversuche gescheitert waren. 2900 Stellen sollen nun nach Angaben aus Unternehmenskreisen gestrichen werden - 300 bei den Piloten, 900 bei den Flugbegleitern und 1700 beim Bodenpersonal. Air France dünnt vor allem das Langstreckennetz aus: fünf Maschinen sollen 2016 stillgelegt werden, 2017 neun weitere. Auf 22 Strecken wird die Zahl der Flüge zum Teil deutlich reduziert, denn Air France macht derzeit auf jeder zweiten Langstrecke Verlust. Dem Vernehmen nach wird auch ein Auftrag für 25 neue Langstreckenmaschinen des Typs Boeing 787 gestrichen.

Air France-Piloten gehören zu den bestbezahlten Besatzungen weltweit, gleichzeitig kommen sie nur auf eine geringe Produktivität. Das Unternehmen hatte von den Piloten und Flugbegleitern deshalb in den Verhandlungen gefordert, für das gleiche Geld mehr zu arbeiten. So sollten Langstreckenpiloten künftig pro Jahr 780 Stunden fliegen, statt 680. Die Zahl der Ruhetage zwischen zwei Einsätzen sollte von fünf bis sechs auf vier reduziert werden. Die Pilotengewerkschaften wiesen diese Forderungen zurück und wollten Produktivitätssteigerungen nur auf freiwilliger Basis zulassen. In der vergangenen Woche präsentierte Air France-Chef Frédéric Gagey einen weiteren Kompromissvorschlag, der nur noch eine Erhöhung von zehn Prozent vorsah. Darauf bekam er aber keine Antwort. Auch die Flugbegleiter weigerten sich, zu verhandeln und wiesen auf noch gültige Tarifverträge hin.

Die dramatischen Auseinandersetzungen bei Air France sind ein weiteres Zeichen für die Krise der klassischen europäischen Fluggesellschaften, die wegen des Wettbewerbs von Billigkonkurrenten und neuen Anbietern aus dem Nahen Osten ihre Kosten senken müssen. Von den drei großen europäischen Marken Air France, British Airways und Lufthansa hat nur BA bislang die Kostenprobleme in den Griff bekommen.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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