Textile Trauer:Über dem Herzen

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Kurz nach den Anschlägen gab es "Pray for Paris"-T-Shirts zu kaufen. Statt Protest trägt man heute Solidarität.

Von Dennis Braatz und Max Scharnigg

Jedes Unglück ist anders, aber die Reflexe danach ähneln einander. Die Reaktionskette auf die Anschläge von Paris begann schon, da waren ihre Ausmaße noch nicht annähernd erfasst. Auftritte der Regierungschefs und ihr Beschwören von Mitgefühl und Verbundenheit sind der offizielle Start der Bewältigungsroutine. Inoffiziell hatte das Netz zu diesem Zeitpunkt längst mit seinen Mitteln Stellung bezogen, Profilbilder auf Facebook waren in französischen Nationalfarben eingefärbt, Beileidsbekundungen und #prayforparis-Hashtags durchs Netz gejagt worden. Und als das Londoner Wembley-Stadion und One World Trade Center in New York in der Trikolore leuchteten, gab es längst die ersten T-Shirts mit Trauer-Prosa zu bestellen, in allen Größen und Farben.

Ein schwarzes zum Beispiel mit eben jenem Hashtag und dem Datum des Unglückstags, oder ein weißes mit der Illustration aus Peace-Zeichen und Eiffelturm, die der Künstler Jean Jullien gerade erst noch selbst kreiert und auf Instagram hochgeladen hatte. Diese Vignette war in wenigen Minuten von der Netzgemeinschaft als kleinster gemeinsamer Banner gegen den Terror in Paris akzeptiert und verbreitet worden. Je unwirklicher die Ereignisse erscheinen, desto dringender ist der Durst der visuellen Netzmedien nach einem schnellen Symbol, das an die Stelle rückt, an der die Worte fehlen.

Je unwirklicher die Ereignisse erscheinen, desto mehr verlangt das Netz nach einem Symbol

Das fing bei den Anschlägen vom 11. September 2001 an, die in eine noch weitgehend analoge Zeit fielen und wohl deswegen erst mit einiger Verzögerung ein ganzes Sortiment an Geschenkartikeln mit "Never Forget"-Logo hervorbrachten. Es war wohl der eigentliche Anfang der Sad-Souvenir-Kultur, die aber am Ground Zero auch immer wieder in der Kritik stand. Bei dem Überfall auf die Charlie-Hebdo-Redaktion war die digitale Traumabewältigung schon viel fortschrittlicher, Slogan und Soli-Shirts waren schnell Gemeingut und die erste Ausgabe nach dem Attentat wurde wie eine Reliquie gehandelt, man machte Selfies damit und versteigerte sie auf Ebay. Es ist eine neue Entwicklung, dass Anteilnahme und Empathie Empfindungen sind, die viral belegbar sein müssen.

Im Trikot der Trauer: Französische Fußballfans beim Freundschaftsspiel zwischen England und Frankreich am 17. November im Wembley Stadion. (Foto: Henri Szwarc/ddp images, Redbubble)

Die T-Shirts nach den Schüssen und Explosionen vom 13. November 2015 gab es natürlich auch erst mal nur digital, sie wurden auf Internetseiten wie Teespring oder Redbubble angeboten. Portale, auf denen jeder Mensch sein selbst entworfenes T-Shirt vermarkten kann, etwa nach dem Kickstarter-Prinzip: Findet sich eine Mindestanzahl an Käufern, geht das Produkt in Serie. Die Katastrophen-Kreativität war groß, nach einer Woche gab es schon über 400 Artworks zu den Anschlägen, die Shirt-Modelle kosten 19 bis 28 Euro. Ihren Erlös wollen einige User den Hinterbliebenen der Opfer spenden. Andere nicht.

Von der kommerziellen Fragwürdigkeit mal abgesehen - ist ein Trauerdatum der richtige Aufdruck für ein T-Shirt? Ist ein Anschlag ein Event, das mit einem Merchandise-Katalog (es gibt mittlerweile auch Ohrringe, Halstücher und Solidaritäts-Thermo-Kaffeebecher) versehen werden muss? Nein, weil es damit banalisiert wird. Ja, weil das T-Shirt nun mal schon seit über 50 Jahren als Proklamations-Utensil zweckentfremdet wird. Es ist eben schon lange ein politischer Lastesel.

Ganz gut lässt sich seine Geschichte anhand einer Anekdote um Katharine Hamnett erzählen. Die Modedesignerin und Mutter der politischen Botschaft auf Textilien traf während einer Fashion Week 1984 in London auf die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher. Sie trug dabei ein bis in die Kniekehlen hängendes T-Shirt mit der Aufschrift "58% DON'T WANT PERSHING", um gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Großbritannien zu demonstrieren. Thatcher soll darauf nur erstaunt gefragt haben: "Do we have Pershings?" Dass sie überhaupt geantwortet hat, zeigt, wie viel Kraft in einer Botschaft auf einem T-Shirt stecken kann. Hamnett ging damit in die Geschichtsbücher ein, und verantwortete später noch textile Slogans wie "Stop Killing Whales" oder "World Peace Now".

Heute gibt es effektivere und schnellere Methoden, um Zusammenhalt zu signalisieren

Hamnett hat das politische T-Shirt perfektioniert, aber nicht erfunden. Vor ihr gab es in den USA die Künstlerin Jenny Holzer, die sich in den 70er-Jahren noch eher zaghaft an ihm versucht hat: "Abuse of Power Comes as No Surprise" formulierte sie für die Brust der Hippiebewegung. Sie fand ihre Vorlage dafür beim amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Thomas E. Dewy, der 1948 im Wahlkampf T-Shirts mit "Do it for Dewy" bedrucken ließ. Er verlor. Erst Dwight D. Eisenhower schaffte es 1953 als erster Präsident mit eigenen T-Shirts ("I like Ike") ins Amt. Lange davor war das schlichte Shirt auch schon Symbol für Zusammengehörigkeit. Erstmals überhaupt trugen es Soldaten und Matrosen, mit Nummern und Namen ihrer Einheiten darauf, gefolgt von Studenten, die sich mit dem Namen ihrer Universität auswiesen.

Bis heute ist das T-Shirt ein ziemlich perfektes Trägermedium. Es ist unisex zu tragen und überall einsetzbar. Ob beim präsidialen Lauftraining oder als Schlaf-T-Shirt, die Botschaft erreicht die breite Öffentlichkeit ebenso wie die privatesten Nischen. Was über der Brust aufgedruckt steht, wird mit jedem Herzschlag verbreitet, man herzmorst es regelrecht hinaus in die Welt. Es ist der auffälligste und breiteste Platz, den ein normaler Körperbau bietet. Lange bevor man jemandem die Hand gibt, hat man schon sein T-Shirt gelesen. Seine Band, seinen Verein, seinen Protest. Und jetzt auch: seine mitgetragene Trauer.

Für Agitation jeder Art war das T-Shirt noch ausgezeichnet geeignet. Man konnte damit in Gerichtssälen und auf Pressefotos Slogans verbreiten, ohne den Mund aufmachen zu müssen, es machte seinen Träger mit wenig Aufwand zum Aktivisten. Als Trauermedium ist es nicht sehr tauglich. Erst mal schon formal, weil ein T-Shirt, leicht und kurzärmlig, eigentlich ein Kleidungsstück ist, das in einem Anti-Andachts-Kontext getragen wird. Es ist eine kraftvolle Klamotte, niemand würde in einem T-Shirt auf eine Beerdigung gehen.

Tuch für ca. 31 Euro: Ob Teile der Erlöse wohltätigen Zwecken zu Gute kommen, ist nicht bekannt. (Foto: N/A)

Davon abgesehen: Trauernde bringen Blumen an die Orte der Anschläge. Ein sinnvolles Symbol, weil Nelke oder Rose nach einer gewissen Zeit verwelkt sind, genau wie das Trauern nach einiger Zeit vorbei sein muss. Die bedruckte Baumwolle aber bleibt, wird in die Garderobe eingemeindet, zusammen mit dem Urlaubs-T-Shirt, dem Band-Shirt, dem Unterhemd. Sie verliert ihren Kontext, weil das Shirt nicht an einem Denkmalort verbleibt, sondern am Körper eines weiterlebenden Menschen, der damit Fußball spielt und in der Sonne liegt. Der dabei immer noch unentwegt Trauer sendet, während alle anderen in unterschiedlichen Stadien des Vergessens sind. Eine Nachricht, wie sehr sie die Welt auch erschüttert haben mag, altert im dreifachen Tempo. Das weiß jeder, der sich bei Musikfestivals Event-Shirts gekauft hat, auf denen das Datum aufgedruckt ist. Derlei dient bald nur noch als müde Behauptung: Ich war damals dabei. Aber braucht man das bei einem Massenmord? Die Betroffenen ausgenommen, war jeder Beobachter der Nachrichten doch irgendwie gleich nah oder fern dabei. Jeder trägt die Erinnerung an diese und fünf andere dunkle Eilmeldungen in sich, warum muss sie auch noch aufs Revers?

Sie muss nicht. Trotzdem laden Menschen Hunderte Entwürfe für Pariser Andachts-Shirts im Internet hoch. Und zwar weil es, bei aller ehrlichen Traurigkeit, hier auch einen Wettkampf gibt. Um das Logo, um das Artwork, das zum Hauptshirt der Bewegung wird. Der Aufmerksamkeitswahn der Netzkultur lässt auch in den dunkelsten Momenten nicht nach. Werden sonst witzige Bildchen und Videos geliked, sind es in diesen Tagen eben die stimmungsvollsten Trauerflors.

Genau deswegen haben das Anschlags-Shirt und alle anderen Devotionalien aber auch nicht das Zeug zum Bestseller. Sie werden oft betrachtet, aber selten wirklich gedruckt werden. Denn in der neuen Kultur der täglichen wechselnden Mottos und unwägbaren Schwarmbildungen, ist bedruckte Baumwolle viel zu unflexibel. Angesichts der traurigen Gewissheit, dass dies nicht der letzte Anschlag gewesen ist, kommt einem die Investition in so etwas Dauerhaftes wie ein T-Shirt schon beinahe komisch vor. Das schnell geänderte Avatarbild, der geteilte Hashtag - es gibt heute schnellere und effektivere Methoden, um mal kurz Zusammenhalt zu signalisieren.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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