"Anziehsache" zu Fransen:Wild wie Helene Fischers Tchibo-Kollektion

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Fransen im Layer-Look. (Foto: Collage Jessy Asmus/ SZ.de)

Verzweifelt müht sich die Franse ab, wild zu wirken. Dabei kann sie etwas anderes viel besser.

Von Lena Jakat

Die Frau hatte Fransen an den Ohren. Sie wippten wild und machten es schwer, sich auf die Worte zu konzentrieren, die aus dem Mund zwischen den Quastenohrringen kamen. Irgendwas über das Glück, wenn zwei Menschen sich gefunden haben. Verzweifelt guckte ich weg, blieb an den Sandalen der Frau hängen. Über kompliziertem Flechtwerk baumelten auch dort: Fransen. Unglaublich! Die Kunstlederquasten der Standesbeamtin schafften es zwar nicht, mich vollständig von meiner eigenen Hochzeit abzulenken. Aber viel fehlte nicht. Spätestens seit diesem Tag haben Fransen bei mir einen schweren Stand.

Dass ich zurzeit überall Fransen sehe, hat allerdings nicht nur mit meiner verschobenen Wahrnehmung zu tun. Oder mit meiner Fargo-Faszination - eine Netflix-Serie, in der ein taubstummer Killer eine maßgebliche Nebenrolle spielt. Er trägt auch im tiefsten Winter einen Lederblouson mit Fransen.

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Nein, es baumelt und bimselt wirklich überall. Man muss nur eine Modezeitschrift aufschlagen und kriegt den Beweis präsentiert, in Form von Fotostrecken mit Namen wie "Let's Frans(e)" oder "Hans Frans in allen Gassen". Da schwingen Fransen am Blusensaum, baumeln an Handtaschen, Westen, Tops und - ja - auch an Schuhen. Seit Dennis Hopper 1969 als "Easy Rider" seine Lederjackenfransen im Fahrtwind wehen ließ, soll der zuppelige Zierbesatz Wildheit und Abenteuergeist vermitteln. Herb wie ein Cowboy, mutig wie ein Trapper, naturverbunden wie ein Apache. Look at me, I am so wild and free!

Das gilt sogar auf dem Kopf. Zumindest wollten mir das in der Vergangenheit immer mal wieder Frisöre weismachen, wenn sie fragten: "Noch ein paar freche Fransen?"

Dabei sind Fransen im Jahr 46 nach Easy Rider alles, nur nicht wild. Schon in ihrer Form sind sie ja maximal erwartbar: rechteckige, gleichlange Streifen aus Leder, Baumwolle oder Kunstfaser. Streng aneinandergereiht oder zur Quaste verknotet baumeln diese Streifen irgendwo zwischen dem domestizierten Sado-Maso-Chic von "50 Shades of Grey", verspielter Hippie-Romantik und texanischem Schrotflinten-Patriotismus und sind dabei tatsächlich ziemlich bieder. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Helene Fischer für ihre nächste Tchibo-Kollektion ein Lederfransenblouson entwirft.

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Was die Fransen, tatsächlich nicht verlernt haben - das muss man ihnen lassen -, ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Deswegen ist ein (nicht vier) Fransenpuschel an einer langweiligen Handtasche legitim. Und er passt auch besonders gut in die Zeit. Nicht wegen E. L. James. Sondern weil wir im Zeitalter der Ablenkung leben. Wir lenken uns bei der Arbeit ab mit russischen Dashcam-Videos, wir lenken uns beim Joggen ab mit Musik, wir lenken uns in der S-Bahn ab mit neurotischem Dauerwischen auf dem Smartphone.

Wenn es ein Accessoire gibt, das perfekt zu diesem Zustand der Dauerablenkung passt, dann ist es zweifelsfrei die Franse, die nie stillhängen kann und dabei alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Was alle beachten sollten, denen von Berufs wegen Menschen zuhören. Lehrer, Verkäufer - und Standesbeamte.

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