ABB:Attacke aus dem hohen Norden

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Rund ein Drittel des Geschäfts von ABB würde Cevian gern verkaufen. (Foto: imago)

Konzernchef Spiesshofer stemmt sich gegen den schwedischen Finanzinvestor Cevian. Der will ABB zerschlagen und ist dabei überaus aggressiv.

Von Karl-Heinz Büschemann, München

ABB-Konzernchef Ulrich Spiesshofer war sehr stolz. Der Deutsche, der seit drei Jahren an der Spitze des größten schweizerischen Industrieunternehmens steht, hatte im Frühjahr so etwas wie ein Wunder geschafft: Bei der diesjährigen Hannover-Messe hatte US-Präsident Barack Obama gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel den Stand des Automatisierungs- und Energietechnik-Unternehmens besucht und Spiesshofer die Hand gedrückt - und das im Heimatland des großen Konkurrenten Siemens.

Am Dienstag wird Spiesshofer auf dem sogenannten Capital Market Day in Zürich den großen Aktionären von seinen Erfolgen berichten und den werbewirksamen Obama-Besuch nicht unerwähnt lassen. Ende Oktober wird er dann den schweizerischen Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann bei einer Gala begrüßen, wenn ABB das 125-jährige Bestehen feiert. Und sicher wird der stolze Chef auch hier die positive Entwicklung von ABB herausstellen. Es scheint gut zu laufen für Spiesshofer, so gut sogar, dass er daran arbeitet, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erwerben. Der Schwabe fühlt sich offenbar wohl in der Eidgenossenschaft.

Doch es gibt auch Leute, die Spiesshofers Arbeit nicht schätzen. Drei Investment-fonds, angeführt von der schwedischen Finanzfirma Cevian, sind der Meinung, ABB müsse zerschlagen und das Geschäft mit den Stromnetzen verkauft werden. Nur so lasse sich der Aktienkurs schnell nach oben treiben. Mischkonzerne seien nicht so erfolgreich wie Ein-Branchen-Unternehmen, so das Credo. Doch Spiesshofer weigert sich zäh, dem Drängen der von Cevian angetriebenen Großaktionäre, die zusammen knapp zehn Prozent der ABB-Aktien halten, nachzugeben.

Der Kampf ist inzwischen zum Stellungskrieg geworden, für den es kein Vorbild gibt. Es ist eine psychologische Schlacht, in der keine Seite klein beigeben will; eine Schlacht, die seit Monaten nicht mehr mit rationalen Argumenten geführt wird. Bei ABB heißt es, die Finanzinvestoren wollten "Kohle machen", um möglichst schnell wieder aussteigen zu können. Bei den Investoren gilt Spiesshofer als bockbeinig: "Er wird Schwierigkeiten haben, den Aktionären die Vorteile seiner Strategie zu erklären", sagt ein Vertreter von Cevian. Die Lager stehen sich feindselig gegenüber. Wer nachgibt, verliert sein Gesicht.

Die 135 000 Beschäftigten des Siemens-Konkurrenten, der etwa 32 Milliarden Euro Umsatz macht, warten derweil gespannt, wie es nach dem Capital Market Day weitergeht. Die meisten Analysten und Unternehmenskenner erwarten, dass Spiesshofer dem Druck der Finanzinvestoren nicht nachgeben und die Netzsparte behalten wird, weil das besser sei für das Unternehmen als der Verkauf. Doch das wäre eine weitere Kriegserklärung an die aggressiven Investoren, die eine Verdoppelung des Aktienkurses in vier Jahren anstreben. Schon kündigt Cevian an, keine Ruhe zu geben, sollte die Netzsparte nicht verkauft werden. "Darüber sprechen wir danach", sagt Christer Gardell, einer der Chefs von Cevian. Der schwedisch-schweizerische Kulturkampf wird weitergehen.

Im Sommer 2015 war die schwedische Finanzgesellschaft Cevian bei ABB eingestiegen, heute hält sie 6,2 Prozent der Aktien. Schneller Gewinn ist das Geschäftsprinzip, gehöriger Druck auf das Management gehört dazu. Denn die Schweden sichern sich gerne Anteile von Firmen, die als schlecht geführt und an der Börse als unterbewertet gelten. Nach drei bis vier Jahren wollen sie den Aktienkurs der Beteiligung verdoppelt haben und aussteigen. Cevian mischt sich deshalb stärker ins Tagesgeschäft ein als andere Investoren.

Cevian hat schon in anderen Konzernen blamable Entscheidungen durchgesetzt

Das geht nicht immer gut. In Deutschland kauften sich die Schweden vor zwei Jahren beim ehemaligen Baukonzern Bilfinger ein. Das Traditionsunternehmen war durch schlechtes Management in eine Krise geraten. Doch auch Cevian trieb den Mannheimer Konzern von einem Managementfehler in den nächsten: Bilfinger hat seit dem Einstieg der Schweden den inzwischen vierten Unternehmenschef, mal soll eine Sparte verkauft werden, mal wird entschieden, sie doch zu behalten. Der Konzern ist unter Cevian zu einem blamablen Fall von Missmanagement geworden. Und zum finanziellen Desaster.

Auch am Stahl- und Anlagenhersteller Thyssen-Krupp ist Cevian inzwischen beteiligt. Und auch bei dem lange kriselnden Essener Unternehmen sind die Cevian-Manager unzufrieden und drängen auf Zerschlagung. Doch bei Thyssen-Krupp widersetzt sich Vorstandschef Heinrich Hiesinger ebenfalls dem ungeduldigen Druck der Schweden und weigert sich, Unternehmensteile zu verkaufen. Cevian gilt deshalb unter Fachleuten im deutschsprachigen Raum als wenig erfolgreich.

Bisher hat ABB-Chef Spiesshofer jedenfalls alle Attacken der Schweden abgewettert. "Wir lassen uns nicht unter Druck setzen", sagte er der SZ vor einem Jahr. Er bewahre seine innere Ruhe durch autogenes Training, verriet der frühere Unternehmensberater damals. Und inzwischen hat er manches erreicht: Der Aktienkurs ist in diesem Jahr um 30 Prozent gestiegen, stärker als der von Siemens. Die Kosten wurden zugleich um eine Milliarde Euro verringert, auch das Personal wurde reduziert. "Es bewegt sich etwas bei ABB", heißt es am Firmensitz in Zürich. Doch Spiesshofer kann kaum damit rechnen, dass die Schweden ihn künftig in Ruhe lassen werden. Der ABB-Aktienkurs steht bei 21,50 Schweizer Franken. Die Schweden wollen ihn bei 35 Franken sehen.

Vor wenigen Tagen schockierte Cevian das Züricher Management deshalb mit einer neuen Kampfansage: Am Mittwoch erschien in der schwedischen Wirtschaftszeitung Dagens Industri ein Artikel, in dem zu lesen war, dass Cevian schon damit begonnen habe, selbst Käufer für einzelne Teile des ABB-Netzgeschäfts zu suchen. Unter den Interessenten sollen chinesische Unternehmen sowie der deutsche Siemens-Konzern sein. Cevian hat diesen Artikel nicht dementiert, hat ihn möglicherweise selbst in die Welt gesetzt. Dass Aktionäre auf eigene Faust beginnen, Teile von Unternehmen zu verkaufen, wäre jedenfalls ein ungewöhnliches Verfahren. So etwas ist Sache des Managements. Im schwedischen Wirtschaftsmagazin Affärsvärlden hieß es zum aggressiven Vorgehen von Cevian deshalb zuletzt: "Christer Gardell kämpft den letzten Kampf gegen den zögerlichen ABB-Vorstand."

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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