Sportmode:Heiße Leibchen

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Früher flatterten Trikots an den Körpern von Fußballspielern. Heute sind es hautenge Hightech-Produkte - und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Vereine.

Von Benedikt Warmbrunn

Die Provokation gehört zum Auftreten des Fußballstürmers Zlatan Ibrahimović, er hat Gegenspieler geschlagen und beleidigt, er hat sich mit einem Ferrari verglichen, er hat sogar den Fußballheiligen Pep Guardiola verhöhnt ("Er hatte Angst vor mir!", "Trainer ohne Eier!"). Und ausgerechnet dieser prollige Obermacho setzte 2013 einen ungewöhnlichen Trend: den Sport-BH für Fußballspieler.

Nach einem Testspiel mit Paris St. Germain gegen Real Madrid stand der Schwede in Schuhen, Stutzen, Kapitänsbinde, Boxershorts und eben jenem schwarzen Sport-BH auf dem Rasen; all jene, über die Ibrahimović gelästert hatten, spotteten nun über ihn. Zwei Jahre später gehört der Sport-BH wie selbstverständlich zur Ausrüstung eines Profifußballers. Er ist kein ästhetisches Utensil, sondern für viele eine Notwendigkeit. So eng liegen moderne Fußballtrikots inzwischen am Oberkörper an, dass einige Spieler über aufgescheuerte und entzündete Brustwarzen klagten. Im Training streifen ihn manche nun sogar über das Oberteil. Hauptsache, es reibt nichts mehr.

Die modische Entwicklung des Fußballtrikots hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt - die Anfänge waren jedoch zäh. Die ersten Trikots waren aus Baumwolle, weit und schlabbrig, bei Regen klebten sie wie Säcke an der Haut. Erst zu Beginn der 1970er-Jahre nutzten die Ausrüster Polyamide wie Nylon, um dem Hemd die Schwere zu nehmen. Endgültig entdeckten die Hersteller das modische Potenzial der Oberteile zu Beginn des neuen Jahrtausends. 2002 steckte Kappa die italienischen Nationalspieler in hautenge Trikots, Puma die Spieler Kameruns erst in ärmellose Leibchen, dann in einen Einteiler - beides untersagte jedoch der Weltverband mit Verweis auf die Statuten: Die Ausrüstung habe sich aus einem Hemd mit Ärmeln und einer Hose zusammenzusetzen. Dennoch waren diese Trikots der Start in die Moderne, viele Spieler unterscheiden sich auf dem Platz kaum noch von ihrer eigenen Bodypainting-Version. Heutige Trikots sind Hightech-Teile, Puma etwa arbeitet noch wellenförmige Silikon-Teilchen ein, sie sollen durch einen Massageeffekt die Blutzufuhr verbessern. Manche Trikots gleichen Funktionsunterwäsche, das von Cristiano Ronaldo etwa wirkt so, als ob es jeden einzelnen Muskel nur noch feiner herausmodellieren soll. Selbst der uneitle Arjen Robben vom FC Bayern hat dem Magazin 11 Freunde verraten, dass es ihm gefällt, "wenn die Klamotten einen gewissen Druck auf meinen Körper ausüben".

Die 50er: Bauch raus

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(Foto: N/A)

Die 1950er sind das Jahrzehnt, in dem Fußballer noch ganz einer Diät aus Schweinsbraten, Pils und ein paar Klaren vertrauen. Angreifer Helmut Rahn zum Beispiel rauscht 1957 mit dem Auto in eine Baugrube, anschließend prügelt er sich mit den Polizisten. All diese Eskapaden werden ihm verziehen, vielleicht am gnädigsten mit ihm ist jedoch der Schnitt der Trikots. Diese kaschieren jede durchzechte Nacht, luftig sind sie, die weiten Ärmel flattern selbst bei Übergewicht. Fußball ist noch ein Spiel der Kondition und der Kraft, stilistisch verstärkt wird diese Ausrichtung durch kleine Details am Trikot - der Schnürbund am Kragen zum Beispiel betont die männlich breite Brust. Ein Großteil der Kraft kommt jedoch aus der Körpermitte, auch bei Rahns berühmten Schuss aus dem Hintergrund im WM-Finale 1954. Später wird sich dort, am Bauch, Rahns Trikot spannen, das liegt aber keinesfalls an einem engeren Schnitt.

Die 60er: Eleganz

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(Foto: N/A)

Zum Start der 1963 gegründeten Fußball-Bundesliga bemühen sich einige Vereine um mehr Eleganz in ihrem Auftreten, beim TSV 1860 München etwa kleiden sich Spieler wie der Halbstürmer Hennes Küppers zumindest im Training ganz wie Gentlemen nach dem Vorbild der amerikanischen Ostküste. Hose und Socken sind farblich (in feinem Weiß!) aufeinander abgestimmt, die Hose am Bein ist stärker angeschnitten als es in den Jahren zuvor üblich war. Auch das Trikot des TSV 1860 würde in jeden Country Club Einlass gewähren, vor allem durch die Leiste mit Knöpfen, die farblich natürlich ebenfalls zu Hose und Socken passen. Die Aufregung um den Start der Bundesliga hält allerdings nicht lange, und so werden auch die Trikots bald wieder vernachlässigt, sie werden funktionaler, gleichförmiger. Für den TSV 1860 sind die Spielzeiten in diesen klassisch-eleganten Trikots die erfolgreichsten der Vereinshistorie, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Die 70er: Mit Schlitz

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(Foto: N/A)

Nach einem knappen Jahrzehnt wächst in der Bundesliga langsam das modische Bewusstsein, aus Kerlen werden Männer. Das zeigt sich nicht nur an den wuscheligen, nicht mehr ganz so streng gescheitelten Frisuren. Die Trikots passen sich dem kurzen Schnitt der Hosen an, die Ärmel werden kürzer, die Oberteile liegen allgemein enger an; der weite Rundhalskragen harmoniert zusätzlich mit den weicheren Frisuren. Die Ausrüster spielen in diesen Jahren auch erstmals vorsichtig mit dem Design der Trikots, Ärmel und Hosenbeine gestalten sie mit Wiedererkennungswert für die eigene Marke, vor allem die drei Adidas-Streifen an Schulter und Oberschenkel setzen sich durch. Die Bundesliga bleibt dennoch weiterhin eine Macho-Welt - dass sich Uerdingens Paul Hahn und FC-Bayern-Kapitän Franz Beckenbauer 1975 vor einer Bundesliga-Partie betont breitbeinig gegenüberstehen, wird jedoch gebrochen durch den neckischen Schlitz an der Hosenseite.

Die 80er: Werbefläche

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(Foto: imago sportfotodienst)

Der Wert eines Fußballtrikots bemisst sich in den 1980er-Jahren immer noch nicht daran, wie es geschnitten ist, auch nicht an der Funktionalität. Sondern lediglich daran, welches Unternehmen darauf wirbt, wie großflächig und für wie viel Geld. Längst geht es dabei um ganz andere Summen als die 100 000 D-Mark, die die Schnapsbrennerei Jägermeister 1973 als erster Trikotsponsor der Bundesliga an Eintracht Braunschweig gezahlt hatte. Unter der Sponsorensuche der Teams leidet jedoch nachhaltig die Entwicklung des Designs der Trikots; viele Oberteile wie die des FC Bayern München (im Bild Angreifer Reinhold Mathy) bleiben eintönig. Farbliche Kontrastpunkte wie der Schulter-Querstreifen auf dem Trikot von Borussia Mönchengladbach sind Ausnahmen. Immerhin verzichten die Trikottüftler in ihrer Kreativitätspause auch auf modische Skurrilitäten der 1980er-Jahre. Schulterpolster zum Beispiel bleiben ausschließlich für Torhüter reserviert.

Die 90er: Farbkoller

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(Foto: imago sportfotodienst)

Modisch und auch fußballerisch sind die 1990er ein verlorenes Jahrzehnt. Zwar wird die Nationalmannschaft 1996 Europameister, am Ende der 1990er-Jahre gelangt der deutsche Fußball dennoch an einem taktischen und technischen Tiefpunkt an. Unterstützt wird dieser Abwärtstrend durch Trikots, die selbst den ausgeflipptesten Papagei beschämen würden. Borussia Dortmund (im Bild Jürgen Kohler gegen Stuttgarts Fredi Bobic) läuft in blendend neongelben Trikots auf, der VfL Bochum entscheidet sich für ein Regenbogendurcheinander. Viele Oberteile werden verziert mit ablenkenden Details wie schrägen Streifen oder dem zwischenzeitlichen Puzzle-Look auf der Brust des deutschen Nationaltrikots. Auch die Ärmel werden wieder weiter, die Kragen im Polo-Shirt-Design verkünstelt. Vermutlich auch durch den Einfluss aus dem Hip-Hop werden die Hosen bis ans Knie verlängert - die einzige Neuerung, die diese modisch wilde Zeit überlebt hat.

Die Nuller: Enger geht's nicht

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(Foto: Getty Images)

Das Fußballtrikot ist zu Beginn des neuen Jahrtausends endgültig nicht mehr nur ein Fetzen Stoff, es ist jetzt eingebettet in eine Rundumanalyse des Fußballers, so eng liegt es an, dass es fast schon gläsern ist. Dieser körperbetonte Schnitt versteckt kein Gramm Fett! Vorangetrieben wird er vor allem durch den Ausrüster Kappa, der unter anderem Werder Bremen mit engen, kanarienvogelbunten Trikots beliefert - dem Bremer Angreifer Ailton, einem Helmut Rahn Brasiliens, verhilft dennoch gerade das zu großer Beliebtheit. Seine Geschwindigkeit, der körperbetonte Schnitt des Trikots, sein Bäuchlein - bald rufen ihn die Anhänger nur noch liebevoll den "Kugelblitz". Er bleibt jedoch vorerst der Letzte seiner Art. In die modernen Trikots und den modernen Fußball passen nach Ailtons guten Zeiten fast nur noch drahtige und sehnige Athleten hinein.

Das Wohlbefinden des Sportlers ist aber nur die eine Seite, die andere bleibt das Geschäft. Ronaldos Trikot ging 2013 knapp eine Million Mal weg - der ganze FC Bayern verkaufte im gleichen Zeitraum "nur" 880 000 Exemplare.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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