Schöner reisen:Die Lastwagen

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Laut klappert die Globalisierung: Der Rollkoffer ist praktisch und allgegenwärtig, aber meistens nicht besonders ansehnlich. Höchste Zeit also für schönere Anhängsel!

Von Max Scharnigg

Der Rollkoffer hat in den vergangenen Jahren viel mehr einstecken müssen als nur Hemden zum Wechseln. Er war hintereinander: Symbol für die Generation rotäugiger Unternehmensberater, sperriger Auswuchs der Billigfliegerkultur und letztlich sogar Menetekel der Gentrifizierung, weil die Gesinnungs-Schwaben damit Berlin einnahmen. Im Grunde ist er heute ein Trojanisches Pferd, aus dessen Bauch scheinbar nur noch Lächerlichkeit und Kleingeist springen kann. Als solches hat er es sogar in den Koalitionsvertrag der Stadt Berlin geschafft, unter dem Stichwort "stadtverträglicher Tourismus" nämlich, welcher den Rollkoffer nicht beinhaltet. Zumindest nicht in Massen und auf Kopfsteinpflaster.

Wer hätte gedacht, dass ein praktischer kleiner Koffer so viel Unmut erregen kann? Denn praktisch ist er, etwa im Kontrast zur sogenannten Weekender-Tasche. Die ist - aus gewachster Baumwolle, mit patinierten Lederapplikationen und lässiger Über-Schulter-Wurftechnik - dem Stadtbild zwar zuträglicher als der klappernde Koffer. Aber sie verursacht schon Kreuzschmerzen, noch bevor man die Innenstädte von London oder Porto erreicht hat. Und wer jemals mit der Überzeugung losgeflogen ist, die frischen Hemden wären in der schönen Tasche gut aufgehoben, dürfte bald reumütig wieder beim Koffer landen.

Ja, der Koffer. Ein Hohlkörper, in dem die Menschen seit jeher ihre Habseligkeiten und den neuen Martin Suter durch die Welt zerren. Er besudelt mit seinem Inhalt auch die schönsten Hotelzimmer in wenigen Minuten und nimmt daheim wirklich unverschämt viel Platz weg. Das wäre auch schon ein Argument dafür, sich endlich mal einen schönen Koffer zu kaufen - man muss ihn wirklich oft ansehen, unterwegs oft stundenlang am Stück! Man führt ihn nah am Körper und setzt sich gemeinsam mit ihm den ersten, prüfenden Augen fremder Völker aus. Das Angebot auf den Gepäckbändern weltweit legt allerdings nahe: Zwischen schwarzen Hartschalen-Trolleys und ausgebleichten roten Riesenkoffern, gewickelt in hundert Lagen Küchenfolie, ist noch eine Menge Platz für Optimierung.

Das schönste Gepäck der Filmgeschichte kommt von Louis Vuitton und wird durch Wes Andersons "Darjeeling Limited" getragen. (Foto: action press)

Diese Krise des Gepäcks ist natürlich in Wirklichkeit eine Krise der Reisekultur. Von ausgestorbenen Gepäckträgern und Schrankkoffern will man ja gar nicht anfangen, aber dass heute selbst bei seriösen Fluglinien jedes Kilo Gepäck skeptisch geschätzt und abkassiert wird, dass die Staufächer über den Sitzen schon von vornherein nicht für Vollbesetzung ausgelegt sind, macht gepflegtes Reisen schwierig. Früher, in der Schrankkoffer-Epoche, wäre niemand auf die Idee gekommen, eine mondäne Hotellobby mitsamt untergehakten und angehängtem Beuteln und Kisten zu betreten. Großer Auftritt ist damit ja nicht möglich. Heute bleibt einem oft nichts anderes übrig, und deswegen sollte das Gepäck zum Gesamtbild passen - also sowohl zum Besitzer wie auch zur Umgebung. Leider aber wirkt der Rollkoffer mit seinen Rädern und dem Auszieh-Henkel ja stets so nutzwertig wie ein Einkaufswagen und hat in der Standardausführung - dunkle Hartschale - auch etwa dessen Glamourpotenzial.

Der einzig gangbare Ausweg aus diesem Dilemma kam lange Zeit aus dem Kölner Stadtteil Ossendorf, wo die Familie Morszeck einmütig Koffergeschichte schreibt. Anfangs noch in Fichtenholz der Großvater Paul, Sohn Richard Morszeck von den 1940er-Jahren an in Flugzeugaluminium mit markanten Rillen und dem nicht minder markanten Firmennamen Rimowa. Und heute in Form von Enkel Dieter Morszeck, der von den drei Männern die lukrativste Idee hatte: Die Rillen blieben, aber statt in Aluminium stanzte er sie im Jahr 2000 in Polycarbonat, schlagfesten Kunststoff, leichter und besser zu färben als Aluminium. Das gab damals dem schwächelnden Genre des Hartschalengepäcks wieder Schwung und bescherte Rimowa ein paar neue Fabriken und traumhafte Umsatzzuwächse.

Der Alukoffer aber, von dem heute in Ossendorf pro Tag noch ein paar Hundert gebaut werden, blieb Statussymbol der Vielreisenden, der Piloten und Schauspieler. Warum? Weil das Aluminium etwas kann, das Polycarbonat nicht kann: Es beult und knickt elegant, es bekommt mit jeder Reise etwas mehr Patina und Charme und erzählt von der Weltläufigkeit seines Besitzers. Aus dem gleichen Grund ließen die Menschen vor hundert Jahren die Hotelvignetten auf ihre Koffern kleben. Auch wenn Plastikschalen die Ruppigkeit heutiger Beförderung besser wegstecken - das Abenteuer des Unterwegsseins soll sich doch bitte im Koffer spiegeln. Deshalb ist ihre Neutralität und Austauschbarkeit das eigentlich Ärgerliche bei den Standard-Rollkoffern. Weil sie letztlich auch ihre Menschen zu gesichtslosen und kratzfesten Hartschalis verkommen lassen, tagein tagaus als Hundertschaft über die Pflaster von Venedig und Prag klappernd.

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(Foto: Rimowa/PR)

Der Klassiker auf dem Gepäckband: Alukoffer von Rimowa, bei dem jede Beule als Souvenir gilt. Foto: Rimowa/PR

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(Foto: travelteq/PR)

Schön, aber trotzdem funktional: Der Leder-Trolley der Firma Travelteq wird in Italien gebaut. Foto: travelteq/PR

Hart und weich, zum Ziehen, Tragen oder Huckepack - das neue Modulsystem Subterra von Thule. Foto: Thule/PR

Die Hersteller scheinen das langsam verstanden zu haben, die Hohlkörperbranche verzeichnet jedenfalls einige interessante Neuzugänge. In Norditalien etwa entwarfen Kreative unter dem Namen Crash Baggage Rollkoffer aus Polycarbonat, die Beulen und Beschädigungen schon im Design haben. Die - ständig ausverkauften - Rollkisten sehen aus, als wäre man damit in eine Schießerei geraten, das sorgt am Gepäckband dann schon für Aufmerksamkeit. Das Label Horizn vermarktet erfolgreich einen Rollkoffer, der mit hipper USB-Aufladefunktion und angeblich geräuschlosen Spezialrollen prädestiniert für zukünftige Berlinbesucher zu sein scheint. Und der Chef der schwedischen Firma Thule, bislang vor allem bekannt für Pkw-Dachboxen, hat aus Frust über die Gepäcksituation gerade eine ganze Modulreihe entworfen, die Rucksack, Weekender-Tasche und Trolley zugleich sein kann. Damit soll das Koffer-Tetris im Flugzeug einfacher werden und das Gepäck zwischen Airbnb-Bude und Juniorsuite anpassbar sein. Und die niederländische Firma Travelteq hat sich ganz dem funktional-eleganten Reisen verschrieben. Ihr Rollkoffer ist mit italienischem Leder bezogen und dürfte nach ein paar Fernreisen jeden Alukoffer in Sachen Patina und Nostalgie-Faktor überflügelt haben.

Also, es gibt Alternativen zur alten Plastiktonne. Vielleicht sollte man sich aber einfach häufiger Michel Piccoli im Film "Die Dinge des Lebens" zum Vorbild nehmen. Da fährt er auf Geschäftsreise, und zwar ganz ohne Gepäck, nur die Zigarette auf den Lippen. Und auf Nachfrage sagt er: "Ein frisches Hemd kaufe ich mir unterwegs."

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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