AIG:Kleingerechnet

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Abzeichen auf der Uniform eines amerikanischen Soldaten in Deutschland. Die GIs haben zum Beispiel ihre Autos versichert. Jetzt gibt es Ärger um die Policen. (Foto: Christof Stache/AFP)

Der US-Konzern versicherte in Deutschland amerikanische Soldaten. Jetzt streitet er mit früheren Vertretern um Provisionen. Sogar Staatsanwälte ermitteln.

Von Herbert Fromme, Köln

Vor neun Jahren war der amerikanische Versicherungsriese AIG effektiv pleite. Die US-Regierung musste den Konzern auffangen - für 182 Milliarden Dollar. AIG hatte Banken gegen den Ausfall von Immobilienkrediten versichert. Mittlerweile ist das Unternehmen wieder auf den Beinen. AIG hat das Geld der Regierung mit Zinsen zurückgezahlt und gilt als gute Adresse.

Aus den undurchsichtigen Finanzmanövern, die zum Beinahe-Zusammenbruch führten, hat der Versicherer gelernt. Es gelten feste Prinzipien. "Arbeite ehrlich und verbessere das Ansehen der AIG", heißt es in den Leitsätzen, die jeder Mitarbeiter einhalten muss. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main hat offenbar erhebliche Zweifel daran, dass die deutsche Niederlassung das "ehrliche Arbeiten" immer so genau genommen hat. Die Behörde bestätigte SZ-Informationen, nach denen sie ein Ermittlungsverfahren gegen den Deutschlandchef Alexander Nagler, den früheren Chef Ulrich Reinholdt und einen Buchhalter führt. Im Zuge des Verfahrens ließ die Staatsanwaltschaft schon am 22. Dezember 2016 die beiden AIG-Standorte in Frankfurt und Heilbronn sowie die Privatwohnung von Nagler durchsuchen.

Der schwere Vorwurf: Betrug und Untreue. Es soll um Provisionen bei der Versicherung von US-Soldaten gehen. Jahrzehntelang versicherte AIG die Autos, den Hausrat und andere private Risiken von GIs, die in Deutschland stationiert waren. Vermittelt wurde es von Agenturen in den Kasernen oder in ihrer Nähe. Viele Vermittler sind in der zweiten oder dritten Generation tätig.

Doch zum 1. Januar 2015 stellte AIG das "Military Business" in Deutschland ein - es passte nicht mehr in das Gesamtportfolio der Gruppe, die sich eher um die Risiken großer Industriebetriebe kümmert als um die Privatwagen von Soldaten. Damit wurden die langjährigen AIG-Vertreter plötzlich arbeitslos. Eigentlich haben Vertreter in solchen Fällen Ausgleichsansprüche gegen den Versicherer. Doch stelle sich das Unternehmen hier eher stur, berichten Kenner der Vorgänge. Sehr wahrscheinlich hat diese Hartleibigkeit AIG den aktuellen Ärger eingebracht.

Unter den Vermittlern herrscht große Unzufriedenheit über die Provisionsabrechnungen der AIG. "Sie sind plötzlich kleingerechnet worden", sagt ein Insider. "Statt mehr als 100 000 Euro, wie manche Vertreter meinen, stehen ihnen nach Ansicht der AIG nur 3000 Euro oder 5000 Euro zu." Schließlich wurde es dreien der betroffenen Vermittler zu bunt. Sie stellten Strafanzeige gegen die AIG-Verantwortlichen, bewaffnet mit reichlich Material.

Streitereien zwischen Versicherern und ihren Vertretern sind nicht selten, gerade wenn es um die Schließung von Geschäftsfeldern geht. Doch handelt es sich hier wohl um mehr als die üblichen Nickeligkeiten. Die Staatsanwaltschaft nahm die Vorwürfe jedenfalls so ernst, dass sie die Hausdurchsuchungen anordnete. "AIG äußert sich grundsätzlich nicht zu laufenden Verfahren", teilt das Unternehmen dazu mit. Man arbeite konstruktiv und transparent mit den zuständigen Behörden zusammen. "Wir sind zuversichtlich, dass die auf zu Unrecht erhobenen Vorwürfen basierenden Verfahren eingestellt werden", heißt es bei AIG weiter.

Hinter dem Betrugsvorwurf steht offenbar der generelle Verdacht, dass der Konzern Provisionen unsauber abgerechnet haben könnte. Insider nennen ein Beispiel: Wenn US-Soldaten versetzt wurden, endete die Versicherung für ihre Wagen. Für die restliche Laufzeit, zum Beispiel ein halbes Jahr, erstattete AIG die Prämie per Scheck, nicht per Überweisung. Viele GIs lösten aber diese Schecks aus den verschiedensten Gründen nie ein. Wenn das geschah, verbuchte AIG die so eingesparte Rückzahlung als Prämieneinnahme. Dem Vermittler allerdings soll das Unternehmen die Provision gekürzt, also die Jahresprovision für den Vertrag halbiert haben, behaupten die Insider. AIG will dazu nichts sagen.

Das Unternehmen legt sich auch mit Mitgliedern des Betriebsrats an

Am 19. September 2017 nahm Alexander Nagler, Chef der Region Deutschland/Österreich/Schweiz, vor Mitarbeitern zur Lage der Firma Stellung. Es gebe Personen im Unternehmen, die gegen die Wiederherstellung der Profitabilität arbeiteten, sagte er. Sehr ungewöhnlich ist der weitere Verlauf der Mitarbeiterversammlung: Nagler hatte einen Anwalt mitgebracht, den Arbeitsrechtler Manuel Rhotert. Rhotert greift zwei Betriebsratsmitglieder frontal an und wirft ihnen vor, sich pflichtwidrig verhalten zu haben - offenbar glaubt das Unternehmen, dass sie mit den betroffenen AIG-Vertretern aus dem Military Business gemeinsame Sache machen. Das Unternehmen habe den beiden gekündigt, der Betriebsrat aber der Kündigung nicht zugestimmt.

Die Mitarbeitervertretung reagiert empört. "Der Betriebsrat verurteilt das Vorgehen des Arbeitgebers auf das Schärfste", schreibt das Gremium in einer Information an alle Mitarbeiter. "Die Unterbrechung des Geschäftsbetriebs unter kostenpflichtiger Hinzuziehung eines Anwalts, um Mitarbeiter betriebsöffentlich bloßzustellen und anzuprangern, entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage und war für uns bisher nicht denkbar."

Für Alexander Nagler kommen die Ermittlungen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Er ist ohnehin intern heftig unter Druck: AIG verliert hierzulande an Umsatz und soll 2016 einen hohen versicherungstechnischen Verlust eingefahren haben, also mehr für Schäden und Kosten ausgegeben als an Prämie eingenommen haben. Von 170 Millionen Euro Verlust bei rund 500 Millionen Euro Prämien ist die Rede. Das Unternehmen veröffentlicht keine Zahlen für einzelne Länder. Auch 2017 könnte für AIG in Deutschland in den roten Zahlen enden - selbst ohne mögliche Strafzahlungen oder Bußgelder.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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