Warum wir Chips lieben:Der Geist des Allesfressers

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Warum können wir bei Hühnchen-Nuggets nicht Nein sagen? Warum sind wir so dämlich und stopfen uns bis zum Anschlag mit fettigem, ungesundem Knusperzeug voll? Weil wir immer intelligenter werden.

Petra Steinberger

Es begann damit, dass wieder nichts zu essen im Haus war. Oder besser: in der Höhle. Auf dem Baum. Zumindest war das nicht da, was die Protomenschen eigentlich am liebsten aßen. Höchstwahrscheinlich war das süßes, reifes Obst (deshalb unsere Vorliebe für Zucker); Forscher vermuten, dass wir unter den großen Affen eher zu den Frugivoren, den Fruchtfressern, gehörten wie die Schimpansen - Menschen ähneln ihnen in Körperbau und Bewegungsabläufen, nicht so sehr den langsameren Gorillas, den Grasessern.

Wer kennt das nicht: Abends auf dem Sofa kommt der Heißhunger. Viele greifen dann zur Chipstüte. (Foto: iStockphoto)

Jedenfalls war wieder nichts da und Protomensch musste erfinderisch sein. Gab es keine reifen Früchte, musste er auf Notfallnahrung, auf fallback foods, zurückgreifen. Das konnte rohes Wildgemüse sein. Oder Insekten, in ihnen stecken Proteine. Es war zwar nicht sein Lieblingsessen, aber Hunger kennt bekanntlich keine Gnade. Es knackte, als er den Panzer durchbiss, aber so ganz wohl war ihm dabei nicht. Jedenfalls wenn es nach John Allen geht, Neuroanthropologe an einer Institution, dessen Name auch ihr Programm ist: das Dornsife Cognitive Neuroscience Imaging Center and the Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.

Allen untersucht in seinem Buch "The Omnivorous Mind", der Geist des Allesfressers, unser sich ständig veränderndes Verhältnis zum Essen. Keine kleine These: Es geht ihm um nichts weniger als zu zeigen, wie tief Speisen und ihre Zubereitung die Entwicklung des menschlichen Gehirns und unsere unterschiedlichen Gesellschaften geprägt haben - Natur und Kultur, Biologie und Geist finden sich in trauter Einheit beim großen Spiel der Evolution.

Ein großes Gehrin braucht auch mehr Energie

Warum beispielsweise liebt jeder Mensch knuspriges Essen, warum löst das Attribut "extra crunchy" bei einem mickrigen Hühnchen-Nugget einen unwiderstehlichen Kaufreiz aus? Das Knacken des Insektenpanzers in der Not war es wohl nur zum Teil, obwohl es bis heute Kulturen gibt, in denen gegrillte Heuschrecken zu den kleinen Snacks zwischendurch gehören. Es waren diverse Stränge, die jener Knuspersucht führten, die sich heute in der Vorliebe für höchst ungesunde Nahrungsmittel wie Pommes oder Chips auslebt.

Als der Mensch das Feuer beherrschte und dann das Kochen entdeckte, fand er: Geschmack. Nein, viele neue, unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Intensitäten. Gegrillte, geröstete Nahrung war knusprig, schmeckte unvergleichlich besser - und war schneller verdaulich. Das war nicht unwichtig, denn ein immer größeres Gehirn brauchte immer mehr Energie. Und schnell. Ein hoher Knusprigkeitsgrad zieht uns an, bis heute, denn, könnte man flapsig formulieren, er verhieß einmal: Überleben, ein wachsendes Gehirn, Intelligenz. Allerdings galt das alles vor ein paar hunderttausend Jahren und hat heute dazu geführt, dass ansonsten intelligente Menschen sich bis zum Anschlag mit Knusper vollstopfen.

Denn da ist noch das Wort "knusprig" an sich, ein lautmalerisches Wort, das im Gehirn allein durch seinen Klang die Lust auf entsprechendes Essen anregt. Ein Selbstläufer, sozusagen. Wovon die Marketing- und Werbeabteilungen der Fast-Food-Industrie recht gut profitiert haben. Und dabei ist "knusprig" nur ein kleines Detail in der großen Palette der mentalen Geschmacksrichtungen und ihrer Geschichte. Wovon Allen noch eine Menge erzählen kann.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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